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Sonderheft „Onanie‘“, einleitende Bemerkungen / Federn: Die Wiener Onaniediskussion IQ / Meng: Das Problem der ©. © von Kant bis Freud / Landauer: Zwei Vorbemerkungen zur O-
B Diskussion / Friedjung: Zur Frage der ©. des Kindes / Hitsch- +] }
4 mann: Beitrag zu einer O.-Diskussion / Sadger: Neue Forschungen Er ji: zum O.-Problem / Chadwick: Die allgemeine Verschwörung zur. ge 2 Verleugnung / Landauer: Die Formen der Selbstbefriedigung | Zulliger: Schule und ©. / Schneider: Die Abwehr der Selbs- > befriedigung / Reich: O. im Kindesalter / Vera Schmidt: O. bei kleinen Kindern / Graber: O. und Kastration / Hitschmann: | - Auf der Höhe der Entmannungsangst / Landauer: Die O.-Selbst- - beschuldigung in Psychosen / Hirsch: Eine Feuerphobie als Folge | unterdrücter ©. / Ziegler: Soll man die ©. bekämpfen? /G.Behn- - Eschenburg: Zur Entstehung der O. und der Ödipussituation | Schaxel: Drei Beobachtungen / Tamm: Die Eltern und die O. % ihrer Kinder / L. Schwarz: Onanie / ‚*, Erinnerungen an O. / Bu: - -E. St: Beitrag zur analen Masturbation / Kleist: Sehnsuht und | Erfüllung / W. Cohn: Psychoanalytische Literatur über ©. / Berichte NN ar ang der Zeitschrift für psychoanalytische Be en VII, Andreasgasse 3
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N Tr ed Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik Unter Mitwirkung von August Aichhorn (Wien) / Lou Andreas-Salom& (Göttingen) / Siegfried Bernfeld (Berlin) / Marie Bonaparte (Paris) / Mary Chadwick (London) / M. D. Eder (London) / Paul Federn (Wien) /S. Ferenczi (Budapest) / Anna Freud (Wien) / JosefK. Friedjung (Wien) / Albert Furrer (Zürich)/ Wilhelm Hoffer (Wien) / Karl Landauer (Frankfurt a. M.) / Barbara Low
(London) / C. Müller-Braunschweig (Berlin) / Oskar Pfister (Zürich) / J. Piaget (Neuchätel) / Vera
Schmidt (Moskau) / A. J.Storfer (Wien) / Alfhild Tamm (Stockholm) / Fritz Wittels (Wien) / M. Wulff (Moskau) / Hans Zulliger (Ittigen-Bern) herausgegeben von
Dr. Heinrich Meng und Dr. Ernst Schneider
Arzt in Stuttgart Universitätsprofessor in Riga
‚12 Hefte jährlih: M. 10°- (schweiz. Frk. 1250). Der Jahrgang beginnt im Oktober Einzelheft M. 1°- (schweiz. Frk. 125) Alle geschäftlichen Zuschriften sind zu richten an den
„Verlag der Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik “ Wien, VIL, Andreasgasse 3,
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Das nächste Heft (Nr. 7) erscheint anfangs April und wird u. a. folgende Beiträge enthalten:
Ep -_ Ist Psychoanalyse eine Weltanschauung? — Georg Büttner (Meißen): Psychoanalyse und neider: Mutter und Kind in den Dramen Ibsens — Kuendig: Psychoanalytische Streiflichter > 3 er Sekundarschulpraxis (Fortsetzung) — Mannheim: Zur infantilen Geburtstheorie — usw.
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Sonderheft „Onanie“ Einleitende Bemerkungen
Das vorliegende Heft unserer Zeitschrift möchte an die Diskussion über ÖOnanie, veranstaltet von der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung im Jahre 1918, anschließen. Auf die Einladung hin, sich an der Besprechung -der Frage in unserer Zeitschrift zu beteiligen, schrieb uns Freud: „Ich habe meinen Beitrag zur damaligen Onaniediskussion durchgesehen und mit Erstaunen gemerkt, daß meine Kenntnisse seither keine Fortschritte ge- macht, daß ich also nichts hinzuzufügen habe.“ Freuds Meinungen werden in dem Bericht von Federn über die Wiener Diskussion von 1912 mit- geteilt.
Es sind besonders die auf anderen Gebieten seither erzielten Fort- schritte der psychoanalytischen Forschung, die klärend auf die Probleme der Onanie eingewirkt haben. Es sei hier nur auf die Untersuchungen über das Schuldgefühl hingewiesen. Und vor allen Dingen können wir sagen, daß jene Kreise, an die wir uns wenden (Eltern, Lehrer, Pfarrer, Kinderärzte) und die mit der Onanie der Kinder zu tun haben, der Psychoanalyse und besonders der Beurteilung sexueller Fragen gegenüber weit ruhiger und sachlicher geworden sind. Man beginnt vor allem die unwissenschaftliche Scheu vor der beobachtenden Nachprüfung der von andern gefundenen Tatsachen zu überwinden. Uns liegt besonders daran, daß sich die pädagogischen Kreise einer sachlichen Beurteilung befleißigen, damit sie auch einen entsprechend sachlichen pädagogischen Standpunkt gewinnen können, von dem aus erfolgreich erzieherisch vorgegangen werden kann. Wir dürfen wohl hoffen, daß die folgenden Aufsätze in dieser Hinsicht nützlich sein werden.
Hitschmann begleitet die Zusendung seines Beitrages mit folgenden Worten, die wir gerne den Lesern zur Kenntnis bringen: „Indem ich meinen Beitrag zur Onaniefrage einsende, spreche ich meine Meinung dahin aus, daß eine allgemeine Vorbemerkung den Leser auffordern sollte, zu beachten, ob die geäußerten Ansichten vom Psychoanalytiker und praktischen Arzt oder vom Pädagogen und Lehrer stammen, da das Beobachtungsmaterial
(Kranke, Gesunde) und die Eindringlichkeit der Untersuchung eine so verschiedene ist. Das Gros der Menschen ist praktisch gesund, wenn auch nicht immer im idealen Grade, aber es kommt nicht in die Ordination! Auf den Arzt macht aber ein Kranker, dessen Krankheit hätte vermieden werden können, besonderen Eindruck. Anlage und Vererbtes, die Disposition, ist für uns Analytiker gegenüber dem Früherlebten allzuschwer erfaßbar.“
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Die Wiener Diskussion aus dem Jahre IO12' Von Dr. Paul Federn, Wien
Bei dem im Jahre ıgı2 abgehaltenen „Symposion“ über die Onanie standen alle Teilnehmer einig auf dem Boden der damaligen Lehren der Psychoanalyse: Die Trieblehre, die dynamische, ökonomische und topische Auffassung des Seelenlebens, der Gegensatz „Ich- und Sexualtriebe“ als Schauplatz der Neurosen und Psychosen, die Angst als Folgeerscheinung unerledigter Libido. Die Probleme des Ichs waren noch nicht formuliert. Den meisten Teilnehmern stand der Ödipuskomplex noch als Neuerwerb vor Augen; eine Erklärung, die über ihn hinausging, schien nicht nötig. Nur Einzelne haben noch unformulierte Probleme und weiter gehende Lösungen vorgebracht.
Bei voller Einschätzung dieser Leistungen einzelner hat man den Ein- druck, daß doch allein des Meisters Methode und vorwiegend seine Befunde verwendet wurden; auch dort, wo ihm widersprochen wurde, war der Widerspruch erst durch seine positive Ansicht möglich geworden. Auch der am meisten widersprechende Teilnehmer, Stekel, konnte nur den Weg Freuds weitergehen, um zur Meinung zu kommen, daß auch die Neurasthenie ausschließlich durch psychogene Mechanismen verursacht werde.
Wenn wir aus allen noch sehr lesenswerten Beiträgen das Positive vereinen, so kommen wir zum Gesamtergebnis, daß wir über die damalige Klärung nicht hinausgekommen sind. Aber in einem sind wir wesentlich weiter: Wir, die Psychoanalytiker selbst, haben die volle Objektivität gegenüber dem Problem erworben. Während damals noch die Schädlichkeitder Onanie gegen unsere Absicht zum Hauptproblem geworden war, kann heute die Bedeutung der Onanie unser unbefangenes Interesse erwecken und die Frage ihrer Schädlichkeit und ihres Nutzens als Teilproblem behandelt werden. Vor ı5 Jahren hörte man noch in unserem Kreise Worte wie „Laster“ und „fallen“, „Unzucht“, „Abnormität“, auch Ratschläge, durch Aufklärung vorsichtig „abzuschrecken“ und vor der Onanie zu
ı) Die Onanie. Vierzehn Beiträge zu einer Diskussion der „Wiener Psycho- analytischen Vereinigung“. I. F. Bergmann, Wiesbaden, ıgı2.
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„warnen“. Ich denke heute uns alle einig, daß die hygienische Hilfe bei der Sexualentwicklung solche Worte nicht kennen darf. Aber wie damals, sind wir auch heute noch nicht darüber einig, ob und wann man über- haupt die Onanie zu bekämpfen hat, und ob die Art und Häufigkeit der Onanie bloß als Symptom oder auch als Ursache von Krankheit zu gelten hat. Immer wieder sprechen die unmittelbaren Folgen der Onanie bei manchen Personen, die sonst nicht oder kaum neurotisch sind, auch hier für eine körperliche Wirkung. Ferenczi hat damals zuerst von der „Eintags“- Neurasthenie gesprochen.
In bezug auf die Formulierung vieler Probleme wurden aber große Fortschritte gemacht. Das ist ein Zeichen unserer größeren Objektivität, Das Verdienst daran hat die Aufdeckung des Kastrationskomplexes und die Erforschung der Ichstruktur. Nur von zwei Autoren, Ferenczi und Sachs, wurde schon damals der Kastrationskomplex als Hauptmotiv zur Erklärung des Önanie-Angstproblems herangezogen, von den anderen Autoren nur die Androhung der Kastration als schädliches Einzelfaktum besprochen. |
Wir würden heute jede Krankengeschichte viel mehr um den Kastrations- komplex zentrieren, wir würden in der Angst und in dem Schuldgefühl den passiven und aktiven Kastrationskomplex suchen — die Größe seines Anteils könnten wir aber auch nur theoretisch feststellen. Erst wenn nicht nur der Analytiker, sondern wenn jeder Erzieher psychoanalytisch wird beobachten können, werden die 1912 ungelösten Probleme wirklich gelöst werden können. Heute bleibt nichts übrig, als uns mit dem Aufdecken des Nebeneinander vieler Motive zu begnügen. Die Gefahr besteht immer, daß ein gerade modern gewordenes Motiv überschätzt wird.
Diesen Vorwurf nun kann man der Wiener Diskussion als Gesamt- leistung nicht machen. Obgleich das „Wort“ Identifizierung nur einmal
gebraucht wird, ist doch auch die Ichentwicklung reichlich zur Sprache
gekommen. Rank stellt wie Sadger Charaktertypen auf, die speziell durch die Art des Abgewöhnungskampfes der Onanie bedingt seien, so den lügenhaften Charakter, der die Verlogenheit im Ableugnen und Verbergen des sexuellen Geheimnisses auf alle Gebiete überträgt, obgleich er sich seiner Lüge schämt. Die Fixierung des Zwanges zur Ableugnung der Wahrheit sei eine Reaktion gegen den verdrängten Selbstvorwurf der Masturbation. Im Gegensatz dazu sei die Umwandlung in Wahrheits- fanatismus eine Sublimierung. Wir würden heute den Wahrheitsfanatismus als Reaktionsbildung bezeichnen.
Im Gedächtnis blieb mir eine Bemerkung Freuds anläßlich eines früheren Vortrags Ranks über die Onanie, bei der Tausk vom Wahrheitsfanatismus der Onanisten sprach. Freud teilte eine besondere Bedingung dafür mit: daß nämlich die Onanie unentdeckt geblieben und aus eigener Kraft aufgegeben worden war.
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Im Wahrheitsfanatismus erkennen wir heute die sadistische Kraft, die
sowohl die Onanie als die Lüge mit Strenge unterdrückt, und finden sie durch die Identifizierung mit einem strengen Vater in diese Richtung gelenkt — nach Freuds Bemerkung, eines Vaters, der die Onanie des Sohnes nicht entdeckt und ihm dadurch die Lüge erspart hatte. |
Rank fand auch die Kleptomanie durch die Verheimlichung der Onanie bedingt und als Fortsetzung und Steigerung der onanistischen Lüge. Der aktive Kastrationskomplex und der Penisneid werden nach früheren Angaben Stekels als Quellen der Kleptomanie erkannt, wenn auch noch nicht mit diesem Namen benannt.
Manche Eigenschaften des Analcharakters finden nach Rank eine zweite Quelle in Resten der Reaktion gegen die Onanie. Der Waschzwang ergänzt und bestärkt die analerotische Sauberkeit, der Hang zur Lüge den anal- erotischen Trotz; die analerotische Pünktlichkeit findet ihre Fortentwicklung im Zwang zum 'Terminsetzen, das nach Freud vom Abwehrkampf gegen die Onanie ebenso herzuleiten ist wie die Neigung so vieler Kinder, das Beste für zuletzt aufzuheben. Der Zusammenhang der Naschsucht mit der Onanie, der hysterischen Anorexie, Nahrungsverweigerung mit ihrer Abwehr (Binswangers „Hysterie-Analyse“)' sind wichtige Beiträge.
In der Diskussion wird noch vom „Masturbanten“, vom „Onanisten“ als Typus gesprochen. Wir würden heute das nicht mehr tun, weil wir in der Onanie etwas Normales zu sehen gewohnt sind. Diese „moderne“ Anschauung fand auch in der damaligen Diskussion schon ihre Vertreter, (Freud, Tausk, Stekel, Federn.) Daß ein normaler Vorgang auch für Störungen das ursächliche Moment enthält, erklärt sich dadurch, daß die Neurosen die Kultur notwendig begleitende Störungen sind.
Freud selber betont aber, daß die Onanie „weder biologisch noch psychologisch etwas Letztes, kein wirkliches Agens, sondern nur ein Name für gewisse Tätigkeiten“ sei, „aber trotz aller Weiterführungen bleibt das Urteil über die Krankheitsverursachung doch mit Recht an diese Tätigkeit geknüpft — Onanie ist nicht gleichzusetzen mit der Sexualbetätigung überhaupt, sondern ist solche Betätigung mit gewissen einschränkenden Bedingungen. Es bleibt also möglich, daß gerade diese Besonderheiten der onanistischen Betätigung die Träger ihrer pathogenen Wirkung seien. Die klinische Beobachtung mahnt uns, die Rubrik: schädliche Wirkungen der Onanie, nicht zu streichen.“ Ich weiß, daß Freud auch heute noch derselben Meinung ist.
Während Rank Charaktertypen hervorhob, sprach Tausk ausführlich über die Einwirkung der Onanie auf jedermanns Gesamtpersönlichkeit. Die Onanie selbst und ihre Wirkung sind nur eine Funktion des Verhältnisses der Ich- zur Sexualentwicklung. — Werden die Entwicklungsstufen, die zu den sexuellen Nebenzonen und zur
ı) Jahrbuch für Psychoanalytische Forschung, I., $S. 262, 1909, Wien, Deuticke.
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' Genitalität gehören, vom Ich schon verlassen, vom Trieb noch besetzt
gehalten, dann wird entweder die Befriedigung inadäquat oder aber das Ich muß in seiner Entwicklung gehemmt werden.
Solch ein kurzer Satz wird den reichen Gedanken Tausks nicht gerecht. Als Beispiel für seine logische Diktion zitiere ich seine Abgrenzung der Onanie als: „... jene Art sexueller Betätigung am Genitale oder an einer sexuellen Nebenzone, die keinen Partner zur wesentlichen Voraussetzung hat, und deren Ziel es ist, die sexuelle Erregung direkt zu entspannen. Nicht hieher zähle ich die symbolische Darstellung der sexuellen Lust (neu- rotisches Symptom, Sublimierung). Die Tatsache, ob die onanistische Aktionsvorstellung bewußt oder unbewußt ist, ist für den Begriff der Onanie irrelevant.“
Tausk vertrat die Wichtigkeit und Nützlichkeit der Reizung der erogenen Zone im Säuglingsalter. Sie wird der Anlaß dazu, daß das Kind seine Lustbedürfnisse von anderen Menschen abhängig macht und bei anderen Menschen zu befriedigen sucht; sie sind „...Bedingung für die Entstehung der Neigung zu Menschen, für die Entstehung der Liebe“. Damit übertreibt vielleicht Tausk die Ansicht Freuds, daß die Reizung der Genitalzone durch die Säuglingspflege das spätere Primat des Genitales vorbereitet; in der Diskussion verteidigte Freud diese Ansicht gegen Reitlers Einwendungen, gab aber zu, daß es richtiger sei, die „Absicht“ der Natur nicht als Argument heranzuziehen.
Sadger führte, damit dem allgemeinen Stand des Wissens voraus eilend, alle spätere Onanie, insbesondere alle mit ihr verbundenen, bewußten und unbewußten Phantasien, auf die Erlebnisse mit der Mutter in dem ersten Jahre zurück. — „Die letzten Wurzeln jeder Selbstbefriedigung ruhen in der notwendigen Säuglingspflege. Und dieser Quelle zur Mastur- bation entgeht kein Kind, wie trefflich auch sonst Erziehung und Wartung. E Die strenge Abgewöhnung der Kinderonanie hielt er für nötig.
Mit vollem Rechte meint er mit mehreren Autoren, daß die Onanie nur gegen Liebeseintausch aufgegeben wird.
Ob die Pädagogik — die richtige Pflege in den ersten zwei Jahren ist vielleicht der wichtigste Teil aller Pädagogik — aus diesen Anschauungen die Förderung der Reizung der erogenen Zonen lernen soll, oder, wie Meng, Federn und Schneider es im Volksbuch vertreten haben, diese auf ein Minimum beschränken soll, ist heute noch ebensowenig zu beantworten wie früher, Die Tradition der guten Kinderstube spricht für Zurückhaltung von zuviel Zärtlichkeit. Aber gehen aus der guten Kinderstube die Menschen weniger neurotisch hervor, wenn sie auch sympathischer sind ?
Sadger kommt auf die sexuelle Konstitution, d. h. die angeborene Größe der einzelnen Partialtriebe, zu sprechen. Sexuelle Konstitution und Einwirkungen der frühen Kindheit sind aber nur durch unmittelbare Beobachtung am Kinde voneinander zu scheiden. In der Psychoanalyse ist nur ihre subjektive Abschätzung möglich ; wir greifen auf Konstitution
zurück, wenn uns die psychoanalytisch erforschten Außenbedingungen das Vorherrschen oder das Fortdauern eines Partialtriebes nicht genügend zu erklären scheinen. — Die Minderwertigkeitszeichen eines Organsystems, wie sie Adler und andere Forscher angeben, sind zur Beantwortung der Konstitutionsfrage wertvoll. Für die richtige Beobachtung und die Beant- wortung der Frage brauchen wir viele psychoanalytisch ausgebildete Kinder- und Hausärzte, Kinderpfleger und psychoanalytisch eingestellte Mütter. Freud ironisierte in seinem Schlußworte die Annahme einer abnormen Konstitution auf Grund des üblen Entwicklungszieles, das ein Individuum erreicht.
Nach Sadger werden die Eindrücke der ersten Kinderjahre nicht einfach auf spätere Objekte und Inhalte übertragen. Wichtig ist, daß die Kinderszenen mit Umkehrung der Personen wiederkehren, insofern als in den onanistischen Phantasien, ebenso wie bei der Objektwahl, die Rolle der Mutter eingenommen wird, während die eigene Person als Objekt phantasiert, respektive gesucht wird. Daß die Kinderonanie auf diese Weise zur Homosexualität führen kann, ist gleichfalls Sadgers Befund. Der Zusammenhang von mutueller Onanie und Homosexualität wird auch von Hitschmann hervorgehoben.
Ich muß viele sonstige interessante Teilprobleme weglassen zugunsten des Streitpunktes, auf welchen die Diskussion sich zuspitzte. Ist die Quelle der Schädlichkeit das Schuldgefühl, das sie begleitet ? Der Schädigung des Charakters durch die Onanie wurden viele nützliche Reaktionen auf das Schuldgefühl entgegengestellt. Die Quellen dieses Schuldgefühls wurden von fast allen Autoren erörtert.
*
An und für sich war das Schuldgefühl damals ein noch völlig ungeklärtes Thema. Manche Diskussionsredner, vor allem Stekel, haben nur die schuldbeladene Onanie für schädlich erklärt und nur das Schuldgefühl für den Schaden verantwortlich gemacht. Mehrere Autoren (Dattner, Federn, Roffenstein) schreiben der Hemmung durch das Schuldgefühl eine direkte Einwirkung auf den noch nicht genug studierten Ablauf der körperlichen Vorgänge in den Geschlechtsorganen und den dazugehörigen Drüsen und Nervenzentren zu. — Roffenstein verglich die Schädlichkeit der Onanie mit solchen Magenleiden und Appetitverlust, wie sie entstehen, wenn man während des Essens sich kränkt oder ärgert, oder aber auch nur sich geistig zu sehr anstrengt.
Federn hat schon damals behauptet, daß die Onanie schädlich wirken kann, nicht muß, wenn sie nicht zur vollen Befriedigung führt. Dann wird der Rhythmus der sexuellen und aller anderen psychischen und somatischen Abläufe gestört; statt der sexuellen Pause bleibt halbe Erregt- heit zurück; Verstimmungen — man könnte sie Eintagsmelancholien nennen — sind bei neurotischen Individuen die Folge. Das Schuldgefühl ist die wichtigste Ursache für die Unbefriedigtheit durch den onanistischen
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Akt. Das Schuldgefühl führt zur vorzeitigen neuerlichen Onanie, um in der Verstimmung Trost zu finden.
Heute kann ich auf Grund vieler Erfahrungen hinzufügen, daß die seelische Hilfe die Onanie in der Pubertät durch Befreiung vom Schuld- gefühl zur harmlosen Notonanie reduziert und sie oft ganz aufgeben läßt.
Die Diskussion wurde durch ein Resume Freuds abgeschlossen, in dem er sagt: „Einig sind wir wohl alle:
a) über die Bedeutung der den onanistischen Akt begleitenden oder ihn vertretenden Phantasien,
b) über die Bedeutung des mit der Onanie verknüpften Schuldbewußtseins, woher immer dieses stammen mag,
c) über die Unmöglichkeit, eine qualitative Bedingung für die Schäd- lichkeit der Onanie anzugeben. (Hierüber nicht ohne Ausnahme einig.)
Unausgeglichene Meinungsverschiedenheiten haben sich gezeigt: |
a) in Betreff der Leugnung des somatischen Faktors der Önanie- wirkung. i
b) in Betreff der Abweisung der Onanieschädlichkeit überhaupt,
c) in Bezug auf die Herkunft des Schuldgefühls, das die einen von Ihnen direkt aus der Unbefriedigung ableiten wollen, während andere soziale Faktoren oder die jeweilige Einstellung der Persönlichkeit mit heranziehen,
d) in Bezug auf die Ubiquität der Kinderonanie.
Endlich bestehen bedeutungsvolle Unsicherheiten:
a) über den Mechanismus der schädlichen Wirkung der Önanie, falls eine solche anzuerkennen ist,
b) über die ätiologische Beziehung der Onanie zu den Aktual- neurosen.“ — — —
„Der Schaden der Onanie scheint sich auf drei verschiedenen Wegen durchzusetzen: |
a) als organische Schädigung nach unbekanntem Mechanismus, wobei die von Ihnen oft erwähnten Gesichtspunkte der Maßlosigkeit und der inadäquaten Befriedigung in Betracht kommen.
b) auf dem Wege der psychischen Vorbildlichkeit, insoferne zur Befriedigung eines großen Bedürfnisses nicht die Veränderung der Außenwelt angestrebt werden muß. Wo sich aber eine ausgiebige Reaktion auf diese Vorbildlichkeit entwickelt, können die wertvollsten Charakter- eigenschaften angebahnt werden.
c) durch die Ermöglichung der Fixierung infantiler Sexual- ziele und des Verbleibens im psychischen Infantilismus. Damit ist dann die Disposition für den Verfall in die Neurose gegeben. Als Psychoanalytiker müssen wir für diesen Erfolg der Onanie — gemeint ist hier natürlich die Pubertätsonanie und die über diese Zeit hinaus fortgesetzte — das größte Interesse aufbringen. Halten wir uns vor Augen, welche Bedeutung
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die Onanie als Exekution der Phantasie gewinnt, dieses Zwwischenreiches, welches sich zwischen dem Leben nach dem Lust- und dem nach dem Realitätsprinzip eingeschaltet hat, wie die Onanie es ermöglicht, in der Phantasie sexuelle Entwicklungen und Sublimierungen zu vollziehen, die doch keine Fortschritte, sondern nur schädliche Kompromißbildungen sind. Dasselbe Kompromiß macht allerdings nach Stekels wichtiger Bemerkung schwere Perversionsneigungen unschädlich und wendet die ärgsten Folgen der Abstinenz ab.“
Schließlich macht Freud darauf aufmerksam, daß die Formen der unbewußten Onanie zu wenig behandelt wurden, die Onanie im Schlafe, in abnormen Zuständen, in Anfällen. Ferner sagt er: „Man kann auch von einer therapeutischen Wiederkehr der Onanie sprechen. Mehrere von Ihnen werden bereits wie ich die Erfahrung gemacht haben, daß es einen großen therapeutischen Fortschritt bedeutet, wenn der Patient sich während der Behandlung wiederum der Onanie getraut, wenngleich er nicht die Absicht hat, dauernd auf dieser infantilen Station zu verweilen.“ .. „auch hat eine große Zahl grade der schwersten Neurotiker in den historischen Zeiten ihrer Erinnerung die Onanie vermieden, während sich durch die Psychoanalyse nachweisen läßt, daß ihnen diese Sexualtätigkeit in vergessenen Frühzeiten keineswegs fremd geblieben war.“
Bekanntlich hat Freud in seinen allerersten. Arbeiten die Aktual- meurosen und Psychoneurosen nach ihrer Verursachung getrennt. In der Diskussion von 1912 verteidigte er diesen Standpunkt gegenüber Stekel. — Vor wenigen Wochen hat ihn Freud neuerdings festgehalten, sowohl gegenüber denjenigen, welche auch die Aktualneurosen (Neurasthenie, Angstneurose, Hypochondrie) auf psychogenem Wege erklären wollen, als denen gegenüber, welche dem körperlichen Faktor der Unbefriedigt- heit ein zu großes Maß in der Frage der Verursachung und Heilung der Psychoneurosen zuschreiben. Freud widersetzt sich heute wie damals den Tendenzen, Fragen zu vereinfachen, um sie einseitig zum Scheine zu lösen.
Wir wollen seinem Beispiel folgen und anerkennen, daß die im Jahr 1912 offen gebliebenen Fragen auch heute noch nicht endgültig beantwortet sind.
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Das Problem der Onanie von Kant bis F reud Von Dr. med. Heinrich Meng, Stuttgart
Die Wertung der Onanie bei Ärzten und Nichtärzten ist in den letzten hundertfünfzig Jahren starker Wandlung unterworfen. Kant spricht an der Wende des achtzehnten Jahrhunderts von der „wollüstigen Selbst- schändung“, er verwirft dies „Laster“ aufs schärfste und spricht überhaupt
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dem Menschen das Recht ab, seine Geschlechtseigenschaften der bloßen tierischen Lust zu widmen, für ihn ist die Selbstschändung noch schlimmer als Selbstmord, schon deshalb, weil man von letzterem sprechen könne, von ersterer nicht oder nur mit Beschämung. Zur Zeit Kants hatte ein berühmter Arzt, Tissot, ein Buch über Onanie veröffentlicht, in dem er viele Krankheiten aufzählte, die von der Onanie herrühren sollten, ein Buch, das auf Ärzte und Nichtärzte einen nachhaltigen Eindruck machte. Er ist auch der Schöpfer des Wortes „Onanie“. Theologen, Ärzte, Pädagogen waren der Meinung, daß Onanie eine seltene, nur bei abnorm veranlagten Menschen auftretende Unart sei, und verbanden zum großen Teil damit den Begriff der Sünde. Sie wiesen immer wieder darauf hin, daß viele Gehirn- und Rückenmarksleiden damit in Zusammenhang stünden, Millionen von Menschen des neunzehnten Jahrhunderts reagierten auf diese Lehre mit Krankheitssymptomen. Populäre Schriftsteller, darunter auch Kurpfuscher, malten das Bild des Leidens so grell aus, daß mancher
'schwankende Jüngling, wie nach der Lektüre von Werthers Leiden, seinem
Schuldgefühl durch Selbstmord nachgab.
Es geht immer sehr lange, bis Arzt und Volk ihre Meinung ändern ; manchmal hat das Volk früher die gute Einsicht, manchmal der Arzt. Erb, ein bedeutender Nervenarzt in Heidelberg, hat schon in den acht- ziger Jahren des letzten Jahrhunderts darauf hingewiesen, daß viele angeblich der Onanie zur Last gelegten Krankheiten gar nichts mit ihr zu tun haben, und daß Onanie harmloser und verbreiteter sei, als Ärzte und Laien annehmen. Die Tierbeobachter konnten zeigen, daß die Onanie auch im Tierreich, sowohl in der Natur wie unter bestimmten Bedingungen der Gefangenschaft oder der Domestikation, häufig sei, so daß die Spezihität dieser „Menschensünde“ sehr in Frage gestellt wurde. Die Onanie bildet aber weiterhin für breite Schichten die Ursache für viele Leiden, eine Art Opferlamm, vergleichbar dem Juden, auf den in der Progromstimmung alle Schuld geworfen wurde, oder vergleichbar der Frau, die als Hexe dem Aberglauben des Mittelalters zum Opfer fiel. Hatte Kant an der Wende des achtzehnten Jahrhunderts die Onanie als Sünde schlimmster Art gebrandmarkt, bei der sich der Mensch „unter das Vieh herabwürdigt“, so trat mit der Forschung Freuds an der Wende des neunzehnten Jahr- hunderıs eine Forschung ins Leben, die im Laufe der letzten dreißig Jahre die Grundlage zu einer menschenwürdigen und affektfreien Betrachtung des Problems gab. Freud und seine Schule haben, auf den „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“, die Freud vor rund zwanzig Jahren herausbrachte, aufbauend, die neue Lehre der Sexualität des Menschen begründet und dadurch auch das Dunkel der alten Onanielehre aufgehellt.
Für den Pädagogen, für den Arzt und für die Eltern ist ein genügendes Wissen von der Forschung Freuds notwendig, um über ÖOnanie mit Kindern sprechen zu können und Ungeschicklichkeiten bei ihrer Bekämpfung zu vermeiden. Er muß in der Lage sein, das Werden des
Kindes ruhig zu beobachten und durch sein Wissen so zu leiten, daß die Fehler der alten Erziehung vermieden werden. Zur Orientierung über unser heutiges Wissen von der T’riebentwicklung des Kindes und ihre Bedeutung für die Pädagogik empfiehlt es sich, die Originalarbeiten von Freu d, Anna Freud, Aichhorn, Bernfeld, Friedjung, Hug-Hellmuth, ‚Pfister, Schneider zu lesen. Die im Buchhandel erschienenen üblichen „hausärztlichen Berater“ enthalten fast ausnahmslos noch die Urteile der alten Medizin und der alten Pädagogik, also Anschauungen, wie ie Kant und Tissot vertreten haben. Freud fühlte schon vor Jahren die Trostlosigkeit dieses Zustandes, als er sich entschloß, bei dem Sammelwerk von Koßmann-Weiß („Die Gesundheit“, Union, Stuttgart), einem volkstümlichen :Aufklärungswerk, mitzuarbeiten. Er schrieb einen Beitrag über Psychoanalyse, der ziemlich vereinzelt in seiner fortschrittlichen Gesinnung unter zahlreichen anderen Arbeiten von Fachgelehrten steht. Schreibt doch im selben Werk der Kinderarzt Prof. Johannsen, daß man bei Onanie durch Behandlung mit elektrischen Strömen meist rasche und endgültige Heilung sehe. Federn und ich suchten eine neue Phase in der volkstümlichen medizinischen Literatur einzuleiten. Wir machten im „Ärztlichen Volksbuch“ und später im „Psychoanalytischen Volksbuch“ die Freudsche Lehre nicht nur zur selbstverständlichen Grund- lage der Kapitel über die sexuelle Frage, sondern wir suchten auch in den Kapiteln über Pädagogik und Behandlung Kranker den Erwachsenen aufzuklären über die tiefe Bedeutung der durch Freud begründeten Psychologie für die gesamte Wissenschaft.
Um nur einiges hervorzuheben, was der moderne Erzieher wissen muß, sei folgendes gesagt: Daß Säuglinge, kleine Kinder und Halberwachsene in bestimmten Phasen ihrer Triebentwicklung onanieren, ist nicht nur auf psychoanalytischer Seite, sondern auch von zahlreichen anderen Beobachtern bestätigt und erscheint heute als eine notwendige und verständliche Entwicklungsphase. Die Onanie ist kein einheitlicher Begriff, sondern Symptom vieldeutiger Art, nur in Ausnahmsfällen Symptom einer Erkrankung. Der psychologisch geschulte Arzt ist meist schon jetzt imstande, und wird durch weitere Erfahrung immer sicherer sein, durch Beobachtung und Untersuchung hierüber zu entscheiden. Störungen der Gesundheit, die im Zusammenhang mit onanistischen Phasen auftreten, sind meist bedingt durch die Phantasien und durch den Abwehrkampf und nicht durch die direkte körperliche Schädigung des betreffenden Kindes.
/u intensive Beschäftigung mit den Geschlechtsteilen des Kindes, 2. B. übertriebene Reinlichkeitsprozeduren, überflüssige, lokale und falsche Bekämpfung von Stuhlverstopfung, Bettnässen, Appetitstörungen, rein auf dass Organ gerichtete therapeutische Eingriffe, andererseits aber auch alle Methoden der Drohung, Einschüchterung, ferner die Bewunderung des Kindes und seiner Leistung durch übertriebene Zärtlichkeit der Pflegepersonen, das ungeschickte Verhalten der Erzieher in sexuellen
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Dingen (Schlafzimmermilieu), die Verführung des Kindes durch Haus- angestellte, die zweifellos häufiger ist, als man allgemein annimmt, können unter Umständen die natürliche Entwicklung, auch seine sexuelle Entwicklung heftig stören und die konstitutionelle Veranlagung für Hysterie, Zwangsneurose, Impotenz, geschlechtliche Gefühlslosigkeit entscheidend beeinflussen. Angst und Schuldbewußtsein sind der Nährboden für viele Selbstvorwürfe, die das zeitweise onanierende Kind, wenn es von dem Erwachsenen falsch geführt wird, schüchtern, unsozial, verlogen. bzw. wahrheitsfanatisch, in beiden Fällen eigenbrödlerisch und meist unproduktiv machen. Die Frühonanie ist Ausdruck eines mächtig einsetzenden Impulses in Richtung des späteren Sexuallebens und kann zum Antrieb werden für das spätere Einsetzen der normalen Schamgefühle und für die weitere soziale Anpassung und Selbstbeherrschung des Individuums. Faktoren, wie falsche Ernährung, Aufenthalt von Würmern im Darm, Hauterkrankungen und andere, die das Kind sexuell reizen, müssen zwar entsprechend ärztlich behandelt werden, aber stets unter Berücksichtigung der jeweiligen Libidoentwicklung und der Eigenart des Kindes. Die erzieherische Unfähigkeit vieler Erwachsener besteht in ihrer psychologischen Ungeschicklichkeit, Stellung zu nehmen zur infantilen Sexualität. Die Erkenntnis des eigenen Werdens und das Wissen von der biologischen und psychologischen Entwicklung des Menschen ist die Grundlage einer gesunden Einstellung zum Kind und damit auch zur Önanie.
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Zwei Vorbemerkungen zur Onaniediskussion Von Dr. med. Karl Landauer, Frankfurt a. M.
I) Die Bezeichnungen für Selbstbefriedigung
Wenn wir uns mit den Fragen beschäftigen wollen, die sich um den Begriff der Selbstbefriedigung gruppieren lassen, so werden wir gut daran tun, uns zunächst die Ausdrücke anzusehen, welche dafür in der Literatur geläufig sind. Am häufigsten wohl wird das Wort Onanie benützt, d. h. Tat des Onan. Wie wir uns ı. Mose, 38 überzeugen können, handelt es sich jedoch bei Onan um einen vorzeitig abgebrochenen Geschlechtsverkehr, etwas, was wir Coitus interruptus zu bezeichnen gewohnt sind und was man auch unter Überdehnung des Begriffes Onanie — Selbstbefriedigung mit Onanie conjugalis (eheliche Onanie) benannt hat. Der Ausdruck Onanie beruht also auf einer Begriffsentstellung.
Weiter ist sehr gebräuchlich das Wort Masturbation. Dieses Kunstwort ist zusammengezogen aus manu stupratio, gleich Schändung mittels der Hand. Bei dieser Wortbildung ist nicht nur „nu“ vor „s“ ausgefallen, sondern auch „pr“ in „rb“ verwandelt, Nun haben sich allerdings im Lateinischen im Laufe jahrhundertelangen Sprachgebrauches vor einem
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„s manchmal Laute abgeschliffen. Eine derartige Ausschaltung in einem Kunstwort dürfte jedoch wohl nicht die Regel sein, zum mindesten bestand kein sprachlicher Zwang dazu, wie sich aus dem Wort Manuskript
ergibt. Vertauschungen von „pr“ in „rb“ werden wohl auch anderwärts
zu finden sein, aber sie sind gleichfalls nicht zwingend, wie das Beibehalten des Wortes stuprum ergibt. Ich möchte offen lassen, ob bei der Verwelschung des Wortes eine Klangangleichung an mas-turbatio, etwa zu übertragen mit: Störung des männlichen (Gliedes), mitgewirkt hat. Sicher ist: dieses zweite, für Selbstbefriedigung gebräuchliche Wort Masturbation beruht auf einer Lautentstellung.
Die Tatsache, daß von den zwei für einen Begriff üblichen Ausdrücken der eine eine Entstellung des Begriffes, der andere eine solche der Laute zeigt, muß stutzig machen. Es sind nicht eben Dinge, denen wir kühl — sine ira et studio — gegenüberstehen, welche wir entstellen oder entstellt weiter gebrauchen. Warum brachte die bekannte Vorliebe der Gelehrten, immer neue Termini technici zu prägen, hier kein affektloseres Wort zustande als Tat des Onan, ein todeswürdiges Verbrechen, wie die Bibel sagt, stupratio, Schändung, ein Vergehen? Ebenso deutlich nimmt das in der Popularwissenschaft vielgebrauchte Wort: Selbstbefleckung, Beschmutzung also, bereits ein Urteil vorweg,
Die Betrachtungen der Bezeichnungen für Selbstbefriedigung lehrt uns also, die Resultate bisheriger Wissenschaft sehr skeptisch zu betrachten.
II) Stammesgeschichtliche Vorläufer der Selbstbefriedigung und deren Verdrängung
Bei tief bewußtlosen Kranken, noch zu einer Zeit, da der Hornhaut- und andere Fluchtreflexe bereits erloschen sind, beobachtet man oft ein Spielen einer Hand am Genitale. Gewisse Eigentümlichkeiten der Finger- und Handstellung (Streckung des Handgelenks und der Zwischenfingergelenke bei spitzwinkliger Beugung der Fingergrundgelenke und Heranführung des gestreckten Daumens: sogenannte Pfötchenstellung) weisen darauf hin, daß diese Bewegungskombinationen in einem sehr alten Gehirnteil, den sogenannten Stammkernen, ihr Zentrum haben. Nur bei Wegfall des Großhirns und seiner Hemmungsfunktionen tritt also die Bewegungsunruhe ein. Dies lehrt uns, daß einem uralten Drange nach Spielen am Genitale ein schon erblich überkommener Hemmungsapparat gegenübersteht. Es ist wahrscheinlich, daß er funktionieren wird, wenn wir nicht mit läppischer Hand in das natürliche Getriebe eingreifen.
Ist schon die Tatsache an sich interessant, so scheint es mir fast noch bemerkenswerter, daß die häufig zu machende Beobachtung in der wissen- schaftlichen Literatur nicht verwertet wird. Wie ich mich durch Rundfrage bei zahlreichen Ärzten vergewissert habe, ist die Kenntnis der Tatsache geläufig. Aber man spricht nicht davon. Soll man nicht wissen, daß in jedem Menschen ererbte Antriebe zu Spielen am Genitale bestehen ?
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Zur Frage der Onanie des Kindes Von Josef K. Friedjung, Wien
Ungefähr zu derselben Zeit, da jene bekannte Diskussion über die | Onanie in der Wiener Psa. Vereinigung geführt wurde, erschienen kurz nacheinander zwei Arbeiten aus der Feder von Kinderärzten, Neter und Friedjung, über die Onanie im Kindesalter. Beide Autoren stellten die eroße Häufigkeit der Kinderonanie, auch schon im zartesten Alter, fest, beide konnten nichts über schädliche Folgen davon berichten. Heute möchte ich rückschauend prüfen, wie sich denn die Kinderärzte unserer Tage zu dieser wichtigen Frage stellen, und jene Fragen, die ich vor fünfzehn Jahren unbeantwortet lassen mußte, neuerlich aufwerfen.
Seit jener Zeit habe ich wiederholt im medizinischen, insbesondere pädiatrischen Zeitschriften die Sexualität des Kindes in mannigfachen Zusammenhängen erörtert und manches davon, wie die sogenannten Milieu- schäden und ihre Wirkungen, hat wohl allgemeine Annahme gefunden. Daß meine Darstellungen immer wieder darlegen mußten, wie meine unmittelbaren Beobachtungen an Durchschnittskindern die Thesen Freuds zur Sexualtheorie fast in allen Einzelheiten bestätigt haben, konnte ihrer Anerkennung begreiflicherweise nicht nützen. Das hatte nur zur Folge, daß mich pädiatrische Kritiker immer wieder unter die Psychoanalytiker einreihten, um vom offenbar viel zuverlässigeren „kinderärztlichen Stand- punkte“ solche verstiegene Darstellungen auf das richtige Maß zurück- führen zu können. Solch ein „richtiges Maß“ wird immerhin bereits zugestanden, ja, man stellt es gelegentlich so dar, als hätte man dies seit jeher gewußt, und als ziehe man nur gegen die „unzulässigen Ver- allgemeinerungen”, gegen die „Pansexualisierung“ und ähnliche Irrtümer zu Felde. Ich muß dann immer von neuem betonen, daß ich ja auch Kinderarzt sei und die ehrende, aber nicht ehrend gemeinte Zugehörigkeit zu den Psycho- analytikern in der Beweisführung ablehnen müsse. Und so ringt sich denn allmählich die Anerkennung der Tatsachen durch, und kleine Mitteilungen da und dort, so von Bodek über Aggressionen von normalen Kindern mit dem Ziele des Beischlafs, von F alkenstein über einen zwei- jährigen Masturbanten, ohne Affekt, höchstens noch mit Verwunderung dargestellt, wirken dabei dankenswert mit. In einer größeren Arbeit hat Villinger zur Onanie des Kindes Stellung genommen. Er anerkennt zuerst Freuds großes Verdienst um die Erkenntnis der Sexualität des Kindes, kritisiert aber im weiteren Gange seiner Arbeit fast alles wieder weg, was er eingangs anerkannt hat. Er stellt wohl fest, daß die kindliche Onanie keine sichtbaren Schäden zur Folge hat; wenn er aber zum Schlusse fordert, man müsse „die Schlange der Onanie abwürgen“, so fällt er zweifellos aus der Rolle ruhiger Sachlichkeit. Ein neuerlicher Versuch der Flucht vor den Tatsachen ist eine kürzlich erschienene Publikation von Faerber und Demetriades. Ihrem Lehrer Czerny war es
' aufgefallen, daß die Darstellung des Orgasmus onanierender Kinder bei den =
Autoren öfters an die eines epileptischen Anfalls gemahnt. Wird also nicht etwa manchmal ein Geschehen am Säugling für Onanie gehalten, das in Wahrheit ein epileptischer Anfall ist? Bei der Untersuchung dieser gewiß berechtigten Frage gehen die Schüler über die Absichten ihres Lehrers, der die Säuglingsonanie natürlich nicht anzweifelt, weit hinaus. Sie halten es für zulässig, die von Neter und von Frie djung vorgeführten Beispiele als epilepsieverdächtig zu bezeichnen, und fordern die Nachprüfung der Onaniefrage von diesem Standpunkte aus. Erst dann könne man der Frage nähertreten, „ob und wann wir überhaupt von einer Onanie bej Säuglingen sprechen dürfen“. So stark hat sich hier die unbewußte Tendenz durchgesetzt, daß es für die beiden Autoren fast eine Genugtuung wäre, wenn alle die gesunden Säuglinge, die bisher arglos onanierten, soweit sie es bis zum Orgasmus brachten, epileptisch wären.
Es bleibt nichts anderes übrig, als solchen Veröffentlichungen immer wieder die eigenen Erfahrungen entgegenzustellen. Allen unbewußten Verdunke- lungen zutrotz setzt sich die Wahrheit doch allmählich durch.
Und nun seien die alten Fragen neuerlich aufgeworfen! Wenn der Kinderarzt von der Onanie im allgemeinen keine üblen Folgen sieht, läßt sich dies auch von den Fällen sagen, welche regelmäßig in Orgasmus gipfeln oder welche ein exzessives Betreiben der Gewohnheit zeigen? — Ich habe nun schon eine recht große Zahl solcher Kinder heranreifen sehen ohne sichtbare Folgen solcher Onanie. Es scheint also, daß die Befürchtungen auch für sie unangebracht sind. — Zur Beantwortung der zweiten Frage, welches wohl die Gründe seien, warum manche Individuen später den Übergang von der Onanie zum normalen Sexualverkehr nicht finden können, vermag der Kinderarzt nichts beizutragen. Dies fällt in den Aufgabenkreis der Analyse derart Gehemmter. Wenn hier die Begleit- phantasien wirklich eine Erklärung geben können, dann wirft sich die F rage auf, ob sich auch bei onanierenden Kindern zugehörige Phantasien nachweisen lassen. An sehr jungen Kindern gelingt ein solcher Nachweis nicht; an älteren Kindern läßt er sich zuweilen erbringen. Ich kann Villingers Angaben nur bestätigen, daß etwa vom achten Jahre an solche Phantasien einbekannt werden. Sie sind bei Knaben auf ein weibliches Wesen gerichtet, enthalten etwa die Vorstellung der möglichst engen Annäherung des eigenen Genitales an das ähnlich gedachte der weiblichen Partnerin. Ein Knabe der Beobachtung Villingers dachte an das Genitale eines Freundes. Er hat sich später nicht homosexuell, sondern normal entwickelt. Auch mutuelle Onanie von Knaben führt nach diesem Autor nicht zur Inversion.
Ich habe in meiner Monographie auch darauf aufmerksam gemacht, daß die ziemlich häufige Angabe, ein Kind werde bald nach dem Einschlafen schweiß- bedeckt angetroffen, nicht auf Tuberkulose hindeute, sondern meist Mastur- bation vermuten lasse. Feer hat diese Angabe bezweifelt, ich kann sie dagegen mit vielen Beobachtungen stützen, und auch Falkensteins Fall bestätigt sie,
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Beitrag zu einer Onanie-Diskussion Von Dr. med. E. Hitschmann, Wien
Unsere moderne Stellung zur Onaniefrage ist das Ergebnis vermehrter und vertiefter analytischer Erfahrung.
Ob eine Onanie genital, extra- oder prägenital ist, ob sie gehemmt oder sorglos und voll befriedigend abläuft, macht einen großen Unterschied in deren Bewertung.
Nicht eigentlich die Onanie gehört in die Pathologie, sondern der Zwang zur Onanie oder die Angst vor ihr und ihren Folgen; diese gehören in die Psychopathologie.
Wichtig zu betonen scheint mir, daß es sozusagen ein physiologisches Minimum an Onanie gibt. Denn ein Ausbleiben der infantilen geni- talen Onanie, sei es durch Entwicklungshemmung, sei es durch Einschüch- terung, scheint nach Erfahrungen an Kranken ein erstes Zeichen einer
- unvollkommenen Sexualentwicklung und oft von einschneidender Bedeutung
zu sein. Die meisten Ärzte und Erzieher wissen nur die Genitalonanie zu verbieten (am Gliede und der Klitoris) und wissen gar nichts von der Onanie am After, Hodensack, Damm und bei Mädchen vom sitzenden Wetzen mit der unteren Kommissur (Winkel) der Scheide und dem Zusammenpressen der Schenkel. Diese entgehen daher der Beobachtung.
Eine mäßig ausgeübte, in der Latenzzeit unterbrochene, an der dem Geschlecht entsprechenden Leitzone sich abspielende Onanie, ohne wesentliche hypochondrische oder ethische Skrupel und mit vollem Orgasmus ablaufend, zeitigt keine Folgen für Neurose oder Sexualstörung, wenn sie mit nicht perversen, heterosexuellen Phantasien einhergeht. Ob und zu welchem seelischen Problem die Onanie führt, hängt natürlich vom Ichideal des Kindes ab. Ein Glück, wenn sie überhaupt nicht zum Problem wird!
Im Sonderheft „Sexuelle Aufklärung“ dieser Zeitschrift hat ein Psycho- analytiker erklärt: „Krankhaft ist nicht, wie allgemein angenommen wird, das Onanieren, sondern das Ausbleiben der Onanie“. Es ist jedoch festzustellen, daß praktisch in vielen Fällen keine Onanie zu beobachten ist, da sie unbemerkt und bald verschwindend gehandhabt wurde, d. h. die Genitalität kann doch erreicht sein, ohne daß klinisch Onanie festgestellt worden ist. Meiner Ansicht nach ist es in mancher Hinsicht günstiger, wenn ein Kind spontan wenig onaniert, nicht früh befriedigungsbedürftig ist, sondern die Frühreife ausbleibt.
Was die seinerzeit von Freud beschriebene (sexuelle) N eurasthenie anlangt, die auf gehäuften Pollutionen oder exzessiver Onanie beruhen sollte, so sehen wir diesen Symptomenkomplex von Kopfdruck, Spinal- irritation, Ermüdbarkeit, Obstipation, Dyspepsie und Flatulenz jetzt nur selten, und dann nicht als Folge exzessiver Onanie, sondern im Gegenteil bei solchen Menschen, die unvollkommen sexuell entlastet sind, weil sie-
extragenitale und unvollkommene Masturbation treiben und einer vollen orgastischen Befriedigung entbehren. Sie leben eher in sexueller Stauung,
und es scheinen die Symptome der Obstipation, der Flatulenz und des
sekundären Kopfdruckes dem analerotischen Symptomkreis anzugehören (spastische, vielleicht reflektorische Obstipation).
Patienten, auch beobachtet in Perioden exzessiver Onanie, wie sie gelegentlich im Verlaufe von Psychoanalysen eintreten können, zeigen keine neurasthenischen Folgen; ebensowenig Perverse, die durch die Selbst- befriedigung die schwer erreichbaren realen Befriedigungen Jahrzehnte hindurch ersetzen. Wenn Haarmann und Denke, die Massenmörder und Sadisten, ihre Befriedigung durch Masturbation zu finden gewußt hätten, wäre viel Unglück vermieden worden!
Bei der Behandlung der Impotenz und Frigidität ist es manchmal günstig, dem Patienten (während der Psychoanalyse), die Onanie wieder aufzunehmen, mindestens zu gestatten; so gut wirkt diese als Überwindung der einstigen allzuheftig gewesenen Onanie-Angst.
Noch erzieht und berät im allgemeinen eine Generation von Ärzten und Eltern, die unter dem Irrtum der Medizin und Pädagogik aufgewachsen sind, daß die Onanie körperlich schade, schwäche und auch Folgen für die geistigen Fähigkeiten bringe. Wenn eine spätere Generation besser orientiert sein wird, so wird ein wesentlicher Grund für die Entwicklung eines sexuellen Schuldgefühles bei den Heranwachsenden wegfallen. Andere Gründe, wie die Phantasien des Ödipuskomplexes, bleiben weiter bestehen. Man muß aber noch bedenken, daß es auch für die Ausbildung von Schuldgefühl und Kastrationsangst ererbte Anlagen verschiedenen Grades gibt.
Die Erkenntnis von der Unschädlichkeit der Onanie, die eine über den Menschen liegende Verdüsterung zu vertreiben geeignet ist, wird ein freieres und schonungsloseres Liebesleben herbeiführen. Die Potenz wird eher eine größere sein. Nun hat aber Freud mit Recht gesagt: „Lugend bei voller Potenz wird meist als eine schwierige Aufgabe erfunden.“ Und weiter: „Eine gewisse Herabsetzung der männlichen Potenz und der mit ihr verknüpften brutalen Initiative ist kulturell recht verwertbar. Sie erleichtert dem Kulturmenschen die Einhaltung der von ihm geforderten Tugenden der sexuellen Mäßiegkeit und Verläßlichkeit.“ Man wird aber erwarten müssen, daß für die psychische Gesundheit die günstigen Folgen der neuen Erkenntnis überwiegen. Die charakterologischen Folgen des neuen Zustandes sind ebenfalls sehr zu bedenken; ist doch die ‚Onanie ein wichtiger Kampfboden für „Geist“ und „Fleisch“.
Die Devise des Arztes und Erziehers heißt jetzt nicht mehr: Behüte das Kind vor allem vor jeder Onanie! Sondern sie lautet: Behüte das Kind vor den Folgen der Einschüchterung. Denn auch längere Onanie-Perioden hören spontan auf.
Die Zwangsonanie und die Angst vor Folgen der Onanie erfordert psychoanalytische Behandlung und Aufklärung. |
Bei intensiver kindlicher Onanie eingreifend, darf der Arzt die Unter-
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suchung des Genitales nicht unterlassen und Phimose, Balanitis sowie eventuelle Konkremente auch am weiblichen Organ beachten. Die Abgewöhnung einer exzessiven Onanie geschieht am besten durch eine liebevoll geduldige Pflegeperson, die besonders abends, am Bette des Kindes, ablenkend, aber ohne jede Drohung bis zum Einschlafen wartet.
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Neue Forschungen zum Onanieproblem Von Dr. I. Sadger, Wien
Zwei Dinge bestimmen die Masturbation des Menschen entscheidend: der Kastrationskomplex und ein bisher noch wenig verstandenes Schuld- gefühl. All jene, die wegen Onanie mit Entmannung bedroht wurden, sind in diesem Tun fortab gehemmt. Entweder sie können es überhaupt nicht mehr oder machen es in ungeschickter Weise: sie können die Hand nicht mehr zu Hilfe nehmen. Wenn solche Leute nicht masturbieren, so rührt dies nicht daher, daß sie braver sind, sondern weil sie frühzeitig in der Onaniebetätigung gestört wurden. Es ist auch sehr wichtig, ob“ einer beim Masturbieren erwischt ward oder nicht. In jenem Fall wird er zumindest ausgescholten und hat dann seine Strafe dahin. In diesem hingegen entwickelt sich ein schweres Schuldbewußtsein, das immer wieder zum Geständnis drängt. Aber freilich wirkt noch ein anderes mit, was später ausgeführt werden soll: die Phantasien nämlich. Und auch hier entscheidet, daß man bei diesen nicht erwischt ward, richi’ver gesagt, nicht erwischt werden konnte.
Wir wissen, daß der Säuglings- und Kleinkinderonanie kein Sterblicher entgeht, wenn jene gemeinhin auch nur leidend erfahren wird. Die Masturbation der Reifezeit ist ferner so häufig, daß man sie mit Grund geradezu als Regel bezeichnen darf. Gleichwohl gibt es Menschen, die in Wahrheit und ehrlich behaupten dürfen, sie hätten jener Selbstbefriedigung niemals gefrönt, d. h. natürlich in der Pubertät und späteren Kindheit, die von der Erinnerung noch beleuchtet werden. Geht man diesen Fällen nach, so stellt sich heraus, daß auch ihnen kaum je die typischen sexuellen Wünsche fehlten, bloß daß sie nie zur peripheren Reizung der Geschlechts- teile führten. Trotzdem werden die Nervenärzte einer solchen Bravheit nicht recht froh. Lehrt doch die Erfahrung, daß Leute, die einer Pubertäts- onanie nicht unterlagen, durchaus nicht die gesündesten sind, vielmehr überwiegend einer schweren Neurose oder gar der Schizophrenie verfallen. Wir sind darum im Verlauf einer psychoanalytischen Behandlung direkt angenehm berührt und betrachten es als Erfolg derselben, wenn jene Kranken wieder zu masturbieren anfangen.
Dies hat einen tief-psychologischen Grund. Was ging denn in jenen Leuten vor, die von der Regel abwichen und in der Reifezeit keine
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onanistischen Gelüste verspürten ? Daß auch sie nicht frei waren von den verschiedensten sexuellen Wünschen, lehrt jede Nachprüfung. Sie haben also bloß die Betätigung an den Genitalien verdrängt, und zwar, wie sich : ausnahmslos herausstellt, infolge von Entmannungsdrohungen einer frühen : Kindheit. Versagten sie sich nun um dieser willen die lustvolle Reizung der Geschlechtsteile, so schwelgten sie dafür meist um so stärker j in geistiger Onanie. Sie jedoch ist dann regelmäßig mit schwerem Schula- bewußtsein behaftet, weit mehr als etwa die Önanie selbst exzessiver Masturbanten und wird auch von Laien trotz gegenteiliger ärztlicher Belehrung stets wieder als Quelle der Neurose und Psychose betrachtet.
Und, wie mich dünkt, mit vollem Recht. Jede Masturbation geht ursprünglich ja auf Eltern und Geschwister, an deren Stelle von der Pubertät ab erst andere treten. Diese Übertragung auf sozusagen erlaubte Objekte fällt nun bei geistiger Onanie meist weg. War doch die Drohung mit Kastration, um derentwillen man später der äußeren Betätigung ent- sagte, ausgesprochen worden zu einer Zeit, da man andere Liebesobjekte & kaum noch kannte, als bloß die genannten Inzestpersonen. Außerdem galt das strenge Verbot nur dem Spielen am Genitale, die eigentlich gefähr- : "lichen Begleitphantasien blieben jedoch den Eltern unbekannt, so daß sie der Verwerfung entgingen. Unterdrückte man später in nachträglichem Gehorsam das periphere Tun, so blieben dann die Inzestgedanken von jener Unterdrückung völlig verschont und konnten ihre verhängsnisvolle Wirk- in samkeit entfalten. Ursprünglich hafteten die Kastrationsdrohung und das = schwere Schuldgefühl bloß an der manuellen Betätigung. Nun wich man nach der psychischen Seite aus und merkte erst zu spät, daß sich das = Schuldgefühl auch auf diese verschob, ja, sich da erst recht festsetzte. „Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben!“ &
Ganz anders erging es dem gewöhnlichen Wald- und Wiesenonanisten, 5 Dieser hat der Kleinkindermasturbation genau so gefrönt wie der andere, sich dann aber nicht abschrecken lassen, in der Reifezeit need ee seinen Gelüsten nachzugehen. Nur ist ihm unterdessen unumstößliche | 7 Überzeugung geworden, daß Inzestpersonen nicht begehrt werden dürfen, weshalb er dann auf andere erlaubte Sexualobjekte überträgt, an denen naturgemäß kein Schuldbewußtsein haftet. Ist jener der Erledigung de = Onaniekonfliktes ausgewichen, indem er aus Kastrationsangst jedes periphere Tun unterdrückte, um dafür desto ärger und andauernder in Phantasien zu schwelgen, so hat dieser bloß seine Inzestgedanken unterdrückt, was sozusagen der stammesgeschichtlichen Entwicklung entspricht, dafür sich aber das Spielen am Genitale gestattet." Man begreift jetzt, wie ausnehmend wichtig
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ı) Sehr gut erklärte einer meiner Kranken die Ursache des großen Schulqd- gefühls bei der geistigen Onanie: „Da ich noch ein Säugling war, hat Mutter mich oft gereinigt, indem sie mein Glied in die Hand nahm und daran riß. Beim Onanieren jetzt wiederhole ich bloß das Tun der Mutter und brauche mir darum keine Vorwürfe zu machen. Ganz anders stand es um die geistige Onanie, welches
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. es ist, daß die Masturbation der kleinen Kinder nicht gewaltsam unter- drückt wird, damit dann die Wege offen bleiben für die Onanie der Reifejahre. Hier dünkt mich auch ein Verständnis erschlossen für einen offen- kundigen Nutzen der Masturbation, Sie ist ein wahres Sicherheitsventil, dessen Fehlen zu schweren Schädigungen führen kann, zumal wenn früh- zeitige und allzu heftige Verbote der körperlichen Onanie erfolgten. Man braucht für sein Schuldgefühl, das zunächst aus dem Ödipuskomplex quillt, ja unbedingt eine verhältnismäßig harmlose Abfuhr. Wenn jenem die Neigung zur Selbstbestrafung durch Kastration entspringt, so wird diese am leichtesten und so gut wie unschädlich durch einen Masturbationsakt ‚vollzogen. Den Masturbanten erscheint die Onanie tatsächlich als Akt von Selbstkastration, man reißt sich sozusagen selber das Glied aus. Oder sie nehmen die Schmerzen nach exzessiver Onanie als F olge der Entmannung. So meinte ein Kranker: „Ich habe als Kind oft derart heftig onaniert, daß ich mir den Penis aufrieb, starke Schmerzen empfand, ja, gelegentlich sogar Blut aus ıhm floß. Dies sah ich dann als Beweis dafür an, daß auf die Onanie Kastration erfolgt.“ Und von einer Masochistin, die besondere Lust vom Geschlagenwerden hatte und mit solchen Vorstellungen auch masturbierte, hörte ich folgendes Geständnis: „Als ich beim Vater meine ersten geschlechtlichen Gefühle beim Geschlagenwerden hatte, verband ich damit den Begrifil, wenn man schon das schlimme Sexuelle tut, so muß man wenigstens gleichzeitig die Bestrafung dabei haben. Später, wenn ich ganz bewußt onanierte, tat ich es nicht aus masochistischem Vergnügen, sondern um mein Schuldgefühl herabzudrücken, in einer Weise, die mir eigentlich nicht angenehm war. Ich habe etwa daran gerissen oder mich mehr gestoßen, nicht die einfache Vergnügungsonanie, die mir recht angenehm gewesen wäre. Ich dachte: es sollen schon die Säfte heraus- kommen, die mich so belästigen, — von innerer Sekretion hatte ich gehört, _— aber es soll wenigstens möglichst unangenehm ausfallen, um mich gleich- zeitig auch ein bißchen abzuschrecken. S In meiner „Lehre von den Geschlechtsverirrungen“ habe ich in ‚großen Zügen Nutzen und Schaden der Onanie zusammengestellt. Hier noch ein paar Ergänzungen: Wir sind nicht imstande, mit Sicherheit anzugeben, wann die Onanie schädlich ist und wann nicht, ebensowenig wie von der Sexualität überhaupt. Man kann vielleicht drei Faktoren unterscheiden: ı) die Quantität der Schädlichkeiten; 2) das Zusammenwirken mit anderen Einflüssen, vornehmlich ob man neben der Sexualität noch Sonderleistungen zu vollbringen hat. Maßgebend ist da der Gesichtspunkt der Ökonomie. Um ein Beispiel aus ähnlicher Sphäre zu geben: es ist einem Geschäfts-
manne nicht gerade rätlich, sich eine kostspielige Maitresse zu halten. Und
ich in der Pubertät betrieb. Wenn ich am Gliede etwas mache, das sieht die Mutter. Doch daß ich Gedanken auf sie habe, kann sie mır nicht ansehen. Da frönte ich also einer Gedankenlust, von der ich wußte, Mutter würde sie mir jetzt aufs schärfste
verbieten, wenn sie es wüßte. Drum damals mein enormes Schuldbewußtsein.“
doch tun es manche und werden trotzdem immer reicher. Hat der
Betreffende aber einmal ein schlechtes Geschäftsjahr, dann geht er an jener
Maitresse zugrunde An den Masturbanten dürfen auch keine zu großen
Sonderleistungen herantreten, ansonsten versagt er. Der ganze Schaden der
Onanie kommt da zutage. Der dritte und entscheidenste Faktor ist endlich die besondere Konstitution. Wir nennen nämlich den Rest der Verursachung, über den keine weitere Auskunft zu geben ist; konstitutionelle Veranlagung, die also eine Diagnose ex posteriori darstellt. Vermutlich spielt bei dieser auch mit, wie der Masturbant auf den Kastrationskomplex reagiert. Der Nutzen der Onanie tritt besonders bei ihrer therapeutischen Wiederkehr während der psychoanalytischen Behandlung zutage. Soundsoviele Neurosen beruhen nämlich darauf, daß der Kranke seine Masturbation aufgegeben hat. Und es ist als Fortschritt zu begrüßen, wenn der Kranke wiederum zu onanieren anhebt, demnach zum Ausgangspunkt seiner Neurose zurück- kehrt. Selbstredend muß er dann zum Normalen hinübergeleitet werden. Ein weiterer Nutzen der Onanie ist, daß sie gleichsam die Exekutive der Phantasie bildet. Das Reich der Luftschlösser bildet ein Mittelreich zwischen den Reichen der Lust und der Realität. Das Phantasieren ist ein Kompromiß, das nur einen vernünftigen Ausweg hat: beim Kinde im Spiel, beim Erwachsenen in der Kunst. Sonst aber gestattet es dem Menschen, all jene Fortschritte zu machen, die er eigentlich doch nicht macht. Er wählt sich z. B. ein Sexualobjekt, lebt für dasselbe, andererseits aber vermeidet er jede Wirklichkeit und handelt allein nach dem Lust- prinzip, wie das ganz kleine Kind. Also nach dem Lustprinzip handeln und dabei sexuelle Fortschritte erzielen, die sonst nur in Wirklichkeit zu machen sind, erlaubt das Zwischenreich der Phantasie, und das wird erst möglich durch die Masturbation, mit der die Phantasien meist enden. Freilich ist es keineswegs gleichgültig, ob man einen Fortschritt der Ent- wicklung in Wirklichkeit macht oder in der Phantasie.
Es scheint auch, daß die Kleinkinderonanie, die technisch begründet
ward durch die unerläßliche Säuglingspflege, an der Hand der Einbildung
erst zur Übung wird. So berichtet Hirschsprung von einem dreizehn- monatigen Mädchen, das nach Angabe der Eltern schon acht Monate seine „Anfälle“ hatte, d. h. masturbierte. „Während des Anfalles betrachtete das Kind mich — ich stand dicht dabei und es hatte mich den Augenblick vorher gar nicht leiden mögen — mit schmachtenden Augen.“ Vermut- lich erblickte es da in Hirsch sprung den geliebten Vater, den es in den Arzt hineinpantasierte. Ähnlich berichtet Ludwig Fleischmann von einem masturbierenden männlichen Säugling, dessen Glied steif wurde bis zur Größe eines kleinen Fingers und der dann alle Zeichen des Orgasmus zeigte: „Dabei ist das Kind gegen alle Liebkosungen der Eltern taub und unempfänglich.“* Das heißt wohl: was diese ihm an Liebe gewähren,
ı) Beide Fälle sind ausführlicher beschrieben in meiner „Lehre von den Geschlechtsverirrungen“, $, 43.
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geht lange nicht so weit und ist entfernt nicht so lustvoll wie seine Önaniephantasien. Wenn der kleine Bub in seiner sexuellen Blütezeit, zwischen drei und fünf Jahren, abermals zu masturbieren anhebt, stellt er sich dabei die sonst unerreichbare Mutter vor, das kleine Mädchen wieder den Vater, was dann beides in der Reifezeit zunächst wiederholt wird. Im Reich der Luftschlösser wird demnach sonst völlig Unmögliches möglich gemacht, zunächst auf sexuellem Gebiete, in der späteren Kindheit und der Pubertät dann auch auf anderen.
Nun ein weiterer Beitrag zum Schuldgefühl und zur Kastrationsangst aller Masturbanten. Wir wissen, daß jahrelang betriebene Onanie die geschlechtliche Leistungsfähigkeit stark herabsetzt, und zwar sowohl irgendwie organisch (toxisch oder endokrin), als auf dem Umweg über die Psyche. Letzteres regelmäßig als Ausfluß mächtiger Kastrationsangst wegen verbotener Inzestphantasien. Wenn ein solcher Masturbant zum erstenmal dem Weibe beiwohnen soll, pflegt sein Glied sich förmlich zusammen- zuziehen, aus Selbstkastration von infantiler Kleinheit zu werden. Ganz unbekannt ist uns noch zur Stunde der toxische oder endokrine Mecha- nismus, welcher die Potenz der Onanisten schädigt. Doch hüte man sich, die Bedeutung desselben zu unterschätzen. Es gibt da eine Analogie zur . Angst. Diese gehört bekanntlich zu den schwer deprimierenden Affekten, und sie vermag ausnehmend toxische Wirkung hervorzurufen. Wer in chronischer Angst und Sorge lebt, verliert an Gewicht und Turgor der Gewebe, Gefäße und Herz gehen ziemlich rasch einer Degeneration ent- gegen. Ausgenommen ist da bloß der Fall, daß jene Angst rein neuro- tischer Art ist, der Libido entsprungen. Denn eine solche Angst ist trophisch unschädlich. Man kann Patienten mit jahrelanger neurotischer Angst ohne diese schädigende Wirkung sehen. Hier ist die Angst nur ver- wandelte Libido, während die normale Angst mit Libido nichts zu tun hat. Das Schuldgefühl des Onanisten ist nun nichts anderes als eine psychisch gebundene Angst vor der Kastration. Die Verdrängung geht hier von sexuellen Faktoren aus. Auch hängt das Schuldgefühl davon ab, ob der onanistische Akt befriedigend war oder nicht.
Es ist auffallend, daß fast sämtliche Menschen, die nicht gerade Medi- ziner sind, die Masturbation erst gegeben erachten, wenn zum Schlusse ein Erguß erfolgt.‘ Nach dieser Anschauung gibt es demnach keine wahre Onanie vor der Pubertät. Sollte dieser Anschauung, so wenig sie sachlich gerechtfertigt erscheint, nicht doch eine Wahrheit zugrunde liegen? Wie, wenn der Abgang des Sekretes eine ganz maßgebende Bedeutung hätte, die Masturbation überhaupt erst vollendete? Der Verlust des Samens gilt ia so vielen gleichzeitig als Sühne und Kastration. Da wäre also in einem Tun sowohl Lust als Strafe und jene durch diese neutralisiert, was das
ı) Einer meiner Kranken, der mit dreizehn Jahren zu einem regelrechten Koitus verleitet wurde, und diesen ohne Schwierigkeit vollzogen hatte, wollte ihn doch nicht als Geschlechtsakt gelten lassen, weil er damals noch keinen Samen produzierte.
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beladener pflegt er zu sein. Wir wissen ferner: je mehr die Phan
"überhaupt nur Phantasien ohne andere Absonderung als Urin. Schon da
Schuldgefühl aufhebt und damit auch den seelischen Schaden, zumindest für einen Großteil der Fälle. Je minder ein Mensch sich physisch ausgibt, = desto eher betreibt er dann geistige Onanie und desto schuld-
tasien an die Mutter oder eine andere Inzestperson fixiert sind, desto höher steigt auch das Schuldbewußtsein. Nun gibt es in der Kindheit
aber wird der Grund gelegt zu einem oft mächtigen Schuldgefühl aus dem Ödipus-- und Kastrationskomplex heraus und, wenn da gar -z _ Elternteil verstirbt, kann jenes sich ganz maßlos steigern, bis zu schweren i kindlichen Depressionen. Für gewöhnlich bleibt es allerdings in gemäßigten 3 Grenzen und wird in der späteren Pubertät beim Jüngling durch reich- & ' liche Ejakulationen (Onanie und Pollutionen) neutralisiert, bei der Jung- | frau durch die — Menstruation, welche ihr als symbolische Kastration erscheint. Man erkennt auch hier die große entlastende Bedeutung der :
Pubertätsonanie und der Pollutionen und wie verhängnisvoll es werden
kann, wenn jene allzu heftig bekämpft wird.
Noch eins ist beachtenswert: die wechselnde Konsistenz des Samens, je nach der begleitenden Phantasie. „Wenn man an nichts denkt“, sagte mir a ein solcher Masturbant, „dann ist er wässerig und dünn, stellt man ich Su aber etwas Besonderes vor, z. B. die Mutter, wird er dick wie Kleister.“ Auch das Schuldgefühl wird durch diese Beschaffenheit mitbestimmt, War der Samen dünn wie Urin, dann hat man die Mutter bloß angepißt, was ja das Kind aus Liebe tut, ohne dafür gemeiniglich bestraft zu werden. Der dicke Samen aber kann die Mutter befruchten, und das ist Tabu. Man hört nicht selten von seinen Kranken, in der Jugend hätten sie geglaubt, mit der Mutter E 4 den Geschlechtsakt oder etwas Analoges auszuführen, sei nicht verboten, verpönt sei nur, ihr — ein Kind zu machen. Ersteres tat man ja nicht selten, = S 4 indem man sie anschiffte, letzteres blieb ausschließlich Recht des Vaters,
Von den Masturbationsphantasien auf die Eltern und dem sie bepler . E tenden Schuldbewußtsein rühren auch allerlei sonderbare Vorstellungen der Pubertät. So erzählte eine Kranke: „Mit zehn, elf Jahren redete ichs ER mir ein, wenn man onaniert, ist man Kehas Jungfrau mehr und kann = davon auch Kinder kriegen, offenbar wegen meiner Wünsche auf den Vater. Wenn ich dann eine Zeitlang nicht unwohl wurde, dachte ich: jetzt 3 F kommt wirklich ein Kind!“ Und eine andere, die ich in meiner Lehre von den Geschlechtsverirrungen anführte (S. 100), klagte einmal: „Mich dünkt, ich habe durch die Onanie für immer die Fähigkeit zu lieben verloren und aus Mangel an Liebe kann ich vom Manne nicht empfangen. 3 Mir war, infolge der Selbstbefriedigung sei innerlich etwas zerstört in mir und darum könne ich keine Kinder kriegen. Auch hörte ich, daß Mädchen, die onanierten, für den normalen Geschlechtsverkehr keine Empfindung | mehr haben. Dann würde ich auch deshalb kein Kind mehr bekommen, so als ob ich den Samen des Mannes nicht aufnehmen könnte, Ich
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dachte: nur wenn man etwas empfindet, kann man schwanger werden.“ Endlich möchte ich an jene Ehemänner erinnern, die trotz des befrie- digenden Beischlafs nachher noch masturbieren müssen. Das erklärt sich nach dem Ausspruch eines Kranken so: „Das Unbewußte hat zur Mutter gedrängt, das Bewußte aber zeigte mir, daß es die Mutter doch nicht ist, und dann habe ich einfach in der Onanie meiner Mutter beigewohnt.“ Bei der Masturbation spielt die Hand, die onaniert, die Rolle der pflegenden, säubernden Mutter,’ was nebenbei auch eine Wurzel der Identifikation bildet, während sie in den Begleitphantasien masturbierender Mädchen auch die Hand des Vaters darstellen kann. Deshalb ist auch der Koitus ein so schlechter Ersatz für die Onanie. Denn jenen treibt man ja nie mit den Eltern, sondern lediglich mit einer fremden Ferson, gewöhnlich auch einer kindheitsfremden, die bestenfalls ein dürftiger Elternersatz ist. Je häufiger man mit der Vorstellung jener masturbiert hat, desto schwerer fällt es, zu vollem Genuß bei Ersätzen zu kommen. Man wird dann sehr leicht impotent oder mindestens anästhetisch, selbst als Mann. Bekannt ist auch die regelmäßige Leistungsunfähigkeit des Jünglings, wenn er das erste- mal eine Dirne besucht. Sie wird gewöhnlich erst dann behoben, wenn die Dirne sein Mutter-Ideal erfüllt, d. h. ihm an den Phallus greift und dort onaniert, was auch einst bei der Kinderpflege die Mutter besorgte. Neben der bewußten, lehrbaren Selbstbefriedigung gibt es auch eine unbewußte, z. B. die im Schlaf geübte, von der der Betreffende dann
nichts weiß. Auch sie hat nützliche und schädliche Wirkungen. Zur
unbewußten Onanie sind auch die neurotischen Anfälle zu rechnen, in
welche sich der Kranke versetzt, um masturbieren zu können. Dies scheint
das Geheimnis vieler hysterischer Anfälle zu sein, die oft nur darum veranstaltet werden, damit der Patient onanieren kann. Auf der Höhe des Anfalls findet unter den Zuckungen auch die Onanie statt. Ebenso ist es auch mit manchen Zwangsbewegungen. Eine Reihe von solchen ist so weit verändert, bis sie die ursprüngliche Selbstbefriedigung wieder herstellen. Zum Schlusse will ich noch zwei Erkennungszeichen infantiler Onanie
anfügen, die wenig bekannt sind. Wenn Kinder sich gute Sachen aufheben, _ De REENENTUL LLLET BB. SEE a ee : re E BBERERBER AFFEN ar ae sie sich zu essen nicht gönnen, ist dies_ein untrug liches Zeichen von
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unentdeckter Selbstbefriedigung,., Diese Kleinen warten, bis bessere Zeiten kommen, dh bis sie besser werden und nicht mehr masturbieren. Das Kind macht sich Vorwürfe, daß seine Onanie nicht entdeckt und bestraft wurde, es steht im Abwehrkampf dagegen. Friedjung hat ferner aufmerk- sam gemacht, daß die Genitalien ‘m Zusammenhang mit der Selbst- befriedigung eine besondere Betonung erhalten. Ein Kind, das sich nicht sehr mit seinen Geschlechtsteilen beschäftigt hat, wird nichts daran finden, sie herzuzeigen, sobald es etwa vom Arzt verlangt wird. Demonstriert es Schamgefühl, dann ist Onanie vorausgegangen.
ı) Es ist auffallend, wie oft die Onanie aus freien Stücken aufgegeben wird, sobald man in der Psychoanalyse den Mutterkomplex bewußt gemacht hat.
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Die allgemeine Verschwörung zur Verleugnung' 1 Von Mary Chadwick, London E
Aus verschiedenen Gründen habe ich der folgenden Abhandlung diesen Titel gegeben. In erster Linie, weil eine Generation von Eltern nach der andern fortfährt, ihre traditionelle Haltung von Mißbilligung und Entsetzen gegenüber den onanistischen Betätigungen der kommenden Generation aufrechtzuerhalten, indem sie so entweder stillschweigend oder mit Worten verleugnet, ihnen selbst jemals gefrönt zu haben. Sie ermahnt das Kind oder den Jugendlichen unter Androhung von Strafe und schrecklichen Folgen, davon abzulassen, obgleich sie keinen wirklichen Beweis für die Wahrheit ihrer Behauptungen hat, und verlangt gleichzeitig vom Kind, auf ein offensichtliches Vergnügen zu verzichten, ohne ihm dafür eine hinreichende Entschädigung zu bieten, außer der Vermeidung von Schuldgefühl, böser Folgen oder Bestrafung. Dieses elterliche Verbot, das vom Kinde auf die autoerotische Befriedigung wie auch auf den späteren Geschlechtsverkehr ausgedehnt wird, wird nach Ansicht der Psychoanalyse zu einer wichtigen Ursache von Schuldgefühlen, die die spätere Libido- entwicklung belasten. |
Eltern und andere für Kinder verantwortliche Personen treiben gelegentlich die Unehrlichkeit noch weiter und leugnen, daß ihre Kinder, die offenbar unter zu strengen Maßnahmen, die jene Gewohnheit unter- drücken sollten, leiden, jemals bestraft oder auch nur in der Ausübung gehemmt worden seien, während man späterhin die volle Überzeugung gewinnt, daß sie tatsächlich zuweilen die energischesten Schritte unter nommen haben, um Rückfälle zu verhindern, und andererseits vernimmt 7 man von ihnen die Klage, daß ihr Kind dieser Gewohnheit verfallen ist, EN ohne daß sie imstande sind, eine Auskunft über die Gründe zu geben, ne welche sie zu dieser Schlußfolgerung geführt haben.
Diese allgemeine Verschwörung zur Verleugnung ist ebenso weit verbreitet, als sie vollständig ist bei denen, die sich ihrer bedienen. Eltern, Lehrer und sogar Ärzte (mit sehr wenigen Ausnahmen) halten an den Trug- schlüssen über die schrecklichen Folgen der Masturbation fest und schreiben, freilich oft anonym, Bücher, um vor den Gefahren der Selbstbefleckung BE zu warnen, wobei sie sich einer Sprache bedienen, die kein gewöhhlicker junger Mensch verstehen könnte, der nicht über eine ungewöhnliche ; Erfahrung in diesen Dingen verfügt.
Wir müssen uns wohl fragen, warum Eltern und andere Erzieher auf dieser kurzsichtigen Politik beharren und sich weigern, die Dinge zu sehen, wie sie sind, da es ja augenscheinlich ist, daß die physiologischen Folgen der Masturbation von sehr geringer Bedeutung sind, gemessen mit denen, die durch das Schuldgefühl und die Konflikte in der Seele des
ı) Aus dem englischen Original übersetzt.
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Kindes entstehen als Folgen der vorbeugenden Maßnahmen der Erzieher. Nach den Ergebnissen der psychoanalytischen Forschungen ist die Antwort darauf nur zu finden in der frühen Entwicklungsgeschichte dieser selben Leute hinsichtlich ihrer eigenen Unterdrückung dieser fast allgemeinen Libidoentladung. In der Behandlung der ihnen anvertrauten Kinder wieder- holen sie gläubig und ohne zu zweifeln das Betragen der Erwachsenen, welche für ihre eigene Erziehung in der Kindheit verantwortlich gewesen waren, ohne sich an ihre eigenen Erfahrungen, Konflikte und Nöte jener Zeit zu erinnern, und ohne jeglichen Versuch, diese Angelegenheit im Lichte ihres eigenen Gedächtnisses wieder zu erwägen. Ein, von Freud in „Hemmung, Symptom und Angst“, Seite s6, so klar unter dem Namen „Ungeschehenmachen“ beschriebener infantiler Mechanismus ist aller Wahrscheinlichkeit nach die Wurzel dieses Phänomens, welches wir, ohne Kenntnis der unbewußten Prozesse und des Schuldgefühls, als Heuchelei aufgefaßt hätten, und der analog ist der von Nietzsche in „Jenseits von Gut und Böse“ beschriebenen Übung in dem Streit zwischen dem Gedächtnis und dem Stolz des Menschen: ‚Das habe ich getan‘, sagt mein Gedächtnis. ‚Das kann ich nicht getan haben‘, sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich gibt das Gedächtnis nach.“ — Wenn man also klare Tatsachen verleugnet und solche aktive Schritte unternimmt, um das auszulöschen, was einst ein persönliches Vergnügen war, so mag es wohl zu gleicher Zeit auf der unbewußten Stufe eine Sühne für vergangene kindliche Schuld sein durch den Prozeß des „Ungeschehenmachens“, als ob es niemals vorgekommen wäre, und andererseits auf der bewußten Stufe dazu dienen, die Tatsache zu verbergen, daß sogar jetzt die Angelegenheit von überwiegendem Interesse ist, aber sich infolge Unter- drückung nur in negativer Weise äußern darf.
Die psychoanalytische Forschung hat uns durch den Mechanismus der Reaktionsbildung belehrt, aus der Summe der gegen eine seeliche Tendenz gerichteten Feindseligkeit auf die frühere Stärke des ursprünglichen Impulses im Seelenleben zu schließen, und so müssen wir annehmen, daß diese jetzt so strengen Eiferer gegen die Masturbation einst besonders stark dieser Gewohnheit verfallen waren. Ihre Drohungen und Strafen scheinen mehrfachen Zwecken zu dienen, zuerst dem der Rechtfertigung, als ob sie sich sagten: „Ich bin es nicht, der dieses Vergnügen wünscht, ein anderer ist der Schuldige“, dann der Selbstbestrafung durch Identifikation mit dem Sünder, und wohl auch einer Flucht vor der Versuchung, welche sie wieder überfallen könnte, wenn sie sich nicht die vermeintlichen schrecklichen Folgen beständig vor Augen hielten.
Diese Tendenz, eigene Impulse bei anderen anstatt bei sich selbst zu sehen, kann häufig bei Erwachsenen beobachtet werden, während sie gleichzeitig irgend eine pseudomasturbatorische Betätigung verschleiert, denn es ist gar nicht selten, daß die streng oder frühzeitig unterdrückte Onanie in irgend einer Kompromißform fortgesetzt wird, wobei man die
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gleiche libidinöse Befriedigung ohne Entdeckung oder Verbot von anderen, ja zuweilen sogar unbemerkt vom eigenen Über-Ich genießen möchte, Zu diesen pseudomasturbatorischen Akten kann man manche Tics oder Zwangshandlungen von rhythmischem Charakter rechnen, auch die Be- friedigung, die durch das Lesen gewisser Stellen eines Buches gewonne a wird, sowie Tagträume. Ohne diese Verkleidung würde so mancher, besonders der heikle Jugendliche, diese Form von Masturbation strikt ablehnen. 3
Wir können für diese seltsame Anomalie viele Beispiele bei den früher ge. Spielen zwischen Eltern und Kindern sehen. Sie sind in jeder Kinderstube E zu beobachten, abgesehen von der durch die Entdeckung der Psycho- analytiker jetzt allgemein anerkannten infantilen Reizung, die bei der = Säuglingen durch das Waschen und andere Pflegedienste, durch den Gebrauch von Klystieren und Thermometern verursacht wird. In diesem Zusammenhang mag es nicht uninteressant sein, festzustellen, daß in manchen englischen Büchern, die die Pflege kranker Kinder behandeln, gewarnt wird, bei der Verabreichung von rektalen Injektionen bei Mädchen vorsichtig zu sinn,
damit nicht die Röhre in die Vagina gerät, was also häufig vorkommen e muß, denn sonst wäre wohl eine Warnung nicht nötig. E- E
Eltern, welche an diesen masturbatorischen Spielen mit ihren Kindern | teilnehmen oder dazu den Anreiz geben, müssen ebenfalls unter der 2 Triebunterdrückung leiden, welche diese Form der Befriedigung nach sich Be zieht, denn zweifellos schöpfen sie ebensoviel Vergnügen daraus wie das ce Kind. Man braucht nur manche Spiele, die Erwachsene mit Kinde n a spielen, z. B. Huckepackreiten, Kitzeln, Tragen und ähnliches zu beobachten, ee . um diese Tatsache bestätigt zu sehen. Die augenscheinliche Freude, der 4 Eifer und das Behagen, womit der Erwachsene in die Sache eintritt, un 1 ne die‘ dabei sich entwickelnde Erregung beweisen zur Genüge, daß hier mehr als ein gewöhnlicher Spaß vorhanden ist. e: _-
Dieses Problem zeigte sich ganz klar bei einem kleinen Patienten von mir, einem zehneinhalbjährigen Knaben, der wegen nächtlichen Auf- e schreckens, Zurückbleibens im Lernen und mangelhaften Verhaltens in der Schule zur psychoanalytischen Behandlung geschickt worden war. Bea gehört zu seinen Hauptbelustigungen im Leben, auf die mannigfachste Weise und von den verschiedensten Leuten eine direkte genitale Reizung zu erzielen, sei es durch Pferdchenspielen, Huckepackreiten, Herumgetragen- oder Herumgeschlepptwerden, oder indem er sich auf einen Stuhl hinter die Leute setzte, so daß sein Genitale sich gegen sie rieb. Dies wurd N zu Hause ohne weiteres erlaubt und von den Eltern nicht bemerkt, bis sie darauf aufmerksam gemacht wurden. Als ich es dem Kinde klar machte, wurde es von ihm als etwas Selbstverständliches hingenommen, und es. schien zuerst mit keinerlei Schuldgefühl für ihn verknüpft zu sein. Er hatte auch die Gewohnheit, sich am Abend durch Befingern seines Genitales in den Schlaf zu bringen, indem er erklärte, er täte es, weil „es angenehm sei, er esliebe und es ihn zum Einschlafen bringe“. =
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Man hat sich gewöhnt, anzunehmen, daß diejenigen Kinder, welche frühzeitig einer strengen Behandlung wegen Masturbation unterworfen waren, ausgedehnte Hemmungen im anderweitigen Gebrauch ihrer Hände entwickeln, und daß bei ihnen der Tastsinn sowohl wie das autoerotische Vergnügen im Zusammenhang mit dem kinästhetischen Sinn geschwächt ist. Doch bei diesem Kind wurde als Ausnahme von dieser Regel scheinbar ein vollständiger Mangel an Schuldgefühl, die Masturbation betreffend, und keine typischen Hemmungen der Handbewegungen sefunden, aber späterhin wurde aus dem langsam zuströmenden Material ersichtlich, daß dieser offenbare Mangel an Schuldgefühl in betreff der bewußten Mastur- bation dem Zwecke eines mächtigen Abwehrmechanismus dienstbar war, der im Zusammenhang stand mit einem Pavor nocturnus, seiner lodesangst und den Todeswünschen gegen seinen Vater. Das nächtliche Aufschrecken
und die Angstträume schienen immer irgend eine Vorstellung der Urszene
auszudrücken. Da war eine gewaltige Maschine, welche eine eiserne Spitze in die Menschen hineintrieb oder von jedermanns Vorderseite ein Stück wegschnitt; Soldaten brachen durch das Dach ein und töteten alle, denen es nicht gelungen war, sich zu verstecken. In dem Maße, als ihm diese Dinge klarer wurden, nahmen die Masturbation, sowohl wie die Angst- träume an Häufigkeit ab, deren Zusammenfallen uns einen weiteren Beweis für ihre nahe Beziehung auf einer frühen Entwicklungsstufe zu liefern scheint. Es ist auch interessant, in diesem Zusammenhang iestzu- stellen, daß unter den Kindern und Erwachsenen, welche am meisten dem Trieb zur Selbstbefriedigung frönten, nach meiner Beobachtung solche waren, die in der Kindheit ein Entwöhnungstrauma erlitten oder an gastrischen Störungen gelitten hatten. Von diesem Kind war berichtet worden, daß es in der Kindheit an außerordentlicher Verdauungsschwäche litt, und daß es sehr schwierig gewesen war, es aufzuziehen. Wir wissen, daß der Säugling während des Sauggeschäftes gewöhnlich die weiche Haut der mütterlichen Brust, einen ihrer Finger, ihr Ohr oder einen Teil seines eigenen Körpers bearbeitet. Dieses Spiel stellt deutlich einen Ersatz für Selbstbefriedigung dar. Kinder, die während des Saugens eine Enttäuschung erfahren, indem sie nicht stark genug saugen können, um eine genügende Menge Milch zu erhalten, oder es ist davon nicht genug vorhanden, vertauschen oft ihre zärtlichen Handbewegungen gegen böse und zornige. Sie schlagen, kratzen oder kneifen die Mutterbrust, und zuweilen wollen sie auch die Brustwarze beißen, welche die begehrte Erfrischung zurückhält. Nun, diese beiden Formen der Berührung, die liebende und die hassende oder sadistische, findet man bei der Masturbation wieder. Das Kind wird seine Haut lieben, küßen oder streicheln, oder sich beißen, kratzen und schlagen. Man kann beiden Formen auch einen gewissen Wert als magische Gebärden beimessen, der einen, um aus der Mutter die gewünschte Nahrung herauszuschmeicheln, der anderen, um sie mit Gewalt zu erlangen oder die Versagung zu bestrafen. Die Berührung wird
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in jedem Falle mit der Art der Erfahrung innig verknüpft werden ei = s E
sich eventuell im Gemüt des Kindes als Gedanke festsetzen: „Was ich
auch tue, ich kann das Gewünschte nicht erreichen, meine Hände ind unnütz.“ Es darf nicht vergessen werden, daß auch die stillende Mutter en
das Kind an ihrer Brust oft zu streicheln oder sonst zu liebkosen pflegt, durch diese lustvolle Hautreizung das Vergnügen noch erhöht, so daß das
Kind später bestrebt sein wird, sich selbst diese Lust zu verschaffen. Ina diesem Zusammenhang wird die masturbatorische Betätigung geeignet, auf = 5:
dem Wege der Phantasie die Gegenwart, die Liebe und den Schutz der ae
Mutter wieder erleben zu lassen, indem sich das Kind als in den Armen der = =
Mutter liegend vorstellt, — und auf diese Weise wird der onanistische Akt verwandt mit den Zauberformeln der Primitiven, welche in Zeiten des Unglücks sich die ersehnte Situation durch eine symbolische Handlung herbeizuzaubern versuchen. — Während der im Jahre ı9ı2 in Wien stattgefundenen Onaniediskussion haben mehrere hervorragende Psycho- analytiker die Ansicht vertreten, daß Wiederkehr der Masturbation in der Kindheit am wahrscheinlichsten immer in einer Zeit der Versagung auftritt, zuerst durch die Entwöhnung, später durch eine Ungewißheit, ein Unglück oder eine Erniedrigung. Ich möchte meinerseits auch die Zeit des Zahnens dazurechnen. Wir müssen uns erinnern, daß für viele Kinder die Entwöhnung mit dem Durchbruch der ersten Zähne zusammenfällt und für solche Kinder praktisch die Einführung in den Schmerz bedeutet. Dieser betrifft nun den Mund, welcher bisher nur eine Quelle der Lust gewesen war, und das Kind versucht die Schmerzen des heißen, geschwollenen Zahnfleisches durch Reiben mit den Fingern zu lindern. Bei einem anderen meiner Patienten wechselte dieser Vorgang mit analer Masturbation ab. Der Mund und der Anus wurden in diesem Falle so sehr mit einander identifiziert, daß er im halbwachen Zustande den Sphinkter ani ext. von innen zu reiben pflegte, indem er nach dem Zahn als der Ursache der Störung suchte, und auch in wachen Masturbations- phantasien sich dieser Form der Reizung bediente und sich selbst als Mann und Frau zugleich vorstellte. Dies wurde gewöhnlich vor einem Spiege] ausgeführt. Es scheint, daß er als kleines Kind häufig Gelegenheit hatte, den Koitus seiner Eltern zu beobachten.
Es ist schwierig, festzustellen, wie man die durch die notwendige Körperpflege der kleinen Kinder erzeugte Reizung gänzlich vermeiden könnte, aber es scheint, daß sie sehr verstärkt wird in solchen Fällen, wo sie nicht nur der Notwendigkeit der Kinderpflege entspricht, sondern zugleich einen verkappten Lustgewinn für den Erwachsenen bedeutet, als eine unbewußte masturbatorische Befriedigung der Person, die das Kind wartet, — ein Standpunkt, der nicht oft genug berücksichtigt werden kann mit Rücksicht auf die Mechanismen der Unterdrückung Reaktionsbildung und des Ungeschehenmachens, und der zutiefst den Zweck der „allgemeinen Verschwörung zur Verleuenung“ erklärt.
Die Formen der Selbstbefriedigung Von Dr. med. Karl Landauer, Frankfurt a. M.
Das Genitale* ist durch seinen anatomischen Bau charakterisiert als ein Organ, das dem Menschen zahlreiche Empfindungen zu vermitteln hat. Diese sind für leichte Berührungen und Reibungen mit hohem Lustgefühl ausgestattet, So aber kommt der Mensch auf die Welt. Da das Kind in Umhüllungen gehalten wird und sich in ihnen bewegt, muß es unbedingt die Lust erfahren. Lust verlangt nach Wiederholung. So ergibt es sich, daß die Erneuerung dieser Lust sehr bald mittels des feinsten Instrumentes, über das das Kind verfügt, der Hand, gesucht wird, sobald sie eben einigermaßen imstande ist, geordnete Bewegungen auszuführen. Onanie ist also nicht erklärungsbedürftig.. Dementsprechend ist bei allen tief stehenden Idioten (ebenso wie bei den Tieren) die Lustbefriedigung durch Reiben des Genitales wichtige Lebensäußerung.
Beim gesunden Kind fehlt bald, wenigstens normalerweise, die au f- dringliche Betätigung am Genitale. Hemmungen, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe, wohl auf Grund ererbter Mechanismen, durch Erziehungsmaßnahmen aber in — meist übermäßige — Funktion gebracht, lassen die Selbstbefriedigung am Genitale zurücktreten, oft so weit, daß sie überhaupt mit gewöhnlichen Mitteln nicht mehr nachweisbar ist.
Berechtigt scheint die Frage, ob das Kind denn in der Tat auf jede Genitallust verzichtet hat, und auf Grund welcher anderen körperlichen Lustgewinne das Verschwinden erfolgt. Denn auf Lust wird nur zugunsten einer anderen Lust Verzicht geleistet, und in diesen frühesten Lebenszeiten, von denen wir hier sprechen, gibt es noch kaum „entkörperlichte“ geistige Lustmöglichkeiten,
In weitaus den meisten Fällen finden wir Lustgewinne noch aus dem Genitale, allerdings nicht mehr so unverhüllt wie beim Idioten, ruhig weiter bestehend. Das Verbot der Selbstbefriedigung, das ungefähr so gelautet hat: „Tuw’ deine Hände da unten weg!“, wird, wie die meisten Verbote, nur wörtlich befolgt. An Stelle der Hände treten einfach Schenkel, Kleider, Stuhlecken, Bettstücke usw. Der Befehl z. B., die Hände nicht unter der Bettdecke zu haben, wird getreulich befolgt, indem die Kinder das Kolter über dem Genitale hin und her reiben oder drücken. Manche halten sich schon strenger an das Verbot, das Genitale zu berühren. Auch dann sind Befriedigungsmöglichkeiten noch genug vorhanden: Die Zurück- haltung von Harn, aber auch Stuhl, bewirkt eine Überblutung der Becken- gegend und Erektion des Genitales.” Eine der wichtigsten Wurzeln des Zurückhaltens des Urins ist die Herbeiführung einer Schwellung des Genitales
ı) Wenn im Folgenden vom Genitale gesprochen wird, ist stets das äußere Genitale, und zwar beim Mann nur das Glied gemeint. 2) Beim Mädchen der Klitoris. Die frühkindliche Onanie des Weibes ist zunächst
fast ausschließlich Klitorisonanie.
und der daraus notwendig folgenden unwillkürlichen, bald auch unbewußt gewordenen Lust. Namentlich auch Reibungen und Erschütterungen des Gesäßes führen reflektorisch zur Versteifung. Des ferneren ist Angst außer- ordentlich häufig mit ihr verknüpft (wobei ich allerdings hier die Fre So nicht erörtere, ob die Erektion primär als Ausdruckserscheinung der Ano Ist
eintritt, oder nicht vielmehr umgekehrt, die Angst an die Selbstbefriedigun, ı 2 2 geknüpft wurde). =
Bei dieser Gelegenheit muß darauf hingewiesen werden, daß di & Erektionen durchaus gesunde Erscheinungen schon vom ersten Lebenstag an sind. Da zahlreiche Eltern fälschlicherweise meinen, daß das Glied sich normalerweise erst von der Reifung der inneren Genitalien, von der Pubertät an, versteife, suchen sie aufgeregt Rat bei Ärzten, die zum großen Teil, dank der heutigen Ausbildung, von $ diesen normalen Vorgängen nichts wissen. a
In sehr vielen Fällen wandert die Reizung und Befriedigung auf einen | anderen Körperteil ab. So behandelte ich einmal (wegen einer Zwangs- ER neurose) einen jungen Menschen, der morgens immer erst eine Zeitla ge seine Oberschenkel reiben mußte, weil sie ganz steif seien. Das Phänomen entpuppte sich als Kompromiß des Wunsches nach Unterdrückung der 3 genitalen Onanie mit der Unlust, auf den Reiz zu verzichten. Gar nicht selten sind es weiter abgelegene Organe, die die Rolle des Penis (Rlitoris), bzw. der Vagina übernehmen müssen. Die häufigsten sind für das männ- | liche Glied die Nase, die Zunge, das Ohrläppchen, das Kinn, die Hände, bzw. Finger, unter ihnen besonders der Daumen; für das weibliche die e Augen, der Gehörgang, der Mund und die Höhlen und Falten, vor allem die Achselhöhle, die Gesäßspalte und Afteröffnung. Man kann jedoch“ sagen, daß es kein Organ gibt, das nicht unter gewissen Umständen für die Genitalien — und zwar für beide — eintreten kann. Und all diese Organersetzungen finden wir nicht nur in zwangsmäßigen Perversionen deutlich an die Stelle der Genitallust getreten, sondern vor allem auch als Anlockungen und Vorspiele zum gesunden Geschlechtsakt. Be:
In diesen tausend Verkleidungen also tritt uns die ÖOnanie immer wieder entgegen. Alle Versuche, sie an einer Stelle zu unterdrücken, lassen 2 sie nur an einer anderen Stelle um so zwingender, um so unbeherrsch- a barer, meist auch um so unlustvoller und störender, häufig zu Schmerz- | empfindung entstellt, auftreten. Aus eben der Unterdrückung erwachsen nn auch viele Kinderfehler, indem die Lust, die aus der betreffenden 1 = Betätigung, z. B. Lutschen, quellen würde, nun auch noch Ersatz für das. andere verdrängte, unbeherrschbar gewordene Luststreben schaffen muß, Das Auftreten eines starken Kinderfehlers zeigt, daß der Triebhaushalt des Kindes nicht in Ordnung ist, weil man den Erziehungsfehler gemacht hat, Lustquellen jäh zu verstopfen, die, zurückgestaut, das ganze Gebäude bedrohen. Ihnen eine nicht störende Abflußmöglichkeit zu schaffen, muß die Aufgabe der Erziehung sein. Lust verbieten ist leicht, aber us
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befriedigung schaffen, damit das Lustbegehren nicht übermäßig, zwangs- mäßig werde, eine schwere Kunst. Am besten wohl dürfte es sein, nicht Herrgott spielen zu wollen und zu warten, bis der Lustquelle durch eine andere, die der immer besser funktionierenden Wirklichkeitsanpassung gerechter wird, das Wasser von selbst weggenommen wird.
TESTER TLLIELLITLLLIEIUTTEUTTEUTEETTITLETLLLITEELLIELIUTF EL JE PTTTT PETE TTUU UI PU IUIUUUTTPEETUU EEE EEE EP ELITE IPPUUUUTUU PETE PETE EEE ETUI
Schule und Onanie
Von Hans Zulliger, Ittigen-Bern I
Die völlig „neuen“ Tatsachen über das Kind und seine Entwicklung, die uns durch Freuds „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ bekannt geworden sind, dringen nach und nach durch. Die Erwachsenen können, auch wenn sie die Psychoanalyse ablehnen, nicht länger blind sein für die Äußerungen der kindlichen Sexualität, nachdem es einer gewagt hat, eine jahrhundertealte Illusion zu zerstören und auf Erscheinungen hinzu- weisen, die jeder beobachten und nachprüfen kann, der mit der Jugend zu tun hat.
Die Schule aber, so heißt ein Wort, hinkt dem Leben nach. Dem Lehrer ist am wohlsten, wenn er von der Sexualentwicklung seiner Zög- linge ebensowenig merkt, wie diejenigen, die noch völlig in der Illusion von der „Unschuld” und „Reinheit“ der Jugend leben. Er hat gute Gründe, sich so zu stellen. Wir wollen später darauf zurückkommen. Vor- läufig dürfte uns klar sein, daß die Lehrerschaft, welche sich bestrebt, vom sexuellen Leben der Jugend nichts zu merken, auch von der Onanie der Kinder gar nichts ahnt. Und wo ein „Fall“ entdeckt wird, weiß sich die praktische Pädagogik — heute noch — nicht anders zu helfen, als daß sie in ihrer Angst mehr oder weniger große Dummheiten begeht und den Kindern dadurch unendlich schadet, obgleich Freud! gezeigt hat, daß die Jugend während drei Entwicklungsphasen mit großer Wahrschein- lichkeit der Onanie erliegt, und obgleich Ferenczi,” Federn? und Reich* durch ihre Publikationen vermuten lassen, daß es sich bei den Ausnahmefällen, wo ein junger Mensch im Pubertätsalter der Versuchung der Selbstbefriedigung dauernd widersteht, meist um Leute handelt, die schon zu diesem Zeitpunkt an schwersten Verdrängungen leiden. Anders gesagt, daß ihre „Reinheit“ keine freiwillige ist, keine sittliche Tat bedeutet, sondern eine Manifestierung ihrer bereits begonnenen Neurose.
ı) Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. (Ges. Schriften, Bd. V.)
2) Ferenczi: Versuch einer Genitaltheorie. (Internat. Psychoanalyt. Bibl., Bd. XV.)
3) Federn: Im „Ärztlichen Volksbuch“, I. Band, Stuttgart, 1925.
4) Reich: Die Funktion des Orgasmus. (Neue Arb. z. ärztl. Psychoanalyse Bd. VI.)
I
Derjenige Teil der Lehrerschaft, der es mit Schülern des Entwicklungs- ss alters zu tun hat, kommt am ehesten dazu, gelegentlich einmal etwas davon zu merken, daß eines ihrer Pflegebefohlenen onaniert. Es handelt sich gewöhnlich um ein Kind, das weniger schlau und raffiniert vorgeht
als seine Kameraden und darum erwischt wird.
Den Eltern ergeht es nicht anders als den Lehrern: in der Regel wissen
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sie, daß Kinder onanieren, aber daß ihre Kinder es auch tun könnten, das erscheint ihnen als ausgeschlossen; denn sie haben diese ja sorgfältig
erzogen, und sie müßten sich in ihrer Erzieherehre arg enttäuscht und
gekränkt fühlen, wenn ihnen nicht einmal so viel Erfolg beschieden wäre,
daß ihre Sprößlinge „rein“ bleiben. Bei den Mädchen setzt man diese
Reinheit als etwas Gegebenes einfach voraus. Bei den Knaben nimmt man sie an, wenn sich bei der Durchsicht der Bett- und Leibwäsche durch die besorgte Mutter keine „verräterischen“ Flecken zeigen, als ob solche
untrügliche Zeichen bedeuteten, daß ein gewitzigter und angsterfüllter =
Junge der „Unart“ nicht erlegen sei. Wenn man als Lehrer einmal weiß, daß ein sehr großer Prozentsatz
der Schüler im Entwicklungsalter — wenn nicht überhaupt alle —
onanieren, so müßte man auch darüber unterrichtet sein, daß die durch die Onanie entstandenen Schuldgefühle die weitgehendsten Veränderungen
ım Wesen des Kindes verursachen, Es handelt sich dabei nicht allein um Veränderungen in seinem Charakter, sondern auch seiner intellektuellen Fähigkeiten.
Da ist ein Sechzehnjähriger, der eine höhere Mittelschule besucht und
auffällt, weil er plötzlich für die mathematischen Fächer keine Begabung mehr zeigt, während er, als er noch um einige
‚Jahre jünger war und das Progymnasium besuchte, von seinen Mathematik- |lehrern als Phänomen eines für dieses Fach Begabten von einer Klasse | zur anderen geschleppt und vorgeführt wurde. Niemand kann sich den
| Wechsel erklären, der Jüngling selber auch nicht. Zu Hause spricht man =
‚von beginnender Verblödung. Dann aber kann man dieses Urteil nicht aufrecht erhalten, weil sich in dem Jungen auf einmal eine außerordent- liche Begabung für Sprachen zeigt. Man nimmt diese als Kompensation "und Trost.
Der Jüngling hatte bei seinem Eintritt in die neue Lehranstalt einen sehr strengen, greisen Mathematiklehrer erhalten. In seinem Straf- und Sühnebedürfnis wegen „heimlicher Sünden“ nutzte er dessen Strenge aus: er lud sich dessen ganzen Spott und die beständige Beängstigung einer Relegierung auf den Hals, indem er „nicht mehr rechnen“ konnte. Der beständige Druck tat ihm wohl, er entlastete ihn gewissermaßen, indem er als Bestrafung für die Onanie unbewußt verbucht wurde.
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Ein anderer Jüngling wurde gleichsam ein Don Juan beiden
Berufen. Er beendete seine begonnenen Studien nie, kurz vor den
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Prüfungen fühlte er sein Interesse an dem erwählten Berufe schwinden, empfand Ekel davor und sattelte um. In der Verzweiflung, und bevor man zu dem letzten Hilfsmittel griff, ihn über den Ozean zu verschicken, ver- suchte man es mit einer Analyse, aus der hervorging, daß der junge Mann überschwere Schuldgefühle wegen Onanie in sich trug und sich selbst beweisen wollte, daß er nicht einmal so viel Willen mehr besitze, um einen Beruf richtig zu erlernen.
Eine Schülerin des letzten Schuljahres, die zuvor ordentlich und zur vollen Zufriedenheit ihrer Lehrer gearbeitet hatte, versagte plötzlich aufder ganzen Linie, sie zeigte auch in ihrem Charakter und m Verhältnis zu den Mitschülern, Eltern und Geschwistern so merk- würdige Veränderungen, daß die Eltern psychoanalytische Erziehungs- hilfe in Anspruch nahmen. Dabei stellte sich heraus, daß das Mädchen wegen einer Liebesenttäuschung die bereits fallen gelassene Onanie wieder aufgenommen hatte, sich deswegen als willenlos, schlecht und zu frühem Siechtum bestimmt vorkam und — wiederum aus Schuldgefühlen — sich einfach innerlich aufgegeben hatte. |
Eine Schulentlassene, die seinerzeit ein ziemlich lebhaftes und froh- mütiges Mädel gewesen ist, wird unter dem Eindrucke ihrer ÖOnanie- schuldgefühle eine Frömmlerin und Muckerin. Sie gesteht zu, daß sie ihr Glaube und Gottvertrauen über „schwere Sünden“ hinweggebracht habe. Wenn aber Frömmelei und Muckertum dagegen eingetauscht werden mußten, dann ist das junge Mädchen nur von einer Unfreiheit in eine andere gefallen, und es wäre nachzuprüfen, welche der beiden für ihr Leben die hemmendere, untüchtig machendere, asozialere ist.
Ein Student, der eine Zeitlang in einer Verbindung ein eifriges Mit- glied war und einen gelegentlichen Rausch nicht scheute, wird unter dem Drucke seiner Onanie zum Abstinenten. Über die Mitmenschen, welche auch in mäßigster Weise Alkohol genießen, hat er die härtesten Urteile und betrachtet insbesondere die Intellektuellen unter den Nicht- abstinenten als Kreaturen mit moralischer Minderwertigkeit. Er selber ist ein Eiferer für die Abstinenz geworden, eg sieht in ihr die Erlösung der Menschheit aus allen Übeln.
Ein Junge kam mit seinem kleineren Bruder nicht mehr aus. Es gab zu Hause beständig Streit. Wenn dann die Eltern zwischen den beiden Kampfhähnen vermitteln wollten, so verteidigte sich der Ältere gar nicht, oder er reizte seine Erzeuger durch blasierte Antworten, so daß er immer]/ auslöffeln mußte. Das empfand er besonders dann als eine Wohltat, wenn | er an dem Streite mit seinem Bruder völlig unschuldig war. Denn auch! er entlastete damit seine Schuldgefühle wegen seiner ÖOnanie.
Andere bestrafen sich direkter, so z. B. jener meiner Schüler, der sich an der Handdreschmaschine zu Hause einen Finger abquetschte, obschon er die Maschine „im Schlaf“ hätte handhaben können, wie er mit Recht sagte. Gespräche nach den Regeln der Psychoanalyse, die nach
geschehenem Unfall mit dem Jungen geführt wurden, ergaben, daß die Hand gestraft werden sollte, welche die „böse Tat“ jeweilen ausführte. Der Junge hatte onaniert.
Es scheint keinen großen Zweck zu haben, mehr Beispiele aufzuzählen, über die Schäden, die auf eine Onanie aufgebaut sind, bzw. eine Onanie zur Grundlage haben. Es wäre auch falsch, die aufgezählten Beispiele ver- allgemeinern zu wollen und zu glauben, wenn jemand den Beruf wechsle, sich in seinem Charakter oder in seinen Fähigkeiten verändere, sich einen Finger abschneide usw., dann sei dies ein Zeichen dafür, daß er der Onanie erlegen sei. Das wäre ebenso töricht, wie wenn man jeden Frömmler, Mucker und Abstinenzfanatiker als ÖOnanierekonvaleszenten betrachten wollte. Die Beispiele wollten nur darstellen, was alles für Veränderungen möglich seien.
Nun wird man aber sagen: Wenn die ÖOnanie so schädliche Ver- änderungen zur Folge hat, dann ist es höchste Notwendigkeit, sie zu bekämpfen. Sie ist nicht so harmlos, wie man zu Beginn dieses Aufsatzes hätte vermuten können.
Es ist zu Beginn dieses Aufsatzes darauf aufmerksam gemacht worden, daß ein hoher Prozentsatz der Kinder onaniert. Aber ein geringer Prozent- satz dieser Onanisten verändert Charakter und Anlagen, quetscht sich ein Glied ab oder leidet sonstwie übermäßig infolge seiner „Unart“. Also muß ein anderer Faktor dabei ausschlaggebend sein.
Dieser hängt mit der Onanie zusammen und ist schon genannt worden: er ist ds unbewußte Schuldgefühl, das meist viel stärker ist, als die bewußten Schuldgefühle wegen der Onanie. Nicht der Säfteverlust ist das Bedenkliche und Krankmachende an der Onanie, sondern die Schuldgefühle, die sich an sie heften. Und wenn viele Onanisten keinerlei Veränderungen und innere Kämpfe zeigen oder durchmachen, so unter- liegen sie eben weniger großen Schuldgefühlen als ihre unglücklicheren Kameraden, Diese sind eigentlich nicht die Verlotterteren, moralisch Minderwertigeren: sie besitzen im Gegenteil ein viel strengeres, ein über- strenges Gewissen. Darum suchen sie ja Strafe als Sühne, und meist ist diese Strafe sehr grausam, viel grausamer, als durch die „Unart“ eigentlich . gerechtfertigt ist.
Wo ein Onanierender auf irgendeine Art erkrankt, — an seinem Willen, an krankhafter Wesensveränderung, an einer neurotischen Einstellung zur Welt, — da ist also nicht die Onanie an sich schuld, sondern ein quanti- tativer Faktor anderer Art: es kommt auf die größere oder kleinere Macht seiner Schuldgefühle an.
Aber die Kinder, die nicht erkranken, onanieren auch, und auch sie werden von Schuldgefühlen geplagt. Wo solche Leutchen dann noch eines der berüchtigten „medizinischen“ Bücher erwischen, wie sie in den Zeitungen durch Inserate angepriesen werden, da wird auch für sie die Gefahr groß. Ebenso, wenn ein Arzt oder eine andere Respektsperson, die
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Eltern, die Lehrer oder der Pfarrer, die von der ÖOnanie etwas merkten und einen jungen Menschen zum Geständnis brachten, irrtümlicherweise glauben, durch Drohungen einem Kinde helfen zu können.
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Wenn ein besorgter Vater, ein Lehrer oder ein Pfarrer, die ohne jegliche medizinische und psychologische Einsichten sind, einem bei der Onanie ertappten Kinde durch Drohungen beikommen wollen, weil sie in ihrer Hilflosigkeit und Angst nichts Gescheiteres wissen, so tun sie in aller Gutgesinntheit nichts anderes, als was in der Erziehung oft genug getan wird: sie vollbringen etwas entschieden Verwerfliches und wirklich . Dummes, ohne dafür getadelt werden zu können. Man könnte ihnen viel- leicht nur sagen, sie sollten lieber nichts tun.
Hingegen will es mir unverantwortlich erscheinen, wenn heute noch, nachdem so viel über Sexualität — und nicht etwa nur von Psycho- analytikern — geforscht worden ist, von Ärzten und insbesondere von Schul- und Kinderärzten mit Drohungen gegen Kinderonanie gekämpft wird. Diese Leute haben Medizin studiert, Forel, Hirschfeld u. a. m. müssen ihnen nicht unbekannt sein, und wenn sie sich Kinderarzt schreiben lassen, so dürften sie doch sicherlich einiges über Psychotherapie und Freud wissen. Der Beruf, den sie ausüben, verpflichtet sie dazu. Dies sei ohne jegliche Polemik, nur im Interesse der Kinder — aber auch in dem des ärztlichen Erfolges — gesagt.
Ganz schlimm steht es dort, wo eine Erzieherperson ein Kind wegen seiner Onanie bereits beruhigte, und später ein Arzt hinzukommt und droht. Ein Arzt ist für ein Kind in bezug auf Onanie der Wissendere, als der Vater oder ein Schulmeister. Es gerät dann in den alten, bereits im Abbau begriffenen Onaniekonflikt und überdies noch in einen Vertrauenskonflikt. |
Ein Lehrer — um konkret zu werden — vernimmt von einer seiner Schülerinnen, die etwas debil und hysterisch ist, daß sie onaniert, und zwar immer dann, wenn sie zu Hause mit jemandem Streit hat, besonders wenn sie vom Vater wegen irgend etwas (das sie wahrscheinlich provoziert) ausgescholten wird. Die Schülerin erzählt ihren ganzen Jammer unter Tränen: sie denke dann, sie sei ja überhaupt nichts wert, sie werde von niemand lieb gehabt, da sei es nicht schade, wenn sie onaniere und daran vielleicht sterben müsse. Der Lehrer tut verwundert und frägt, wieso sie auf den Gedanken komme, sie müsse dabei sterben. Ein nam- hafter Kinderarzt hat es ihr gesagt. Die Mutter bestätigt es. Der Lehrer sucht das Kind zu beruhigen. Er erklärt ihm, es solle, wenn es nicht anders könne, ruhig weiter onanieren, das mache nichts. Es komme dann
schon einmal dazu, das zu lassen — die Erwachsenen täten es ja auch nimmer. Dies sagt er absichtlich, um das andere Ideal dem Kinde aufzu- stellen — Kinder wollen ja erwachsen werden. Später kommt das Kind zu
einem anderen Arzte. Dieser vernimmt, was der Lehrer zur Onanie gesagt Ze hat, nämlich, es müsse nicht sterben. Der Arzt sagt ihm (von den Eltern beglaubigt!): „Gewiß, sterben mußt du deswegen nicht, aber du kommst in die Irrenanstalt!“ Darauf folgt eine verzweifelte Weinszene vor dem Lehrer. In diesem Falle wußte er sich nicht anders zu helfen, als daß er dem Kinde mitteilte: „Du weißt, ich habe dich noch nie angelogen. Ich halte meine Behauptungen (wegen der O.) aufrecht. Du kannst glauben, wem du lieber willst!“ In der Folge wurde der Schulbehörde von dem betreffenden Arzt geraten, das Mädchen anderswo unterzubringen, auf dem Lande bei Bauersleuten, wo es streng arbeiten müsse und keine Zeit habe, | seiner Onanie nachzusinnen. So, als ob die „Ansteckungsgefahr“, von der | auch die Rede war, an einem „anderen Orte“ für die dortigen Kinder nicht auch bestanden hätte, und als ob die Onanie auf so einfache Art — durch Ermüdung — hätte beseitigt werden können.
Solche Fälle sind noch weniger schlimm als jene anderen, wo Schüler aus den Schulanstalten deswegen herausgeworfen wurden, weil es ihnen einmal nicht gelang, ihre Onanie geheim zu halten. Als ob damit etwas gewonnen wäre, wenn ein Önanist von der Mittelschule in die Volks- schule zurückversetzt wird. (Die Volksschullehrer dürften sich etwas ein- bilden: wo man mit einem Kinde in den Mittelschulen erzieherisch nichts mehr anzufangen weiß, überläßt man es der Erziehungskunst von Lehrern auf „unterer“ Stufe!... .)
Noch schlimmer erging es einem Waisenjungen, der bei einem Bauern verdingt war. Er sollte dem Melker eine Uhr gestohlen haben, wollte nicht gestehen und wurde deshalb verprügelt. In seinem Elend drückte er sich in eine Ecke des Heubodens und onanierte dort. Der Meister erwischte | ihn dabei, die ganze Angelegenheit wurde vor der Schulbehörde erörtert, und der Junge kam in eine /Zwangserziehungsanstalt. Ausschlaggebend zu dieser Maßnahme war die bewiesene ÖOnanie, nicht der vermutete und immer geleugnete Diebstahl. Später, nach Jahren, als man im Stalle des Bauern ein neues „Läger“ herrichtete und das alte herausriß, fand sich die Uhr: sie war vom Melker auf einen Balken zwischen der Doppelwand gelegt worden, wie sich dieser nachträglich erinnerte, und war herunter- |
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gefallen.
Wenn wir uns fragen, weshalb und wieso die Erwachsenen die Onanie bei Kindern mit solcher Strenge und Bösartigkeit verfolgen, so könnten wir viele ganz verschieden scheinende Antworten finden. Bei näherer Betrachtung träfen wir jedoch hinter allen Begründungen schließlich die Angst an. Gewiß entspringt diese einesteils dem Gefühle, daß die Erzieher in der Regel gegen das triebhafte Geschehen im jungen Menschen ohn- mächtig sind und kein wirksames Mittel kennen. Tiefer jedoch stecken immer eigene, vielleicht längst vergessene und verdrängte Onanie- befürchtungen. Ganz abgesehen davon, ob der nun Erwachsene je einmal in seiner Kindheit tatsächlich onaniert habe oder nicht: die Angst
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beweist den Rest ehemaliger eigener onanistischer Phantasien — und für das Unbewußte bedeutet ja der Gedanke so viel wie die Tat.
Die gestrengen Erzieher bekämpfen in den ihnen anvertrauten Kindern sich selber. Sie schlagen den Sack und meinen den Esel, könnte man sagen, und das wäre nicht so schlimm, wenn nicht Kinder, die sowieso schon bedrückt sind, unter der Grausamkeit leiden müßten. Man "ver- urteilt im bestraften Kinde seine eigene Kindheit und maskiert sein Handeln als aufgeklärter Mensch etwa so: „Es ist gut, daß mein Sohn (oder Schüler) als Onanierender nicht durchzumachen braucht, was ich selber durchmachte, und dem ich selber nur mit größter Mühe und Not und höchster Anstrengung endlich entging!“ In den Rationalisierungen erscheinen wir uns gerne human.
IV
Wenn mich jemand um Rat fragte: „Was soll man denn tun, wenn man von einem Kinde, von einem eigenen oder von einem Schüler, bestimmt weiß, daß es onaniert?” — dann könnte ich ihm ebensowenig ein Rezept in die Hand drücken, wie wenn er von mir Auskunft darüber verlangte, was zu geschehen habe, damit ein Jugendlicher nicht einem anderen gleich intensiven Triebe nachgebe.
Auf keinen Fall dürfte der Pädagoge die Angst, die bereitsim Kinde drinsteckt, durch Drohungen und Ver bote noch vergrößern! |
Niemals wird es gelingen, die einmal begonnene ÖOnanie einfach durch das Machtwort einer Autorität abzukommandieren. Wenn jedoch ein Kind, nachdem es von einer solchen Person ein Verbot oder eine Drohung ent- gegengenommen hat, in die Onanie zurückverfällt, so wird es nach voll- brachter Tat noch viel belasteter und unglücklicher sein als vorher und überhaupt nicht mehr daran glauben, daß ihm ein Überwinden je mög- lich werde.
Wir haben gesehen, daß die an die Onanie gehefteten Schuldgefühle das Gefährliche, das Gefährdende sind. Diese Schuldgefühle, dem Ödipuskomplex entstammend, sind vor her und ohne die Onanie schon vorhanden. Sie verknüpfen sich jedoch aus ganz bestimmten Gründen (Onaniephantasien) sehr gerne und jeweilen heftig mit der Onanie, und sie wachsen an ihr groß. Wir müssen also sie bekämpfen. | |
Da wir in der Regel die tiefer liegenden unbewußten Onanie- phantasien, die fast immer inzestuöser hetero- oder homo- sexueller Natur sind, nicht aufdecken können (weil es unmöglich ist, unsere eigenen Kinder oder eigenen Schüler regelrecht zu analysieren),
1) Reik „Geständniszwang und Strafbedürfnis“ S. gı. Internat. Psa. Bibl. XVII. Wien 192».
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so müssen wir uns damit begnügen, auf suggestive Weise
von der Seite des Bewußten her Beruhigungen zu
erteilen. Dabei gilt es, die Übertragung auszunützen, um sich beimKinde gegen dieÄußerungen der medizinischen und pseudomedizinischen Schundliteratur sowie viel- leicht auch gegen die Gutachten unverständiger Ärzte durchzusetzen und obenaufzu kommen.
Ich habe weitgehende Besserung an Kindern im schulpflichtigen Alter erlebt, nachdem erreicht wurde, daß sie ihren Vätern ihre Bedrängnis beichteten; die Väter waren vorher auf das Geständnis vorbereitet worden; sie erteilten dem Kinde keinen Tadel, zeigten ihm vielmehr Verständnis und gaben ihm die Erlaubnis, mit der Onanie weiterzufahren, wenn es ‚nicht anders gehe; das Gestattete hatte schon einen Teil seines Reizes verloren. Schon die Tatsache, daß dem Kinde jemand vertraute und es nicht als einen verkommenen Menschen betrachtete und behandelte, weckte in ihm Abwehrkräfte.
Oft bedeutet die Onanie für den Onanierenden eine besondere Art von Bestrafung. Aus unbewußten Schuldgefühlen heraus wollen sieihren Körper schädigen. (Wir haben vorn von einem Jungen vernommen, der sich einen Finger aus unbewußter Straftendenz abquetschte.) Die Art von ÖOnanisten, die ich jetzt im Auge habe, glauben, sich selber „die besten Säfte“ wegzunehmen, sie vermuten einen direkten Zusammenhang zwischen Gehirnsubstanz und Samenflüssigkeit und feiern beim Onanieren masochistische Orgien der Selbstverstümmelung. Wenn man diesen nun als Autoritätsperson versichert, der Säfteverlust habe nichts auf sich, selbst wenn sie ziemlich exzessiv onanieren, dann fällt für sie einer der Haupt- gründe zu ihrem Handeln dahin: ihre Onanie verliert an Bedeutung. Wer sich negativer Urteile vor den Kindern nicht enthalten kann, oder es nicht über sich bringt, ohne Abwehr mit einem Jugendlichen über dessen Onanie zu reden, der kann etwa sagen: „Die Erwachsenen tun es ‚nicht mehr!” (Gestatten wir uns diese Verallgemeinerung!) Oder: „Es ist ja nicht gerade schön, was du da machst!“
Ein negatives ästhetisches Werturteil ist für ein Kind viel weniger bedrohend, als irgendein anderes.
Hierin, nämlich in der Beruhigung, im Nicht-ernst-nehmen der Onanie durch den Erzieher, liegt für diesen eine große Gefahr, die ihm von außen droht. Eltern und vielfach auch die Behörden können eine solche Art, kindliche „Sünden“ zu erledigen, nicht verstehen; sie sind gerne bereit, von „frivolen“ und „ethisch minderwertigen Jugendführern“ zu
reden.
Solchen Leuten psychologische Erklärungen über das Vorgehen der Pädagogen geben zu wollen, nützt gewöhnlich nichts, denn sie wollen sich gar nicht belehren lassen. Sie leben gleichsam davon, daß die Onanie etwas Außerordentliches sei, daß sie nur in vereinzelten Fällen vorkomme,
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daß man sie mit Polizeimaßnahmen verfolgen müsse und über Befallene Acht und Bann zu verhängen habe; daran halten sie fest wie an einem Glaubensbekenntnisse — und einen Gläubigen bekehrt man mit keinerlei Argumenten zu einem neuen Glauben oder zu anderer Anschauung. Woher solche Gebundenheit stammt, wurde weiter vorn angedeutet, wo von den nicht erledigten Onaniebefürchtungen der Erwachsenen die Rede war.
Darum ist es notwendig, für eine neue Einstellung der Kulturmensch- heit gegenüber der Onanie einzustehen in Tat, Wort und Schrift, wenn nicht darauf verzichtet werden soll, daß es künftige Kindergenerationen besser haben als die heutigen. Nach und nach bricht sich das Neue doch Bahn. Während in einem Dorfe ein Lehrer von Schulbehörde und Inspektor gezwungen wird, unterschriftlich einen Pakt zu bekräftigen, daß er nie wieder einen seiner Schüler sexuell aufklären wolle — im Widerhandlungs- falle müsse er seine Stelle verlassen — verlangen im Nachbardorfe die Eltern anläßlich einer Elternversammlung von den Lehrern, daß diese ihre Kinder aufklären, wo Aufklärung nötig wird.
Es ist zu erwarten, daß kommende Geschlechter über sexuelle Dinge im allgemeinen und über die Onanie im besonderen anders, menschlicher und versöhnlicher denken, als die jetzt herrschenden. Damit diese für die Kindheit glücklichere Zeit eher komme, dürfen die Einsichtigen die Hände nicht in den Schoß legen und stillschweigen, nur um ungefährdet zu bleiben. „Die Stimme des Intellektes ist leise, aber sie ruht nicht, bis sie sich Gehör geschafft hat!“ sagt Freud in seinem letzten Werke. Wir dürfen dieses Wort auch für die Beurteilung der Onanie anwenden und hoffen, daß auf die Dauer Vernunft und Erfahrung uns recht geben werden.
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Die Abwehr der Selbstbefriedigung
Von Ernst Schneider, Riga I
Unsere analytischen Erfahrungen haben uns veranlaßt, als sicher anzunehmen, daß zu gewissen Zeiten die Selbstbefriedigung in ihrer primären Form als Lustgewinnung am Genitale eine Entwicklungsaufgabe zu erfüllen hat, und zwar in der Säuglingszeit, in der Spielzeit und in der Pubertätszeit, also auf den Höhepunkten der stufenmäßigen Ent- wicklungslinie von der Geburt bis zum Erwachsensein. Es wird demnach die Tendenz zur Selbstbefriedigung im Entwicklungsplane liegen und ihre Auslösung dann erfolgen, wenn „die Zeit gekommen“ ist und die
ı) Freud: Die Zukunft einer Illusion. Int. Psa. Verlag, Wien, 1927.
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Bedingungen hiezu erfüllt sind. Sie hätte aufzuhören, wenn sie ihre Entwicklungsaufgabe gelöst hat. Eine Abstellung kommt dann in der
Weise zustande, daß durch andere Aufgaben und Lösungen, die im Entwicklungsplane liegen, andere „Interessen“ in den Mittelpunkt gerückt
werden. Auf ein körperliches Organsystem (Gelegenheitsapparat [Bleuler]), |
das zur Auslösung und Abstellung der Selbstbefriedigung bereitgestellt wird, hat Landauer in seinen Bemerkungen über „Stammesgeschichtliche Vorläufer‘ der Selbstbefriedigung und deren Verdrängung“ aufmerksam gemacht. (Diese Zeitschrift S. 116)
Die Erfüllung lebenswichtiger Aufgaben ist lustbetont. Die Selbst- befriedigung bereitet eine besonders intensive Lust. Es dürfte daher anzunehmen sein, daß ihr im Entwicklungsplane eine Aufgabe zukommt, deren Erfüllung besonders wichtig ist. Es ist dies die Mitwirkung an der Sicherstellung der Arterhaltung. Der lustvolle Verlauf der Funktion hat aber auch seine Kehrseite. Alle Lust strebt nach Wiederholung und Dauer („alle Lust will Ewigkeit“). Dadurch wird die Tendenz zum Festhalten an der Selbstbefriedigung verstärkt. Werden nun entsprechend auch die normalen Abwehrtendenzen betont, so ist alles in Ordnung. Es gibt aber noch andere Ursachen des Verharrens. Sie dürften in der Hauptsache mit der Anlage und mit der Erziehung zusammenhängen. Die Erziehung kann übermäßige Reizungen, beim Säugling z.B. bei der Pflege und durch allerhand Liebkosungen, hervorrufen. Ein Kind mit einer „empfindsamen“, einer „neurotischen Anlage“ ist viel „träger und hält stärker an einmal genossenen Lustquellen fest. In solchen Fällen treten besondere Abwehreinrichtungen in Tätigkeit. Das hängt damit zusammen, daß mit dem Festhalten an der Selbstbefriedigung eine Störung des dynamischen Gleichgewichts der Entwicklungsfaktoren herbeigeführt wird. Der menschliche Organismus verfügt über Signale, die solche Störungen anzeigen, es sind Unlustgefühle, wie Schmerz, Angst u.a. Wird an der Onanie über das von der Entwicklung geforderte Maß hinaus festgehalten, so bedeutet das eine Störung einer gefügten Natur- ordnung. Die immer wiederkehrende Erfahrung, die die Organismen machen müssen, daß dem Verstoßen gegen eine Naturordnung irgend ein Leiden, eine „Strafe“ folgt, wird offenbar irgendwie instinktiv festgehalten. Diese Unheilserwartung läßt beim Menschen das Störungssignal zu dem werden, was wir Schuldgefühl nennen. Im weiteren bedeutet eine Störung im Plane der sexuellen Entwicklung eine Bedrohung der lebens- wichtigsten Funktion, das heißt der über das Individuum hinauszielenden der Arterhaltung. Diese Lebensbedrohungen lösen Angst als Signal aus, Aus dem Gesagten ist es leicht zu verstehen, daß diese Angst regelmäßige ‚Verbindungen mit dem Schuldgefühl einzugehen pflegt. Die Natur- ordnungsstörung zieht Strafe nach sich, und das Schuldgefühl ist damit auch „Angst vor der Strafe“, ist Schuldangst. _
Diese elementaren Angst- und Schuldgefühle dürften der erste Anlaß zu
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den vielen Abwehrmaßregeln sein, die in der Spielzeit und besonders in der Pubertätszeit gegen die Onanie ergriffen werden, und die dazu führten, Onanie als Sünde und als höchste Schädigung zu brandmarken. Doch dies allein macht die große Abwehrreaktion gegen die Onanie noch nicht vollkommen verständlich. Es treten verstärkend die Maßnahmen der Erziehung hinzu. Die Erziehung ist Anwalt der Umweltforderungen. Sie fügt zu dem naturhaften oder instinktgemäßen Erziehungsplan den kulturellen. Wenn beide Pläne durch Erziehung miteinander in Einklang gebracht und unvermeidliche gegenseitige Härten immer wieder ausgeglichen werden können, so ist die Sache in Ordnung. Man muß nun eigen- tümlicherweise feststellen, daß die Erziehung gewöhnlich hinsichtlich der Selbstbefriedigung die „Naturforderung‘“ übersieht und sich auf die Seite der bereits durch Angst und Schuldgefühle hervorgerufenen ver- stärkten Abwehrtendenzen stellt. Die Erziehung ist es gewohnt, in der Selbstbefriedigung schon als solcher eine Handlung mit außergewöhnlich schädigenden Folgen und eine Sünde zu sehen. Infolgedessen greift sie zu Abwehrmaßnahmen, die geeignet sind, die Angst und Schuldgefühle oft bis zur Unerträglichkeit zu verschärfen. Es kommt auf die allgemeine und besondere Einstellung des Kindes zu Erziehung und Erziehern an, wie deren Maßnahmen wirken. Stellt sich das Kind mehr auf die Natur- forderung ein und will es auf seinem „Recht“ beharren, oder unterwirft es sich der Erziehung und gibt die Onanie auf oder verdrängt es die Tendenz hiezu? In den meisten Fällen kommt es zu einem Kompromiß zwischen dem durch Trotz verstärkten Trieb und dem „Gehorsam“, so daß das immer wiederkehrende Spiel von guten Vorsätzen und Rückfällen entsteht, jener typische Onanieabwehrkampf der Pubertätszeit mit dem Wechsel von Erfolg und Mißerfolg, Sieg und Niederlage.
Im weiteren sei noch darauf hingewiesen, daß die gezeichnete seelische Situation noch eine Verschärfung durch die an die Onanie geknüpfte Vorstellungswelt und die durch diese hervorgerufenen Angst- und Schuld- gefühle erfährt. In der Hauptsache sind es die Vorstellungen des Ödipus- komplexes.
So hätten wir drei Schichten, die an der Onanieabwehr beteiligt sind. Die unterste ist bedingt durch die Entwicklung, die zweite durch die Erziehung und die dritte durch das Schicksal der Sexualentwicklung im Ödipusalter.
Ich glaube, es ist gut, wenn man diese drei Schichten auseinanderhält, schon wegen der richtigen psychologischen und pädagogischen Beurteilung im einzelnen Falle, Dann läuft man auch weniger Gefahr, die Onanie ent- weder als etwas „Harmloses“ oder als Sünde und in hohem Maße schädigend anzusehen. Man wird in ihr gewissermaßen ein Feuer erblicken, das man hegen und pflegen muß, wie überhaupt alle Faktoren der Liebes- entwicklung, damit es nicht entweder erstickt werde oder das „Haus in Brand“ setze.
I
Es folgen hier einige Beispiele aus der analytischen Beobachtung über mißglückte Abwehrversuche und deren Folgen.
1. A. hat in der Jugend onaniert, soweit er sich zurückerinnern kann. In der Latenzzeit konnte die normale Unterbrechung nicht erreicht werden. Die Eltern trafen allerlei Vorkehrungen, um die Onanie zu unterdrücken. 50 banden sie ihm einmal die Hände an das Bett. Jetzt begann er jede Nacht das Bett zu nässen, bis er die Hände frei bekam und wieder onanieren konnte. Die Eltern waren religiös und suchten den lieben Gott als strafende und beaufsichtigende Gewalt zur Abwehr aufzubieten. Der Kleine legte sich ins Bett und sagte alle seine Gebete her. Dann meinte er: „Jetzt, lieber Gott, kannst du mit mir zufrieden sein. Schau du jetzt nach der anderen Seite. Was ich jetzt tue, gehört nicht mehr dazu (d.h. zum Gebet) und geht dich gar nichts an.“ Und richtig, der liebe Gott schaute weg. So konnte sich A. seelenruhig in den Schlaf onanieren. Dje Gebete waren eine Dienstleistung für den lieben Gott, für die er sich durch Onanie belohnte. Wie man sich durch Selbstbestrafung das Recht auf eine Sünde erwerben kann, so auch durch eine Dienstleistung. Im späteren Leben hielt A. diesen Kompromiß und diese Spaltung aufrecht. Er studierte Theologie und war dabei dogmatisch fromm. Das hinderte ihn aber nicht, in sexueller Hinsicht recht ausschweifend zu leben. Die doppelte Lebensbuchhaltung konnte aber auf die Dauer nicht aufrecht erhalten werden. Es stellte sich Arbeitsunfähigkeit ein, und die führte A. zur Analyse. Sie scheiterte aber bald. A. stand auf dem Standpunkt, die Arbeitsunfähigkeit sei eine Folge der Unordnung im sexuellen Leben, und sagte zu mir: „Sie haben meine Arbeitsunfähigkeit zu beheben. Sie wollen aber an meinem Glauben rütteln. Mein Glaubensstandpunkt geht Sie nichts an.“ Und dabei blieb es. — Ich brauche hier kaum zu sagen, daß ich die religiösen Fragen in keiner Weise anschnitt. Sie drängten sich eben als analytische Einfälle auf. Es war das unbewußte Schuld- gefühl, vor dem sich A. flüchtete, jenes Schuldgefühl, für das der Dienst am Werke Gottes eine Sühneleistung bedeutete und ihm die Befriedigung seiner sexuellen Wünsche sicherte. Diese waren, wie in der Kindheit die Onanie, durch Trotz gegen die Moral verstärkt. Die Berufswahl erfolgte in der Richtung des Gehorsams den Eltern gegenüber.
2. Im folgenden Beispiel wirkt sich die Selbstbestrafung einen Freibrief für Onanie aus. B. erzählte in der Analyse zwei hübsche Szenen, die uns zur Aufdeckung der kindlichen Onanie führten.! Es waren Deckerinnerungen : „Ich sehe mich als kleinen Knaben in einem dunklen Kämmerlein stehen, wo ich öfters Strafen abzusitzen hatte. Ich habe mich am Ohr gefaßt und mich da hineingeführt. So trifft mich die Mutter und fragt, was ich da mache. Ich antwortete: ‚Ich habe ihm doch: gesagt, er soll nicht die
ı) Zuerst mitgeteilt in meiner Schrift „Über das Stottern“, Bern, Francke,
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Treppe hinunterrutschen, er aber gehorchte nicht. Deshalb nahm ich ihn beim Ohr und führte ihn in dies Kämmerlein.‘ Darauf fragte die Mutter: ‚Wer ist der Er?‘ — ‚He, der Peter‘, sagte ich. — Peter war ein Bursche, der mir als Taugenichts geschildert wurde und mit dem ich nicht spielen durfte. Ich wurde sehr streng erzogen. In meiner Phantasie und auch in Wirklichkeit verübte ich aber als Peter mancherlei schlimme Streiche, auch die Onanie. Weiter sehe ich mich ein anderes Mal mitten im Zimmer stehen, erschrocken hinter dem Rücken den Uhrschlüssel haltend, mit dem ich nicht spielen durfte. Die Mutter war eingetreten und fragte mich nach meinem Tun. Ich antwortete: ‚Ich habe ihn gewarnt, er soll den Schlüssel nicht nehmen. Er gehorchte aber nicht und spielte damit.” — ‚Wer, er?‘ — ‚Der Peter, der nie gehorchen will.“
Die Identifikationen einerseits mit den verbietenden und strafenden Eltern, andererseits mit dem bösen Peter ermöglichten die Önanie, besonders auch deshalb, weil ja die Bestrafung in Aussicht genommen wurde. Als mit der Pubertätszeit die Onanie wieder auftrat, konnten selbst- verständlich die beiden Personen nicht mehr getrennt nebeneinander bestehen. Es war eben B., der onanierte, und der dann mit einem intensiven Schuldgefühl und entsprechender Straferwartung reagierte. Sein Beruf stand im Dienste der Moral. Er wurde Lehrer. Das war für ihn ein moralischer Beruf. So hatte er die Möglichkeit, die Jugend zur Moral zu erziehen, und dann mußte er ganz gewiß in den Geruch eines moralischen Menschen kommen, den man doch in keiner Weise der Onanie zu ver- dächtigen wagen wird. Nur vor mir hatte er besondere Angst, ich könnte seinen Weg kreuzen und als Psychoanalytiker ihn durchschauen. In seinem Beruf versagte er aber bald nach seinem Amtsantritt. Im Religions- unterricht wollte er einmal den Spruch sagen: „Mein Kind, fliehe vor der Sünde wie vor einer Schlange...“ Da erlitt er einen Angstanfall. Er fühlte jemand hinter sich stehen, der sich anschickte, ihn mit einem Schlage so zu treffen, daß er in sich zusammensinken werde. Diese Vor- stellung knüpfte sich an eine frühere Straferwartung für Onanie: Gehirn und die Knochen werden weich, so daß der Körper in sich zusammen- sinken muß. Ein längerer Erholungsurlaub brachte wieder einige Sicherheit. Aber bei der nächsten Moralpredigt erfolgte der zweite Angriff des Schuld- gefühls. Darauf suchte B. die Analyse auf, die ihm Heilung brachte. Er arbeitet jetzt seit mehr als einem Jahrzehnt tapfer in seinem Berufe.
3. Eine Mutter suchte meinen Rat. Sie hat ein sechsjähriges Stief- töchterchen, das recht ausgiebig onaniert. Die Mutter will nach den Grundsätzen Försters den guten Willen des Kindes, die Onanie aufzugeben, stärken. Trotz allen guten Vorsätzen des Kindes und der Unterstützung durch Ermahnung, Aufsicht, Beschäftigung, Händeanbinden usw. sind die Rückfälle doch recht häufig. Das Mädchen ist sehr unruhig, kann keinen Augenblick ruhig sitzen, noch still stehen. Die Mitteilungen der Mutter wecken in mir den Verdacht, das Kind gebe die Onanie nicht
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auf, um die Mutter irgendwie zu veranlassen, sich mit ihm zu beschäftigen Br
und sie an sich zu binden. Ich schlug ihr vor, so zu tun, als ob ihr die
Onanie des Kindes gleichgültig sei. Sie soll nur dann für das Kind.
Interesse zeigen, wenn es irgend etwas Vernünftiges leiste. Um dessen intensive Bewegungslust zu kultivieren, empfahl ich rhythmische Gymnastik. Das Kind war musikalisch und tanzbegabt. Ferner war es geschichten-
hungrig. Um in dieser Hinsicht die Kleine von der Mutter zu lösen und
aktiv werden zu lassen, gab ich ihr meine Fibel,' damit sie lesen lernen
und selber Geschichten lesen konnte. Nach einiger Zeit hörte ich aus der Umgebung des Kindes, daß dieses sich ganz verändert habe, es sei ruhig geworden und onaniere nicht mehr.
4. Der folgende Fall schildert eine therapeutische Wiederkehr der Onanie. Frieda C., eine intelligente Tochter von 22 Jahren, kommt nach einigen Stunden Analyse in die folgende Sitzung mit der Bibel unter dem Arm, legt sie auf den Tisch und erklärt: „Letzte Nacht habe ich Gott
erlebt!” Ich ersuchte sie nun, das ganze Erlebnis genau zu beschreiben. -
Ich erkannte bald, daß es sich um einen sexuellen Orgasmus handeln müsse, Um festzustellen, wie sie dazu gekommen war, erkundigte ich mich nach den voraufgegangenen Erlebnissen, und erfuhr, daß Frieda energisch mit dem Teufel gekämpft, ihn aber überwunden habe, worauf sie mit einem beseligenden Gotteserlebnis belohnt worden sei. An Hand der nach und nach vorgebrachten Einzelheiten konnte der Ablauf des Vorfalls rekonstruiert werden: Es war bald nach dem Zuübettgehen. Da trat ein mit Angst und Schuldgefühlen begleiteter Spannungszustand ein, Das war das teuflische Erlebnis, das Frieda in der Weise zu bekämpfen suchte, daß sie betete und den Körper zusammenzog, wobei besonders die Schenkel in der Genitalgegend zusammengepreßt wurden. Erregung und Angst steigerten sich (Angstlust), bis auf der Höhe der Orgasmus erfolgte.
Ich machte nun die Analysandin auf den Sinn des Geschehenen auf- merksam. Sie erfaßte ihn sofort und erinnerte sich bald, daß sie vor Jahren (wie sich dann herausstellte, kurz vor dem Ausbruch der „Krankheit“) „50 etwas“ getan, in der Angst vor allerlei möglichen Schädigungen aber unterdrückt und ganz aufgegeben und vergessen habe. Frieda war reizbar, launenhaft, quälte ihre Angehörigen, litt an allerlei Magen- und Darm- störungen, die lange Zeit erfolglos medikamentös behandelt wurden. Sie war von jeher „nervös“. Aber eigentlich krank wurde sie erst nach der Unter- drückung der Onanie. Nach jenem „Gotteserlebnis“ nahm sie diese wieder auf. Ihr Zustand besserte sich so rasch, daß ich in der Umgebung der Tochter auf der einen Seite über Menschenhöhe gehoben und auf der anderen mit dem Teufel in Beziehung gebracht wurde. Dabei war aber vorläufig weiter nichts geschehen, als daß der gewöhnliche Ablauf einer abgewehrten und verdrängten Onaniespannung erreicht worden war. Frieda
ı) Der bunte Vogel. Grethlein, Leipzig.
nahm nun die Onanie in ergiebigem Maße wieder auf. Bald traten aber neue Angst- und Schuldgefühle auf, die sich der Analyse stellten. Doch hierüber wollen wir nicht weiter sprechen, sondern uns nur die Frage vorlegen, warum die Wiederaufnahme der Onanie ermöglicht wurde und weshalb in dieser Form.
Frieda kam zu mir in Analyse, angeregt durch zwei Bekannte, die bei mir in Behandlung waren. Die eine litt an einer Zwangsneurose mit religiösen Vorstellungen. Die andere hatte Frieda erzählt, daß ihr die Analyse „höhere Erlebnisse“ gebracht habe. Sie stand im Zeichen einer starken positiven Übertragung. Wenn ich in den ersten Stunden Frieda einzelne Zusammenhänge klarmachte, so quittierte sie das mit dem überschwänglichen Ausruf: „Ist das göttlich ! Ja, die Analyse ist wirklich etwas Göttliches!* Unter der Fiktion einer göttlichen Sache konnte sie die bis jetzt verpönten Gedanken ertragen. Die bewußte Erwartung eines „höheren Erlebnisses“ und das Abblenden erotischer Schuldgefühle ermöglichten dann der verdrängten Onanie den Durchbruch. Die Wieder- kehr der Abwehr wurde als Kampf mit dem Teufel erlebt. Sie war aber gleichzeitig die Wiederkehr der Onanie unter dem Deckmantel einer verdienstvollen religiösen Handlung, die dann auch richtig belohnt wurde. Der Orgasmus konnte als Sexualbefriedigung genossen werden.
Dieses „Gotteserlebnis“ in seinem Ablauf und in den Folgen war gewiß nur möglich, wenn der Selbstbefriedigung im Leben der Menschen ein Wert zukommt. Die Analyse bewies im weiteren, daß Angst- und Schuldgefühle einerseits Signale zur Abwehr einer starken Triebhaftigkeit waren, und daß sie andererseits durch Erziehung und Ödipussituation verstärkt wurden. Die Abwehr führte zur Verdrängung und diese zur Erkrankung. Die Wiederkehr brachte vorerst in der Fiktion eines religiösen Erlebnisses, dann durch die analytische Duldung eine vorläufige Besserung, aber erst die Bearbeitung des ganzen Schuld- und Angstkomplexes erzielte Heilung.
HLNNINEIENEANENNUNEILAENUNULNEIENLUALNEINIAIEDIENUENALAEIEEIEKEUULUEAEERUIEUUUUERIAKUUUBNAUUNL
Über die Onanie im Kindesalter
(Nach einer Diskussionsbemerkung in der Wiener Psa. Vereinigung am 2. November 1927)
Von Dr. Wilhelm Reich
Assistent am Psychoanalytischen Ambulatorium in Wien
Unter unseren erwachsenen Analysanden lassen sich hinsichtlich der infantilen Onanie unschwer drei Gruppen unterscheiden:
ı) Psychoneurotiker, die die phallische Stufe der Libidoentwicklung voll erreichten, das heißt genital onanierten und infolge spezifischer Schicksale ihres Ödipuskomplexes entweder die genitale Erotik verdrängten und später hysterisch erkrankten, oder aber ihre Libido von der genitalen
Position zurückzogen, auf frühere Stufen regredierten und infolgedessen
einer Zwangsneurose oder einer ähnlichen Erkrankung verlielen.’
2) Psychoneurotiker, die die genitale Stufe der Libidoentwicklung nur
unvollständig oder gar nicht erreichten, sei es infolge einer mächtigen prägenitalen, insbesondere analen Disposition, sei es infolge heftiger Kastrationstraumata, die die Entfaltung der genitalen Libidostufe ver- hinderten. In diesen Fällen setzte ein Prozeß ein, den ich als „prägenitale
Erotisierung des Genitales“ beschrieben habe und der für eine bestimmte
Erkrankung, nämlich die chronische hypochondrische Neurasthenie, spezifisch ist.?2 Bei diesen Kranken sehen wir das Genitale besetzt mit prägenitalen Wünschen und Phantasien, das Genitale bekommt die Bedeutung der Brust, des Anus oder eines anderen erogenen Körperteiles, verliert aber seine eigene Bedeutung. Das Resultat ist gewöhnlich die schwerste Form der Impotenz, die verfrühte Ejakulation bei schlaffem Gliede, bei der, wie
Abraham zuerst beschrieb, die glans penis nicht zur Leitzone geworden
ist. Hier blieb also die genitale Onanie völlig aus.
3) Schließlich sehen wir bei den wenigen Gesunden, die wir zu analysieren Gelegenheit haben, daß die infantile Onanie eine lange Zeit ungestört ausgeübt wurde und sich in der Pubertät allen Schuldgefühlen zum Trotz wieder durchsetzte.
Nehmen wir hinzu, daß sich die Tatsache der stattgehabten genitalen Onanie im Kindesalter als ein günstiges, ihr Ausbleiben, wie etwa bei der ejaculatio praecox, als ungünstiges prognostisches Zeichen bewährt hat, so sind wir zu dem Schlusse gezwungen, daß die infantile Onanie nicht nur kein Entartungszeichen ist, sondern vielmehr eine Vorbedingung des späteren genitalen Primats und des geordneten Sexuallebens, mithin der seelischen Gesundheit überhaupt ist. Nicht nur die prognostische Bedeutung der infantilen Onanie, auch die große Rolle, die die genitale Onanie im Heilungsvorgang spielt, lehren, daß die Fähigkeit, ohne Schuldgefühle oder trotz vorhandener Schuldgefühle ungestört onanieren zu können (nicht zu müssen), ebenfalls zur seelischen Gesundheit gehört.
Nicht die Frage der Schädlichkeit der infantilen Onanie, sondern im Gegenteil die Frage der sie behindernden Wirkungen der Erziehung steht hier zur Diskussion. Dazu ist notwendig, sich vorerst über die Natur der infantilen Onanie klar zu werden. Wenn wir von genitaler Onanie sprechen, so meinen wir beim Knaben nicht etwa bloß eine Manipulation am Genitale, sondern die ebenso wesentliche genitale Phantasie, das heißt den Wunsch, mit dem Genitale in etwas (eine Höhlung usw.) einzudringen ; eine sadistische Färbung dieses Wunsches und der gesamten genitalen Motorik gehört dazu. Als Gegensatz zu, bzw. Abweichung von dieser Norm, sind alle Phantasien zu nennen, die nicht als Vorbilder des späteren Aktes
ı) Vgl. hierzu Freud: Disposition zur Zwangsneurose, Ges. Schr., Bd. V. 2) „Über die chronische hypochondrische Neurasthenie“, Int. Ztschr. f. PsA,, Bd. XII. 1926.
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gelten können. Beim Mädchen liegt die Sache komplizierter, es onaniert nämlich normalerweise nicht am weiblichen, sondern am männlichen Genitalorgan, an der Klitoris; im günstigen Falle verbindet sich aber mit dieser aktiv-phallischen Manipulation eine feminine Phantasie, etwa die, sich dem Vater hinzugeben. Wie dunkel auch eine solche Vorstellung beim kleinen Mädchen noch sein mag, ihre Existenz läßt sich in tiefgehender Analyse als typisches Durchgangsstadium nachweisen. Erst in der ‚Pubertät pflegt diese Phantasie, sofern die übrige Entwicklung in Ordnung verläuft, sich an die vaginale Zone zu heften.!
Wichtig für die Beurteilung der infantilen Onanie ist ferner die Art des dabei erfolgenden Orgasmus. Während die Säuglingsonanie (vermutlich) phantasielos, bloß als lokale Reizung auftritt, in der Pubertät wieder zur Phantasie und Friktion der Samenerguß beim Knaben und ein ähnlicher Vorgang beim Mädchen hinzutritt, ist bei der infantilen Onanie zwar schon die genitale Phantasie am Werk, der Orgasmus hingegen verläuft in einer flachen Kurve mit aufsteigendem und absteigendem Schenkel ohne spitze Akme (Höhepunkt). Die Sensation beim infantilen Orgasmus dürfte am besten der beim Kratzen einer heftig juckenden Hautstelle zu vergleichen sein.
Besonders bedeutsam ist, unter welchen Umständen das Kind die erste onanistische Sensation am Genitale erlebt. Davon hängt oft das Schicksal der späteren Sexualkonstitution ab. So kann eine genitale Erregung, die zuerst beim Geschlagenwerden erlebt wird, einen Masochismus fixieren; eine Erregung beim Urinieren kann, wenn eine strenge Erziehung das ihrige dazutut, ein Vorwiegen der urethralen Lust und Bettnässen zur Folge haben. Sehr oft tritt die genitale Reizung im Zusammenhang mit einer Angsterregung auf, etwa bei der Belauschung eines als sadistisch aufgefaßten Geschlechtsaktes der Eltern oder in irgend einer anderen Angstsituation. Die „Angstlust“ führt dann zu einer Fixierung einer ängstlichen Erwartung, so oft eine genitale Sensation überhaupt auftritt. Deutlich prägt sich das dann in der Pubertät aus, wenn der Orgasmus hinzukommt; man erlebt ihn dann angstvoll als eine Sensation, die einen überwältigt und des klaren Bewußtseins beraubt. Manche Fälle von protrahierter oder vermiedener Endlust lassen sich auf die infantile Angst vor der Sexualerregung zurück- führen. Alle diese Erlebnisse schädigen aber in jedem Falle die normale Genitalfunktion in mehr oder minder ausgesprochener Weise und setzen dadurch auch eine Disposition zur Neurose.
Die Angstlust, der Trotz gegen die versagende Erziehung und nicht zum wenigsten der Haß gegen das versagende Objekt pflegen die Haupt- ursachen der fixierten kindlichen Onanie zu sein. Man muß annehmen, daß ebenso wie in der Pubertät und zur Zeit der Geburt somatische Evolutionen am Genitalapparat die Libidofunktionen bedingen, auch im
ı) Man möchte es aber für angezeigt halten, das kleine Mädchen auf die Vagina aufmerksam zu machen.
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Ödipusalter ein somatischer Schub am Genitalapparat die genitale Organi-
sation und die Onanie begründet. Diese Annahme ist psychoanalytisch = notwendig, ihre Bestätigung Sache der Physiologie. Mit dem Abklingen dieses supponierten somatischen Schubes und der Ödipusphase müßte auch die Onanie abnehmen oder ganz verschwinden; wenn dies nicht zutrifft, so kann wohl nur die streng versagende Erziehung dafür verantwortlich. gemacht werden. Es ist aber noch immer günstiger, daß eine ahnungslose Erziehung die Onanie fixiert, als daß sie sie völlig unterbindet oder gar | nicht zustande kommen läßt. Versuche „fortschrittlich“ denkender Erzieher, |
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von der Onanie „sanft abzulenken“, muß man vorsichtig beurteilen, denn das Kind hat unzweifelhaft ein sicheres Gefühl für das Unbewußte des Erwachsenen, das es am genitalen Lustgewinn hindern will. |
Gefahren ergeben sich aus der Onanie, soweit man die Sachlage über- | blickt, nur aus den Verboten. Diese schaffen nämlich, ohne die Onanie | völlig zu behindern, ein Schuldgefühl und eine hypochondrische Angst, | welche den Ablauf der Erregung im Onanieakt stört und Neurasthenie erzeugt. Die Freudsche Annahme, daß exzessive Onanie Neurasthenie | erzeugt, besteht, wie ich an anderer Stelle mit reichlichen Belegen zu | zeigen versuchte, mit der Einschränkung zu Recht, daß die Störung auf der unmittelbaren Beeinflussung des Erregungsablaufs durch das Schuld- gefühl beruht; Fälle, die ohne solche unmittelbare Zersplitterung der Erregung onanieren, erkranken nicht an Neurasthenie, wohl aber an einer Psychoneurose, wenn die Onanie nicht rechtzeitig von geschlechtlicher Befriedigung im Sexualakt abgelöst wird.
Auf etwaige Gefahren einzugehen, die sich aus dem uneingeschränkten Gewährenlassen sowohl der infantilen als auch der puberilen ÖOnanie ergeben könnten, verbietet der Mangel an entsprechender Erfahrung. Denen die hier gerne schwarz sehen oder um die kulturellen Sublimierungen besorgt sind, muß man entgegenhalten, daß selten befriedigte Genitalität, aber immer unbefriedigende, durch Schuldgefühle zersplitterte Sexual- betätigung die Sublimierung beeinträchtigt. Übrigens dürften künftige Erfahrungen auf diesem Gebiete wieder zeigen, wie sehr auch noch der analysierte Erwachsene unter dem Drucke einer Sexualverdrängung steht, die in Fragen der Onanie wie des Sexuallebens überhaupt kein einfaches, den natürlichen Gegebenheiten entsprechendes Urteil aufkommen läßt.
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Onanie bei kleinen Kindern Von Wera Schmidt, Moskau
Nach Freud gibt es zwei Perioden der kindlichen Onanie: im Säuglingsalter und im Alter von drei bis fünf Jahren ungefähr.” Es gibt auch, sagt Freud, eine große Differenz zwischen kindlicher Onanie und der der Erwachsenen. Das Kind bekommt angenehme Empfindungen, wenn es sein Genitale berührt, hat aber keine erotischen Phantasien, wie jeder Erwachsene. Im kindlichen Alter spielt das Geschlechtsorgan eine viel geringere Rolle als später. Ein kleines Kind bekommt verschiedene angenehme Empfindungen von seinem Körper; es lutscht an den Fingern, es streichelt seine Brust oder seinen Bauch usw. Unter den verschiedenen Teilen des Körpers, deren Reiz dem Kinde viel Vergnügen macht (erogene Zonen), befindet sich auch sein Geschlechtsorgan. Dieses ist aber in der Vorstellung des Kindes mit der Harnentleerung verbunden, und sein Berühren weckt, wie oben gesagt, keine anderen Erlebnisse, als angenehme Empfindungen in dieser Zone.
Die Eltern und die Erzieher erschrecken sehr, wenn sie bemerken, daß so ein kleines Kind onaniert. Sie schelten es, oft strafen sie es sehr schwer, manchmal drohen sie, ihm die Hand oder das Glied selbst wegzuschneiden., Das Resultat ist fast immer dasselbe: das Kind wird ängstlich, es bekommt verschiedene neurotische Symptome, aber die Onanie gibt es nicht auf. Nur macht es das ganz heimlich und gewöhnt sich allmählich, zu lügen. Das Ziel ist also nicht erreicht, dem Kinde aber hat man schwere psychische Traumen zugefügt, welche seine psychische Entwicklung schwer stören. Was soll man also tun? Wie soll man die Kinder erziehen, um andere Resultate zu bekommen?
Pädagogische Arbeit braucht keine fertigen Rezepte, um so mehr, als diese Frage sehr kompliziert und wenig untersucht ist. Ich möchte nur über einen pädagogischen Versuch erzählen, der in Moskau im Kinderheim- Laboratorium (K. H.L.) beim Psychoanalytischen Institut stattgefunden hat.”
In diesem Kinderheime bemühten sich die Pädagogen, normale Wege der sexuellen Erziehung der Kinder zu finden. Es ist selbstverständlich, dal die Onaniefrage in der ersten Reihe stand. Die Kinder traten in das Heim im Alter von ein bis eineinhalb Jahren ein und blieben dort drei Jahre lang. Die sexuellen Erscheinungen der Kinder waren für die Erzieherinnen etwas ganz Normales, physiologisch Gesetzmäßiges. Gegen das Physiologische des Kindes kann man nicht kämpfen, man kann nur seine Erscheinungen erziehen. Die pädagogischen Maßnahmen wurden also auf diesem Fundamente aufgebaut. Man erleichterte dem Kinde durch die
ı) Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Gesammelte Schriften, Bd. V. 2) Ausführlicher über diese Arbeit ist in meiner Broschüre „Psychoanalytische Erziehung in Sowjetrußland“ erzählt.
pädagogische Umwelt die Sublimierung seiner Triebe und den Übergan, auf die höhere Stufe der psychosexuellen Entwicklung.
Die Erzieherinnen sollten ganz ruhig sein, wenn die Kinder etwas — | ihrer Meinung nach — Unanständiges oder Abscheuliches machten. Denn
affektive Reaktionen des Pädagogen (oder der Eltern) hindern ihn, das
kindliche Benehmen zu verstehen und richtig zu behandeln. Dank dieser
Regel wußten die Kinder nicht, daß die Onanie etwas Schändliches, etwas Verbotenes sei. Sie onanierten vor den Erzieherinnen ohne Scheu und Angst. Dieses ganz offene Benehmen der Kinder hatte zwei große Vorzüge für die pädagogische Arbeit:
ı) Die Beziehungen der Kinder zu den Erzieherinnen gründeten sich auf großes Vertrauen. Die Kinder brauchten nicht zu lügen und hatten keine Angst und kein Schuldgefühl.
2) Die Erzieherinnen hatten nicht nur die Möglichkeit, das ganze Benehmen der Kinder zu beobachten, sondern auch die Möglichkeit, richtig zu erziehen. |
Die genauen Beobachtungen im K.H.L. zeigten, daß die Kinder sehr wenig onanierten, obgleich sie in dieser Hinsicht ganz frei waren, Niemals geschah es, daß alle Kinder zusammen onanierten, und kein Kind bekam eine Gewohnheit zur Onanie. Außerdem zeigten die Beobachtungen, daß es zwei verschiedene Arten der Onanie in diesem Alter gibt.
Die erste ist eine Reaktion auf die physiologischen Reize in dem kind- lichen Organismus, die zweite ist eine solche auf die subjektiv unangenehmen Erscheinungen in der Außenwelt. Zum Beispiel: Sehnsucht nach der Mutter, Krankheit, unbefriedigtes Liebesbedürfnis (besonders nach der Geburt eines weiteren Kindes in der Familie) usw. Die erste Art der Onanie galt im K.H.L. als ganz normale physiologische Erscheinung, welche nur vorbeugende Maßnahmen erforderte. Das heißt, alle Bestrebungen der Erzieherinnen waren nicht auf den Kampf mit der Onanie, sondern auf das Schaffen der richtigen pädagogischen Umwelt gerichtet. Die Kinder sollten sich ganz normal in allen Richtungen entwickeln. Was war dafür nötig?
ı) Eine gute Körperpflege (Spaziergang, Essen, Bad, Abreibung am Morgen, Schlaf usw.).
2) Ein richtiger Kontakt zwischen Erzieherinnen und Kindern.
3) Soviel Liebe und Sorge für jedes Kind, wie es persönlich braucht.
4) Ein für Kinder interessantes Leben, für dieses Alter passende Spiel- sachen und Materialien.
5) Nützliche Arbeit, welche den kindlichen Kräften angepaßt ist usw.
Wenn alle diese Forderungen erfüllt waren, so waren die Aufmerksamkeit und das Interesse der Kinder immer auf etwas sozial Wertvolles gerichtet, und es blieb ihnen keine Zeit für die Onanie. Wenn es sich aber um ein physiologisches Bedürfnis handelte, störten die Erzieherinnen das Kind nicht, eine kurze Zeit vor dem Einschlafen zu onanieren. Das dauerte
gewöhnlich zwei, drei bis vier Abende, und das Kind hörte von selbst auf. Alle Kinder waren gesund und munter, schliefen sehr gut und fest; man konnte überhaupt keinen Schaden für sie bemerken, der von der Onanie entstanden wäre. Wie ich oben gesagt habe, keines von ihnen bekam eine „schlechte Gewohnheit“.
Die zweite Art der Onanie verfolgt ganz andere Zwecke. Wenn das Kind in Verzweiflung ist oder sich zwischen fremden Leuten sieht und fühlt, kehrt es in sich, zerreißt alle Bindungen mit der Realität und onaniert, um sich selbst zu trösten. Es ist selbstverständlich, daß kein Schelten und keine Drohungen in solchen Fällen helfen können. Sie werden den Zustand des Kindes noch verschlimmern. Im K.H.L. mußte die Erzieherin zuerst den Grund eines solchen Zustandes herausfinden und verstehen, dann diesen Grund beseitigen, nicht aber mit der Önanie kämpfen. Wenn es möglich war, den wirklichen Grund zu beseitigen, hörte die Onanie sofort auf. Das Kind wurde wieder munter und begann mit seinen Kameraden zu spielen. Wenn es nicht so leicht war (z. B. wenn es sich um ein Kind handelte, welches sich nach seiner Familie sehnte), dann sollte die Erzieherin die Wünsche des Kindes irgendwie anders kompensieren, in unserem Beispiel ihm mehr Liebe und Sorgfalt schenken, es möglichst schnell mit anderen Kindern in Beziehung bringen usw. Wenn es ihr gelang, mit dem Kinde einen Kontakt herzustellen und es mit der Realität zu verbinden, hörte die Onanie auf. Diese Beispiele können uns als Beweis dienen, daß nicht die Onanie selbst, sondern ihre Ursachen dem Kinde schaden können. Dann ist es besser, gegen die Ursachen zu kämpfen, nicht aber gegen ihre Symptome.
Das K.H.L. wurde viel eher geschlossen, als die Kinder zur Latenz- periode der Sexualentwicklung gelangten. Darum kann man nicht bestimmt sagen, daß gerade diese Erziehung der Sexualität richtig sei. Von einzelnen Eltern weiß ich, daß ihre Kinder im Alter von fünf bis sechs Jahren die Onanie ganz aufgegeben haben und sich bis jetzt (sieben bis acht Jahre alt) ganz normal entwickeln. Selbstverständlich können wir aber aus wenigen Beispielen keine endgültigen Schlüsse ziehen.
Man kann nur folgende Tatsachen konstatieren:
ı) Eine ernste und ruhige Einstellung zur kindlichen Onanie ruft keine Angstzustände hervor und hilft darum der allgemeinen Entwicklung des Kindes.
2) Die Beziehungen zwischen der Erzieherin (Mutter) und dem Kinde sind viel besser, viel vertrauensvoller, wenn das Kind nicht zu lügen braucht.
3) Wenn die pädagogische Umwelt die rechte ist und alle vorbeugenden Maßnahmen getroffen sind, so bildet sich bei den Kindern keine Gewohn- heit, zu onanieren.
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Onanie und Kastration Von Dr. Gustav Hans Graber, Bern
Die Verschränkung des Onanie- und Kastrationskomplexes, schon im Bewußtsein meist eine ungemein enge, kann im Unbewußten sich bis zum Grade der Vollständigkeit auswachsen, so daß ein Komplex für den anderen zu stehen kommt.
Fast regelmäßig läßt sich die Kastrationsfurcht auf ein traumatisches Erlebnis zurückführen: Der kleine Knabe nimmt sein Händchen unter die Bettdecke, „spielt“ mit seinem Gliedchen, wird von der Warteperson ertappt, gewarnt, auch etwa aufs böse Händchen geschlagen, ja, es wird dem Kleinen gedroht, daß man das „Ding“ abschneide, daß der Rabe oder der Mops oder die Katze komme und es abbeiße.
Aber auch dort, wo dem Kinde keine Erinnerungen an derartige Vor-
kommnisse auftauchen, auch dort, wo die Eltern versichern, nie solche
läppische Schreckmittel angewendet zu haben, bilden Onanie und Kastration in der Psyche ein Ganzes, das untrennbar erscheint. Wir wissen aus tausend Erfahrungen, daß in solchen Dingen kein Verlaß auf die mensch- lichen Erinnerungen besteht. Freilich, das Unbewußte vergißt nichts, ver- gißt nicht einmal, was Generationen und Generationen vor uns „gesündigt“ haben.
Ich will über einen solchen Fall berichten, bei dem weder der zu behandelnde Knabe noch seine Eltern sich an den Ausspruch einer Kastrationsdrohung erinnern können.
Erwin ist ein kränklicher Knabe, der seinen Eltern viel Sorge bereitet. Die Mutter übergibt mir eine Liste der von ihm schon erlittenen Krank- heiten: Dreimal Lungenentzündung, Mittelohrentzündung, mehrmals Masern, spitze Blattern, häufig Halsschmerzen, Katarrh. Er leidet ferner an einem Augentic und zeigt häufig nervöse Zuckungen im Gesicht.
Erwin hat für sein Alter von zehn Jahren eine außergewöhnliche Krankheitseinsicht und einen starken Gesundungswillen. Er erzählt zu Anfang der Analyse folgenden Traum:
„Papa geht aufs ‚Schänzli, um Musik zu machen. Er will mich nicht mit- nehmen, aber ich bin dann mit Mama doch dort. Plötzlich befinden sich Papa und ich wieder daheim. Papa geht ins Schlafzimmer und ‚schoppt‘ (pressen) Wäsche in seine Hosen, die auf dem Diwan liegen, damit man meine, er liege dort. Ich kam herein, da sprang er zur Balkontüre hinaus, und ich sah, daß er bei den Hosen durch (in der Gegend der Geschlechtsteile) abgeschnitten war. Ich tat einen Schrei und erwachte.“
Der Traum beschäftigte uns viele Stunden. Ich vermutete, daß es sich um eine Kastration des Vaters handle, um seine Geschlechtsrolle gegenüber der Mutter einnehmen zu können. Wie wir aus den nachfolgenden Ein- fällen Erwins entnehmen können, handelte es sich aber in einer oberen Schicht der konfliktschaffenden Verdrängungen vorläuig nur um eine
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Rückwendung der vom Vater befürchteten Kastration auf den Bedroher selbst, und zwar ging die Kastrationsfurcht auf die Onanie zurück.
Erwin gibt zum „Abschneiden“ folgende Einfälle:
„Papa sagt immer, daß ich einen Zahn ziehen solle, der mir nicht weh tut... Einst hatte ich am Finger eine kleine Wunde. Mama lachte mich aus und glaubte nicht, daß es mir weh tue. Dann aber wurde es immer schlimmer. Der Finger wurde voll Eiter. Ich hatte Angst, man müsse ihn abschneiden...
Wenn ich schlafe und den kleinen Finger unter den Kopf halte, so wird er ganz steif, und wenn ich dann darauf beiße, so tut es mir nicht weh. Die anderen Finger werden nie steif . . .
Letzte Weihnachten erhielt ich ein Buch mit einem Bild, das darstellt, wie der Wind einen Turm umbläs .. ."
Zahn, Finger, Turm sollen entfernt werden. Sie sind unverkennbare Penissymbole. Weshalb aber die Kastration? Der nächste Einfall deutet schon auf die Onanie hin:
„Einst wurde unser Gartentor gestrichen. Ich probierte mit dem Finger, ob es trocken sei. Ein Arbeiter schimpfte, ob ich immer mit den Fingern sehen müsse und keine Augen habe...
Sogleich setzt jedoch die Abwehr des angeschnittenen Onaniekomplexes ein. Erwin erzählt eine Begebenheit, die das manifeste Material zum erwähnten Traum lieferte:
„Papa hatte vorgestern abend Zahnweh. Mama wollte nicht, daß er in die Konzertprobe gehe. Er ging aber gleichwohl. Gestern war er nun beim Zahnarzt, aber er hat noch mehr Zahnweh als zuvor, denn der Zahnarzt hat ihm einen Teil des Zahnes abgehrochen.“
Wir erinnern uns, daß im Traum statt des Zahnes der Vater selbst „abgebrochen“ wird. Nach der Schilderung der symbolischen Kastration des Vaters taucht Erwin folgende Erinnerung auf:
„Einst fand ich eine alte Pistole, die ganz verrostet war. Ich wollte sie vom Vater wieder instandsetzen lassen. Aber dann dachte ich, man könne doch nichts damit anfangen, und warf sie fort. Später fand ich sie wieder und steckte sie in die Tasche. Noch später aber tat ich sie in ein Senkloch.“
Wenn wir in der Pistole wieder ein Penissymbol erkennen, dann offen- bart sich uns obige Begebenheit vorerst als eine Selbstkastration (weg- werfen der Pistole) und sodann als (wahrscheinlich inzestuöser) Geschlechts- verkehr (Senkloch der „Mutter“ Erde). Wir konstatieren bis dahin folgende Abwicklung des Knäuels der Konflikte: Kastration des Vaters (Traum), weil dieser am Knaben die Kastration vollziehen will (Zahn), und zwar zur Strafe für die Onanie (mit Finger berühren). Das Bewußtsein negiert diese Zusammenhänge, und die Einfälle wiederholen erneut denselben Gedankengang, allerdings mit deutlicheren Symbolen. Der Vater wird wieder kastriert (gebrochener Zahn), darauf folgt diesmal die Selbst- kastration (Wegwerfen der Pistole), und zwar nicht mehr wegen der Onanie, sondern bereits wegen des Inzestes. Der Inzestkomplex blieb aber vorläufig
verdrängt. Der Knabe suchte während vieler Stunden die Zusammenhänge“ e
zwischen Onanie und Kastration aufzufinden.
Eingehend erzählt Erwin nun von seinem „Handfertigkeitsunterricht*: Vom
Pressen, Hobeln, vom Absägen von Holzstangen, vom Abschneiden und von den Abfällen. Von den letzteren träumt er, daß er sie heimtrage. 3 „Handfertiekeit“ (Onanie) und „abschneiden“, „Abfälle“ (Kastration) beschäftigten Erwin immer intensiver. Schließlich bringt er die Abfälle und das Abschneiden mit dem im ersten Traume zerschnittenen Vater in Zusammenhang: =
„Vielleicht sind Räuber gekommen, die den Vater halöten, und sie schnitten ihn schnell entzwei. Aber wer hat die Räuber geschickt? Der liebe Gott hat sie geschickt, weil er dachte, es muß dem Menschen auch etwas passieren . . . Vielleicht habe ich selbst den Vater voneinandergeschnitten. Er hätte mir nicht so etwas Böses antun sollen und mich nicht mitnehmen .. . Vielleicht hat er ein glühendes Zündhölzchen fortgeworfen .. . Vielleicht hat er in einem Zigarettengeschäft kleine Zigarren gestohlen.“
Der Vater wird also, weil er Zündhölzchen und Zigarren nahm oder wegwarf, gestraft. Wir erkennen auch hier wieder die Penissymbole Nun aber produziert Erwin sehr starke Widerstände, berichtet schließlich, wie er einmal sein kleines Schwesterchen nackt gesehen habe. Dabei gewahrte er, daß es nur eine „Ritze“ hatte, und er dachte sofort, man habe ihm das Gliedlein abgeschnitten. Er sagt:
„Ich habe dann oft Angst gehabt, man schneide mir das Gliedlein auch ab. Ich dachte immer, der Papa würde es machen. Dann habe ich das Gliedlein immer so lange angesehen und gedacht, wenn sie es mir nur nicht abschneiden würden . . . Ich habe die Hände meistens über der Bettdecke, denn ich spiele mit einem kleinen Bärlein. Noch jetzt schlafe ich immer mit dem Bärlein ... Der Vater wollte mir das Gliedlein abschneiden, und nun dachten die Räuber, dafür wollen wir jetzt ihn, aber dann sicher, mitten durchschneiden .. . Früher... Vielleicht habe ich früher mit dem Gliedlein gespielt, und sie wollten nicht, daß ich es tue, und darum wollten sie es lieber abschneiden."
Nebenbei sei bemerkt, daß nach obigem Bericht der Augentic des Knaben verschwand. Er war eine Selbstbestrafung ‚für das Ansehen des Gliedes. Der Bericht, der natürlich wesentlich gekürzt ist, beweist ein- deutig den engen Zusammenhang zwischen ÖOnanie und Kastrationsangst. Im späteren Verlauf der Analyse wurde Erwin im ferneren klar, daß er im 'Traum den Vater zur Strafe für die ihm angedrohte Kastration entzwei- schnitt, so daß wir die Überzeugung erhalten müssen, daß die anfänglich etwas gewagt erscheinenden Deutungen zu Recht bestehen.
ı) Das Spielen mit dem Bärlein wurde Ersatz für die verdrängte Onanie.
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Auf der Höhe der Entmannungsangst Von Dr. med. E. Hitschmann, Wien
Ein Kinderarzt wies einen neunjährigen Knaben wegen nervöser Angst an mich. Es war ein zarter Knabe sanfter Art, mit auffallend ernsten Zügen. Die Vorgeschichte ergab: Er wäre bis zum sechsten Lebensjahr ganz anders gewesen, voll Kraftgefühl, waghalsig und schwindelfrei, sei dann stiller, in letzter Zeit sehr kleinmütig und ängstlich geworden, schlafe sehr unruhig, habe Angstanfälle und Angstträume, werfe sich manchmal zu Boden. Unter den Kollegen isoliere er sich, traue sich nichts zu. Er lerne jetzt schlecht, gehe ungern in die Schule und mache nur schlechte Fortschritte. Er äußere starke Minderwertigkeitsgefühle, sei traurig und grüble.
Der Knabe konnte nicht einer länger dauernden Analyse unterzogen werden, aber die Gespräche nur weniger Stunden ergaben ein so lehrreiches Material, daß es hier mitgeteilt zu werden verdient, wenn auch der Zu- stand hier später als sonst und künstlich zum Höhepunkt kam.
Der Knabe saß unruhig auf seinem Stuhl, spielte mit einer Hand nahe dem Genitale auf seiner Lederhose, fuhr mit der anderen im Gesicht, namentlich an den Augen wischend, umher. Seine Angaben, hier nur etwas historisch geordnet, lauteten:
Er entsinne sich, daß, als er etwa drei Jahre gewesen sei, die Mägde ihm gesagt hätten, er solle nicht mit seinem Gliede spielen, sonst werde er krank, das Glied müsse dann wegoperiert werden, so daß er dann nicht werde urinieren können. Er habe dadurch Angst bekommen, daß er dann immer Drang haben werde. Ob die Onanie schade?, denn auch die Mutter habe sie verboten, weil sie nervös mache. Vor einem halben Jahre sei er operiert worden (es war nach Angabe des Kinderarztes eine unblutige Dehnung der zu engen Vorhaut gewesen), nachher im Bade habe er große Schmerzen am Glied gehabt durch das heiße Wasser. Der Arzt hätte auch gesagt, eine Hode sei oben geblieben (Leistenhode). All das habe ihn sehr erschreckt.
Schon vor einem Jahre sei ihm aufgefallen, daß sein Hodensack im Bade auf dem Wasser schwimme und zusammenschrumpfe, er glaubte, er sei dort krank. Er habe von einem Manne gehört, der keine Kinder haben könne. Er sei ganz von der Mutter aufgeklärt worden. Das Kinderkriegen halte er für etwas Besonderes, Seltenes, Krankhaftes. In Galizien, wo sie im Kriege beim Vater eine Zeitlang gewesen seien, habe er so viele Amputierte gesehen, auch gebrochene Beine bei Pferden, Vögel mit verletzten Füßen, ebenso Fliegen mit ausgerissenen Beinen. Er fürchte sehr, wenn er einen Nagel einschlage, sich am Finger zu verletzen; fürchte sehr Nadeln auf dem Fußboden, auch wegen der anderen, die sich ver- letzen könnten.
Er liebe seinen Vater, habe aber doch Angst vor ihm, daß er ihm ee oder jemand anderem etwas tue. Der Vater komme ihm manchmal so groß vor, aufgebläht, wie der Mann auf dem Gummiball. Er habe Angst
vor Geräuschen, vor Lärm und vor Pferden.
Als die Mutter an Hämorrhoiden gelitten habe, habe er Bauchschmerzen gehabt und die Angst, es könne einem ein Stück Darm herausfallen. Er habe immer Sorge um die Mutter, die er besonders liebe. Zuweilen möchte er sterben! Er habe ein schlechtes Gedächtnis; alle anderen seien stärker gebaut als er. Selbst bei seiner kleinen Schwester fürchte er, sie könne, ihm begegnend, an ihn stoßen.
Er weiß auch zwei Träume zu berichten:
1) „Ich kam ins Schlafzimmer der Eltern und sah dort jemand sitzen, eine gut bekannte Person, doch weiß ich nicht zu sagen, wer es war. Sie hatte beide Füße abgehaut, nur blutende (Oberschenkel-) Stümpfe. Ich erschrack sehr und erwachte.“
Zu diesem Traume falle ihm einer aus dem vierten Lebensjahr ein: Ein Elefant hatte ihrer Magd beide Beine mit dem Rüssel ausgerissen, so daß nur der Rumpf da war.
2) „Ich war einer römischen Legion gegen feindliches Volk zugeteilt. Ich riet der Mutter — aus Angst um sie — vom Balkon hineinzugehen. Fünf bis sechs Feinde drangen von hinten ins Haus. Ich habe zweien den Dolch in die Kehle gestoßen, dabei aber aus Ungeschicklichkeit den eigenen Hauptmann am Halse verletzt. Dieser beschimpfte mich als zu jung zum Soldaten.“ —
Wir sehen, wie ein Knabe, der schon früh eine Kastrationsdrohung erfahren hat, im Anschluß an eine Genitaloperation mit nachfolgendem heftigem Schmerz eine wesentliche Verschlimmerung eines länger beste-. henden hypochondrischen Seelenzustandes erfährt. Er hat eine ausgesprochene Angst, am Genitale krank zu sein, erinnert sogar an einen impotenten Mann, von dem er gehört hat. Er hat körperliche Minderwertigkeits- gefühle, fürchtet um sein Fingerglied, und amputierte Menschen und ver- letzte Tiere beunruhigen ihn. Onanieversuchung (vgl. das Spiel mit den Händen) und Angst vor ihm gedrohten Folgen kämpfen in ihm.
Er berichtet in Träumen von Bildern gewaltsam amputierter Frauen, deren Verstümmelung er offenbar mit dem Sexualverkehr in Zusammen- hang bringt, ihn also für sadistisch hält; denn zum Traum von der Magd berichtet er, sie sei damals wegen einer Liebesgeschichte aus dem Haus gekommen und — betrogen von ihrem Geliebten — mit Gehstörung wiedergekommen. Es ließ sich feststellen, daß das Mädchen damals außer Hause entbunden hatte und leidend wiedergekommen war.
Die Person im Schlafzimmer der Eltern ist offenbar die Mutter, ge- schädigt durch den Vater. Es liegt nahe, hier Koitusbeobachtung durch den Knaben anzunehmen, daher auch die Geräuschangst.
Die Ambivalenz gegen den Vater, der übrigens im Leben ein
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etwas rüder Geselle ist, ist deutlich zu erkennen; er ist der zufällig verletzte Hauptmann. Die feminine Einstellung des Knaben ergibt sich aus dem Bilde der von hinten eindringenden Feinde im zweiten Traum.
Die durch die Kastrationsdrohung der Mägde hervorgerufene Angst vor Folgen der Onanie wurde unter den erregenden Erlebnissen in der Kriegszeit in Galizien, vielleicht durch Koitusbeobachtungen mit gesteigerter Onanie- versuchung, erhöht. Die Schuldgefühle — wegen aus dem Ödipuskomplex stammender böser Wünsche auf den rohen Vater — erzeugen neue Angst (Kastrationsangst). Ebenso verdrängte masochistisch-feminine Ver- suchungsphantasien gegen den Vater. Dem ganzen neurotischen Zustand scheint eine masochistische Phase mit Angstlust zugrunde zu liegen.
Da die Sommerferien bevorstanden, wurde die Analyse von den Eltern aufgeschoben; der Knabe aber erholte sich im Sommer und war wieder mutiger und schulfähig.
Daß er eine neurotische Disposition, insbesonders zur Erkrankung an Angst, Hypochondrie und psychischer Impotenz, mitgenommen hat, ist wohl außer Zweifel. Eine wichtige Anregung zu neuer Kastrationsangst mag ihm —- wenigstens stimmt es zeitlich überein — durch die Beob- achtung seiner neu geborenen jüngeren Schwester gekommen sein.
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Die Onanieselbstbeschuldigungen in Psychosen Dr. med. Karl Landauer, Frankfurt a M.
Als ein Hauptargument dafür, daß die Onanie außerordentlich schädlich sei und zu Krankheit, namentlich Geisteskrankheit, führe, hat man die Tatsache gewertet, daB Geisteskranke, namentlich Traurig-Verstimmte, immer wieder sich selbst anklagen, sie hätten ihr Leid selber verschuldet, weil sie sich selbst befleckt hätten. Merkwürdigerweise wird dies auch von den Menschen angeführt, welche immer wieder betonen, es handle sich um Irre, die nicht wüßten, was sie täten, die nicht klar im Kopf seien. In diesem Punkte schenken sie ihnen auf einmal Glauben. Ebenso unlogisch will es zunächst erscheinen, daß Psychoanalytiker sich hier auf einmal verdächtig machen, diese Aussage des Kranken zur Seite schieben zu wollen, obwohl sie doch zur Aufdeckung der innerseelischen Vorgänge fast ausschließlich auf die Aussagen des Betreffenden angewiesen sind. Dies ist aber gar nicht der Fall: Wir wollen sogar recht aufmerksam hin- horchen.
Einmal sagt der Kranke, er leide, sei gequält von Selbstvorwürfen, dann wieder klagt er sich an, er selbst. Also: Ein Teil der Persönlichkeit des Kranken leidet. Man möchte annehmen, das sei der bemitleidenswerte, der, welchem wir helfen müssen. Ein Teil des Kranken quält mit Beschuldigungen. Man sollte glauben, das sei „der böse Geist“, der krank
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machende, der ausgetrieben werden muß. Warum also ihm glauben, der =: krank macht? Wir sind stutzig geworden, indem wir diese ganz primitive 3
Logik, wie sie schon frühesten Jahrhunderten geläufig war, angewandt,
und hören nun genauer hin: die Selbstbeschuldigungen erklingen in einem
moralisierenden und namentlich in einem so übertreibenden Ton, wie
etwa der Erwachsene das Kind behandelt. Das, was der Kranke begangen
haben soll, sei die fürchterlichste Sünde, sei ganz schrecklich, unausdenkbar — und ähnliche Kraftausdrücke mehr. Forschen wir nach, so erfahren
wir, daß hinter den fürchterlichen Verbrechen (zunächst nicht nur Onanie,
sondern z. B. ein Schwarzfahren auf der Elektrischen, ein Naschen in der Kindheit oder ähnliche ganz „schreckliche“ Dinge) geringfügige Taten stehen, daß z. B., um bei der Onanie zu bleiben, sich hinter den „furchtbaren Ausschreitungen“ zwei- oder dreimalige Onanie im ganzen Leben oder auch wohl im Monat verbergen, also eine oft auffallend seltene Onanie. Wenn also etwas krank ist, ist es die Maßlosigkeit des quälenden Teils der Person. Feinere Untersuchung ergibt nun regelmäßig, daß der krank- machende Teil der Persönlichkeit die Worte des Vaters oder der Mutter oder einer anderen Erzieherperson spricht. Immer wieder hält sich der Kranke deren Verbot und deren Anklagen vor. Er hat die Lehren der
Pflegeperson, ja, diese selbst in sich aufgenommen, zu einem Teil seines
Selbst gemacht. Die Kunst der Therapeuten ist es dann, diese Autoritäts- personen im Kranken — wir nennen sie dessen ÜberIch — zu entthronen.
Dies wird allerdings bei einem Teil der Psychosen keine Heilerfolge zeitigen, bei denjenigen nämlich, deren Erscheinungen seelisch bestimmt sind, die aber körperliche Ursachen haben. Bei den Erkrankungen jedoch, bei welchen wir mit Recht erwarten, über die Ursachen der Störungen — weil sie seelisch verursacht sind — aus den Äußerungen der Kranken etwas zu erfahren, hören wir also, daß nicht die Onanie, sondern die Art der Onanieverhinderung krankheitserzeugend war.
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Eine Feuerphobie als Folge unterdrücter Onanie
Von Dr. med. Erwin Hirsch, Stuttgart
Wir wollen unsere siebenjährige Patientin Lore nennen. Die Eltern leben denkbar glücklich miteinander. Die Mutter ist das, was die meisten anderen Kinder vergeblich in der Mutter suchen: die große Freundin, die Zeit für einen hat, mit einem spielt, einmal einen Spaß versteht und: einen ernst nimmt. Man kann ihr alles erzählen, auch das, womit sie nicht zufrieden sein wird, und weiß, daß man nicht Verdammung, sondern Aufmunterung bei ihr findet. Man kann sie alles fragen und weiß, sie wird nichts anderes als die Wahrheit antworten. Man sieht dies alles dem Mädchen schon am
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Gesicht, an jeder seiner Lebensäußerungen an. In allem offenbart sich jene natürliche Anmut und Harmonie, die wir alle mit unserer Idealvorstellung vom Kind verbinden, leider aber bei unseren nach dem Prinzip der Unter- drückung „erzogenen Kindern so selten antreffen.
Wenige bezeichnende Daten aus ihrer Lebensgeschichte seien vorangeschickt, ehe wir uns ihrer Phobie zuwenden. Als gegen Ende ihres fünften Jahres ein Geschwisterchen in Aussicht stand, ergab sich ganz von selbst eine Reihe von Gesprächen zwischen Mutter und Tochter, während welcher nicht nur die Herkunft des Brüderchens oder Schwesterchens klargestellt, sondern auch jeder drohenden Eifersucht dadurch vorgebeugt wurde, dal unsere Kleine die wirk- lich berechtigte Überzeugung gewann, daß ihr das Ereignis keinen Verlust an Elternliebe bringen werde, ja, daß man an dem neuen kleinen Lebewesen sogar einen großen Teil seiner Liebesregungen (Mutterinstinkt). werde betätigen können. Ihre Antwort auf die Erweiterung ihres sexuellen Wissens war: „Au, ich möcht’ mal eine aufgeschnittene Mutti sehen!“, und etwas später, mehr nach- denklich, die Frage: „Tut das arg weh, wenn es herauskommt?” Nach der Geburt des Schwesterchens kam auf die geistreiche Neckerei eines Besuches: „Das Schwesterle schenkst du uns, die empörte Zurückweisung: „Nein! Jetzt haben wir so lange darauf gewartet, jetzt bleibt’s auch da!” (Man beachte das „wir“. Sie rechnet sich zu den Großen, das Kind ist nicht nur das Kind der Eltern, sondern auch ihres. Nebenbei eine sehr gute Umgehung der reinen Identifizierung mit der Mutter, aus der sich ja ebensogut Haß wie Liebe ergeben kann.)
Es mag nun etwas erstaunlich sein, daß ein Kind, bei welchem, wie hier, alle Vorbedingungen für eine harmonische seelische Entwicklung gegeben sind, und welches auch wirklich alle Zeichen einer solchen aufweist, mit vier Jahren an recht schweren Angstzuständen erkrankt. Den äußerlich erkenn- baren Ausgangspunkt bildete ein Brand an der Arbeitsstätte des — sehr geliebten — Vaters. Die Erkrankung zog sich bis ins achte Jahr hin, ehe ich Gelegenheit hatte, einzugreifen. Sie machte verschiedene Wandlungen durch, die mir die Mutter nicht mehr mit der wünschenswerten Genauigkeit berichten konnte. Doch steht soviel fest, daß vom Tag des Brandes ab der Anblick des betreffenden Gebäudes in Lore die heftigste Angst hervorrief, und daß sie bei jedem Spaziergang angstvoll fragte, ob man dort auch sicher nichts von demselben sehen werde. Später entwickelte sich dann daraus eine regelrechte Feuerphobie. Abends, im Bett, wenn das Kind einschlafen sollte, kamen „so dumme Gedanken‘: Das Haus könnte anfangen zu brennen, manchmal auch, unter dem Bett könnte ein Feuer sein. Sodann erweiterte sich diese abendliche Angst zu einer auch bei Tag auftretenden Angst vor dem bloßen Denken ans Feuer, ja bloß ans Wort „Feuer. Wir kommen schon bedenklich weit in das Gebiet der Zwangsneurose hinein, wenn wir hören, daß während einer Periode schon jedes Wort, welches ein F enthielt (Anfangsbuchstabe von „Feuer“), die Angst wachrief, und daß als Schutz dagegen das F wie W ausgesprochen werden mußte, Nachts kamen angstvolle Träume, die von Feuer handelten. Ein weiteres Symptom bestand darin, daß Lore morgens nicht zur Schule gehen konnte, ohne daß die Mutter ihre sämtlichen Aufgaben zuvor nochmals abgehört hatte. Das sehr intelligente Kind hatte die Aufgaben abends stets spielend bewältigt, so daß nicht der
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geringste „objektive” Anlaß zu einer solchen Maßnahme bestehen konnte. Vor dem realen Feuer im Ofen oder Herd, vor Streichhölzern, Feuerze u. dergl. fürchtete sich Lore nicht im geringsten. Nie kam der Gedanke, daß etwa beim Öffnen der Ofentür eine Kohle herausfallen oder beim Anzünden eines Streichholzes ein Vorhang oder ein Kleid in Brand geraten könnte. Das ganze Gebiet des wirklichen Feuers war aus dem Bereich der Angstvorstellungen ausgeschaltet.
In diesem Stadium befand sich die Erkrankung, als ich mich zum ersten- mal mit der Mutter darüber unterhielt. Es war nicht schwierig, zu erkennen, dal die Angst unserer Kleinen keinem von außen her drohenden Feuer, sondern dem Feuer in ihrem eigenen Inneren galt. Verdrängte sexuelle Regungen, unterdrückte Impulse zu Önanie meldeten sich in dieser nicht eben hochgradigen Entstellung von neuem. Zur Unterdrückung und Ver- drängung seiner Triebregungen konnte das Kind nur durch Verbote der Mutter gekommen sein. Die Mutter allerdings konnte sich nicht entsinnen, bei dem Kind je Äußerungen von Onanie beobachtet zu haben, ebensoweni je dagegen eingeschritten zu sein. So mußte ich denn annehmen, dal) die Mütter die Onanieäußerungen des Kindes, als sie vor Jahren zum erstenmal aufgetreten waren, zwar instinktiv in ihrer Bedeutung verstanden und durch Verbote irgendwelcher Art unterdrückt, aber bewußt nicht als solche bei sich registriert hatte. Dafür sprach auch die Tatsache, daß die sonst wirklich aufgeklärte und fortschrittlich denkende Frau doch davon überzeugt war, daß die kindliche Onanie, wenn sie je auftreten sollte, im Interesse des Kindes zu bekämpfen sei. Es gelang mir, sie zur Preisgabe dieses Standpunktes zu bringen und ihr die Anschauung zu vermitteln, daß die (genitale) Onanie eine notwendige Durchgangsstufe in der Entwicklung sei, und daß man viel eher ihr Fehlen als ihr Auftreten als etwas Krankhaftes ansehen müsse. Ich muß betonen, — denn hierauf kommt es für das Verständnis des therapeutischen Erfolges in diesem Falle an, — daß ich der Mutter nicht etwa das Ergebnis der analytischen Forschung in Form eines bloßen Wissens vermittelte, sondern daß sie am Ende unserer Unterredungen wirklich innerlich davon überzeugt war, bisher eine unrichtige Einstellung zum Problem der Onanie gehabt zu haben, Weniger Glück hatte ich zunächst mit meiner Deutung der Feuerangst. Die Mutter, die der Psychoanalyse verständnisvoll gegenübersteht, glaubte mir zwar ohne weiteres, daß das Feuer ein Symbol für sexuelle Erregung sein könne, konnte aber nicht recht glauben, daß die Angst Lores wirklich die Angst vor dem Andrängen unterdrückter Liebesregungen sein sollte. Jedenfalls aber nahm sie eine veränderte Einstellung zu den etwaigen Onanieimpulsen des Kindes mit nach Hause. Und nun kommt das Erstaunliche: Einige Zeit nach jener Besprechung hörten zwar die Symptome bei Lore nicht vollständig auf, traten aber in ihrer Intensität so sehr zurück, daß der Zustand -von einer Heilung nicht sehr weit entfernt war —nota bene, ohne daß ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter über die „heiklen“ Themen stattgefunden hätte. Auch das bisher unerläßliche morgendliche Abhören der Schulaufgaben wurde nun mit einem Male entbehrlich. Ich kann die Besserung des Zustandes nur so erklären, daß das Kind mit seinem Unbewußten aus der leisen Änderung der Atmosphäre herausspürte, daß die Mutter seiner genitalen Sexualität nun
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keinen Widerstand mehr entgegensetzte.e Das konnte dann das bisherige strenge Sexualverbot lockern und das Bewußtwerden der genitalen Erregungen in der unverkleideten Form, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, ermög- lichen. Die weitere Entwicklung wird. uns für diese Auffassung noch einen Beweis liefern. Die morgendliche Unsicherheit mit den Aufgaben konnte schwinden, weil sie ein Ausdruck des Schuldgefühls gewesen und das Schuld- gefühl durch Wegfall des Verbotes nun aufgehoben war.’
Die Mutter war nun wesentlich mehr geneigt, meine Erklärungen anzu- nehmen, um so mehr, als sie von ihrem inzwischen zweieinhalbjährigen jüngeren Töchterchen einen sehr lehrreichen Anschauungsunterricht über die kindliche Onanie erhalten hatte. Sie hatte inzwischen auch Freuds „Vor- lesungen zur Einführung in die Psychoanalyse gelesen, vieles durch Beob- achtungen an sich selbst bestätigen können und hatte die frühere Scheu vor einer eventuellen Unterhaltung mit ihrer Tochter über alle bisher nicht berührten Dinge überwunden. Das sollte sich nicht als überflüssig erweisen, denn ein Rest der Neurose hatte sich noch erhalten und trat von Zeit zu Zeit wieder stärker hervor: die ängstlichen Feuerträume. Als Lore nun wieder von einem solchen Traum berichtete, war die Mutter ihrer letzten Aufgabe gewachsen. Sie setzte dem Kind in nicht ganz schulgerechter, aber für den Zweck völlig ausreichender Weise etwa folgendes auseinander: „Weißt du, wenn man etwas träumt, so muß man nicht immer wörtlich das meinen, was im Traum vorkommt, sondern vielleicht nur etwas Ähnliches. Wenn es jemand z. B. im Traum irgendwo juckt, so kann er vielleicht träumen, daß er von einem Floh geplagt wird, obwohl doch in Wirklichkeit gar kein Floh da ist. Und wenn’s dich am Körper irgendwo brennt oder ein heißes Gefühl oder vielleicht da unten so ein besonderes Gefühl kommt, dann kann sich das im Traum als Feuer ausdrücken.“ Die Augen des Kindes leuchteten förmlich auf, es suchte nach irgendeinem Wort, um sein Gefühl auszudrücken, und sagte: „OÖ Mutti, das mußt du noch öfter tun, mir so Träume erlösen.” Auch der Feuertraum hatte von diesem Tag an seinen Schrecken verloren.
Sicher hat an der „Erlösung“ die Deutung des 'Traumes ihren nicht uner- heblichen Anteil; wir wollen aber nicht übersehen, daß ein anderer Faktor dabei eine mindestens ebenso große Rolle spielt: die offene Anerkennung der Sexualität durch die Mutter („ein heißes Gefühl oder da unten so ein besonderes Gefühl”). Das sofortige Befreiungsgefühl bringt auch die Bestätigung unserer Erklärung für den überraschenden Erfolg jener ersten Unterredungen mit der Mutter. Daß Lore die Andeutungen der Mutter sofort ohne Wider- stand verstanden und auf ihre sexuellen Regungen bezogen hatte, setzte ja voraus, daß diese schon vorher ins Bewußtsein zugelassen worden waren. Wären sie jetzt erst durch die letzte Unterredung ins Bewußtsein gerufen worden, so könnte man sich schwer vorstellen, dal sich das sofort, ohne eine zur Verarbeitung gebrauchte Zwischenzeit, als Befreiung hätte auswirken können.
Am Schluß kam noch eine kleine Überraschung: Die Schwester der Mutter, welcher der ganze Vorfall erzählt wurde, erinnerte sich sofort an eine Szene,
ı) Dies ist gleichzeitig eine schöne Illustration dafür, wie modulationsfähig die Gewissensinhalte in diesem Alter noch sein können.
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deren Zeuge sie gewesen war. Lore mochte ungefähr zwei Jahre alt gewesen 2 sein, als die beiden Frauen in das Kinderzimmer traten, wo Lore im Bett lag. Die Mutter schaute sie mit durchbohrendem Blick an und rief nur das g Wort: „Lore!“ Worauf die kleine Sünderin verlegen die Händchen aus einer a offenbar unerlaubten Gegend unter der Decke hervorzog und sittsam aufs
Deckbettchen legte. Auch als die Schwester diese Szene in aller Ausführlich. - keit schilderte, konnte sich die Mutter an nichts mehr erinnern. Auch sehr aufgeklärte und fortschrittliche Mütter können verdrängen.
Was diesen Fall besonders lehrreich macht, ist die Besonderheit, daß hier ein neurotisches Milieu im eigentlichen Sinn vollständig fehlt. Einer Mutter mit selten pädagogischer Begabung gelingt es — soweit man es bis jetzt beurteilen kann — ein mit starkem Triebleben und überdurchschnittlicher Intelligenz begabtes Kind zu einem harmonischen Charakter heranzubilden. Ein einziger isolierter Fehler in der Erziehung führt zur Entwicklung einer Neurose, deren Verschwinden nach Aufdeckung und nachträglicher Beseitigung eben jenes Fehlers erkennen läßt, daß in ihm, wenn nicht die alleinige, so doch die allein wirklich bedeutsame Wurzel der Störung zu suchen ist.
Wir wollen dem mit der Analyse Vertrauten nicht vorenthalten, daß aus dem Material auch etwas vom Inhalt der Onaniephantasie erkennbar wurde. Wir haben noch eine Einzelheit nachzutragen, die zwar bei dem therapeu- tischen Eingreifen nicht verwertet wurde, aber in dem Gefüge der Neurose doch sicher eine Rolle spielt; eine der ängstlichen Befürchtungen lautete nämlich: „Der Vater könnte verbrennen.” Die Deutung, daß hier eine ganz vorwiegende Bindung an die Mutter vorliegen könnte und dem Vater als Konkurrenten der Tod gewünscht werde, kann hier nicht in Betracht kommen, Das Kind zeigte vielmehr sehr deutliche Beweise eines ganz normalen weib- lichen Ödipuskomplexes. Es hatte z. B. eine Zeitlang die Gewohnheit, nach dem Mittagessen, wenn der Vater sich aufs Sofa legte und die Mutter sich
zu ihm setzen wollte, der Mutter mit großer Behendigkeit zuvorzukommen
und sie „im Spaß“ mit den Worten zurückzuweisen: „Das ist meiner und nicht deiner.“ Dann pflegte sie in sehr eindeutiger Weise von ihrem Vater Besitz zu ergreifen, indem sie auf ihm herumkletterte und ihn abküßte. „Der Vater brennt” kann hier also nur symbolisch als Erfüllung eines verbotenen Wunsches gedeutet werden im Sinn von „der Vater brennt für mich“ (in Liebe). Die Beziehung zu der unterdrückten Onanie besteht darin, daß der Vater der Gegenstand der Onaniephantasie gewesen sein dürfte. Diese Einzel- heit sollte erwähnt werden, obwohl ihre Erkenntnis im vorliegenden Fall nicht praktisch verwertet wurde, da in ähnlich gelagerten Fällen eine Lösung ohne sie vielleicht nicht zu erzielen sein würde,
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Soll man die Onanie bekämpfen? Von Ernst Ziegler, Lehrer, Basel
Der folgende Aufsatz bildete die Diskussionsgrundlage zur Besprechung des Onanieproblems in einem Kreise von Lehrern, die die Veröffentlichung wünschten. Obschon er anderen Artikeln gegenüber Wiederholungen bringt und die analytischen Ansichten über die Auswirkungen von „Nackt- kultur“ und „Ernährungsreform“ nicht so optimistisch sein dürften, so bringen wir den Aufsatz doch vollständig. Er kann vielleicht noch weiter dem gleichen Zwecke dienen, für den er geschrieben wurde.
Die Schriftleitung
„Wie kann man nur so fragen!“ wirst du, lieber Leser, angesichts dieses Titels ausrufen. Und siehe, ich begreife dich gar wohl! Gewiß hast du von Onanie stets nur gehört als von einer schweren Verirrung menschlichen Trieblebens, hast gelesen in der reichbemessenen Literatur, in der auf die argen Schäden der Onanie hingewiesen, wo sie als furchtbares Laster gebrand- markt, vielleicht gar als die Grundursache der Degeneration des Menschen- geschlechts hingestellt wird.
Aber wie in so vielen anderen Dingen, haben sich auch hier in den letzten Jahrzehnten die Ansichten geändert. Man glaubt nicht mehr an die schweren Schäden, welche die Onanie bewirken soll. Ja, manche Forscher glauben nicht nur Schaden im großen und ganzen in Abrede stellen zu dürfen, sind vielmehr sogar der Ansicht, die Onanie sei eine durchaus normale Erscheinung im Leben eines jeden und ein Übergangsstadium zum normalen Geschlechtsleben. Mehr als dies: Es wurde schon gesagt, das Ausbleiben der Onanie bedeute einen Mangel in der geschlechtlichen Entwicklung!
Man sieht, der Unterschied zwischen einst und jetzt ist sehr groß, so groß sogar, daß man beinahe versucht ist, keine der beiden Ansichten als richtig anzuerkennen, weder jene, für die Onanie das schlimmste Verbrechen gegen sich selbst bedeutet, noch die, welche die Onanie als im Rahmen der natürlichen Entwicklung liegend betrachtet.
Wenn man die heutigen Verhältnisse unbefangen ansieht und die Tatsachen gelten läßt, wie sie sind, so muß man aber dazu neigen, die neue Ansicht als richtig oder doch der Wahrheit zum mindesten naheliegend anzuerkennen. Man kann sich aber gleichzeitig die Frage nicht versagen, ob die Verhältnisse auf geschlechtlichem Gebiet in der jetzigen Kultur wirklich das sind, was man als natürlich bezeichnen darf, und ob man berechtigt ist, aus dem, was heute zur Beobachtung gelangt, endgültige Schlüsse zu ziehen, denn es besteht kein Zweifel, daß ein Großteil der Kulturmenschheit in einer dauernden seschlecht- lichen Überreizung lebt, die ihre Wurzeln in Faktoren hat, die zu erörtern
sein werden.
Wirklicher Schaden der Onanie
Trotzdem die Meinung, daß die Onanie ein Übel ist, das „der Jugend das Mark aus den Knochen sauge“, einer milderen Ansicht weichen mußte, kann kein Vernünftiger bestreiten, daß durch die Onanie wirklich Schaden ange-
richtet werden kann.
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Jede geschlechtliche Betätigung, sei es nun Geschlechtsumgang mit einem Weibe oder ein onanistischer Akt, ist für den Organismus eine gewaltige Arbeitsleistung, die mit einer großen Energieausgabe verbunden ist, Herz- tätigkeit und Blutzirkulation sind bedeutend gesteigert. Vor allem aber steht
das Nervensystem in seiner ganzen Ausdehnung unter einer äußersten
Spannung. Diese Spannung geht mit einem gesteigerten Verbrauch an nervöser Energie einher. (Daß uns ihr Wesen nicht bekannt ist, tut nichts zur Sache.) Diese verbrauchte Energie wird im Verlaufe einer gewissen Zeit, die von Mensch zu Mensch verschieden ist, wieder ersetzt. Erfolgt nun wiederum geschlechtliche Betätigung, bevor der Organismus mit neuer Energie geladen ist, so bedeutet das eine Schwächung desselben, die sich als Unbehagen geltend macht. Wird diese Mahnung nicht beachtet und von erschöpften Reserven gezehrt, so muß das nach und nach eine Verminderung der Leistungsfähigkeit des Nervensystems nach sich ziehen.
Wann und ob überhaupt eine spürbare Schwächung eintritt, das hängt durchaus ab von der Widerstandsfähigkeit des betreffenden Menschen und vom Maß der Inanspruchnahme. Der eine mit kraftvollem Körper sündigt oft und viel und bleibt gesund, indes ein anderer bei größerer Enthaltsamkeit krank wird, weil sein Nervensystem weniger fest begründet war.
Von vornherein anzunehmen, Onanie schade bloß bei seelischer Bedrückung,
scheint mir unvorsichtig, denn so gut ein Muskel durch zu lang fortgesetzte Arbeit ermüdet und endlich arbeitsuntüchtig wird, ebensogut kann rein körperliche Onanie die Nerven überanstrengen, wie es übrigens auch zu viel normaler Geschlechtsverkehr tun kann.
Daß geschlechtliche Betätigung mit einer starken Abgabe von nervöser Energie verbunden ist, beweist auch das danach eintretende Schlafbedürfnis. Ein guter Schlaf ist ein Energiesammler ersten Ranges; durch ihn sucht der Organismus den erlittenen Energieverlust sofort wieder auszugleichen.
Diese wohlige Müdigkeit, der ein guter Schlaf folgt, tritt aber in der Regel nur nach befriedigendem Beischlaf ein, selten oder nie aber nach Onanie. Einmal darum, weil der Täter meist mit seiner Tat nicht zufrieden ist und ihn Reue und Vorwürfe plagen, dann aber auch, weil die Geschlechtsorgane nach Onanie zumeist in einem Reizzustand verbleiben, — anstatt wirklich befreit und befriedigt zu sein, — der dann seinerseits den Schlaf auch stört. Dieser Mangel an Schlaf darf als Schadenbringer nicht vergessen werden. Umgekehrt gelangt manch ein Geplagter erst zu Schlaf, nachdem er dem Drange nachgegeben.
Man könnte versucht sein, anzunehmen, Onanie und normaler Geschlechts- verkehr seien in ihrer Auswirkung gleich, da sie beide eine analoge Inan- spruchnahme des Organismus darstellten. Dem ist einmal entgegenzuhalten, daß die Organe für normale Ausübung des Triebes geschaffen sind und nicht für eine Ersatzhandlung. Ferner zeigt es sich, daß Leute, die nach Onanie allgemein und speziell in den Gepchlächisoigangn unangenehme Empfin- dungen haben, davon bei und nach normalem Geschlechtsverkehr nichts ver- spüren, obwohl die Lustempfindung dabei bedeutend gesteigert ist und man auf einen höheren Energieverlust schließen muß. Außerdem ist bekannt, daß die meisten Onanisten in der Ehe ihre Beschwerden verlieren. Es scheint eben doch etwas an dem „Austausch der Kräfte“ zwischen Mann und Weib
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zu sein, ganz abgesehen davon, daß die Reizung der Geschlechtsnerven- endigungen bei normalem Geschlechtsverkehr viel sanfter ist als bei ÖOnanie, was gewil auch nicht ohne Einfluß auf die Nerven ist.
Die Angst vor dem Samenverlust
Vielfach wird dem Verlust des Samens beim Manne eine besonders schwächende Wirkung zugeschrieben. Man darf diese aber nicht überschätzen. Wenn es auch gewiß ist, daß eine Verschleuderung des Samens eine erhöhte Inanspruchnahme wichtiger Drüsen bedeutet, die — außer der Samenbildung — die zweite Aufgabe haben, den Körper mit besonderen lebenswichtigen Stoffen zu versorgen, so darf andererseits aus dem Schwächegefühl unmittelbar nach erfolgtem Samenverlust nicht gefolgert werden, diese Schwäche stamme aus dem Verluste des Samens. Nicht dieser Verlust ist schuld, sondern der Verbrauch an nervöser Energie, der mit der Schaffung der Wollustempfindung verbunden ist, die eben beim Samenerguß die größte Intensität erlangt.
Der Glaube, daß man nur den Verlust des Samens zu vermeiden habe, um Schaden zu verhüten, veranlaßt manche, die Onanie in einer Form aus- zuüben, bei der sie die Erregung, sobald sie eine gewisse Höhe erreicht hat, wieder abklingen lassen, um die sich steigernde Lust wiederholte Male durch erneute Reizung zu genießen, ohne es aber zum Erguß des Samens kommen zu lassen; ein Verfahren, das die Nerven sehr in Anspruch nimmt und dadurch sehr schädlich wirkt.
Ganz ähnlich verhält es sich mit den Erregungen, die sich beim Flirt einstellen. Sie sind in ihrer langdauernden Wirkung und namentlich ihrer anhaltenden Nachwirkung (die zuweilen noch zur Onanie führt) bedeutend anstrengender, als ein normaler dGeschlechtsverkehr es wäre. Dies beständige Aufpeitschen ohne Befriedigung ist eine schlimme Sache und wird von den meisten Jugendlichen in seiner schädlichen Wirkung nicht richtig eingeschätzt, sehr oft aus dem Gedanken heraus, daß ja kein Samenverlust damit verbunden sei. Man kann sich aber rein durch solche Erregungen schweren Schaden zufügen, ohne je einen Samenverlust zu erleiden. Das gilt auch für die Mädchen, die öfters meinen, ihnen schade die Sache weniger, weil sie dabei keinen Verlust an Zeugungsstoffen erleiden.
Es ist notwendig, auf diese Umstände hinzuweisen, weil die Samenverluste das Schreckgespenst so mancher Onanisten sind, auf das sie beständig ängst- lich achthaben, während sie sich anderen sexuellen Erregungen unbedenklich hingeben, ohne zu ahnen, daß sie damit ihr Leiden verschlimmern. Wer weiß, vielleicht macht sich auch bald wieder eine Schundliteratur breit, die, auf den Forschungen über die Pubertätsdrüse fußend, auf die „schrecklichen Folgen“ der Samenverluste hinweist.
Gewiß zeigen häufige nächtliche Samenergüsse an, daß etwas nicht in Ordnung ist. In den meisten Fällen sind sie ein Anzeichen für überreizte Geschlechtsnerven. Und je häufiger die Verluste erfolgen, um so reizbarer werden die Nerven. Das ist aber nicht bloß eine Folge des Verlustes der Samenflüssigkeit, sondern der Erregung, die mit dem Verluste verbunden ist. Die Nerven kommen nie zur Ruhe, und so genügt eine kleine Ansammlung von Samen, um einen Erguß auszulösen. Die Samenblasen vermögen ihren Inhalt nicht mehr festzuhalten, weil sie von zu kitzligen Nerven reguliert
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werden. Jeder Erguß wird dann nicht als Entspannung und Erleichterung =
empfunden, sondern wird im Gegenteil zum neuen Reiz. Da nun die Samen-
blasen die Tendenz haben, sich nach einer Entleerung wieder zu füllen,
damit der Mann stets fortpflanzungsbereit ist, ist es außerordentlich schwierig, aus dieser Zwickmühle herauszukommen, Es gelingt meist nur durch eine strenge Regelung der Diät. Mitunter ist sogar ein vollständiges Fasten nicht zu umgehen. Dies gilt aber nur für sehr schwere Fälle.
Eigene und fremde Beobachtungen gehen übrigens dahin, daß es mit der Pollution als „Sicherheitsventil nicht gar so weit her ist, weil sehr oft nach einer solchen von einer Erleichterung keine Rede ist, vielmehr ein unangenehmer Reizzustand andauert. Geht man dann der Ursache der Pollution nach, so findet man in der Regel, daß es auch sonst im Körper nicht stimmt; daß man einen Diätfehler begangen hat, der sich rächte, oder daß man die nötige Bewegung unterließ, die zu einer Blutstauung im Unterleib führte, oder — eine häufige Ursache — daß man auf dem Rücken schlief und der auf den Samenblasen ruhende Hoden den Reiz auslöste.
Während eines sehr anstrengenden Militärdienstes wußten ich und viele meiner Kameraden nichts von Pollutionen während zweier Monate. Bei der Rückkehr zu „sitzender Lebensweise“ stellten sich dieselben unerwünscht häufig wieder ein, um bei knapper, eiweißarmer Ernährung wieder ganz bedeutend zurückzugehen.
Man hat es also bis zu einem gewissen Grade in der Hand, die Zahl der Pollutionen herabzusetzen, dadurch, daß man die Energien des Körpers an andere Stellen lenkt und von den Geschlechtsorganen wegzieht; dann braucht man auch nicht mehr zu befürchten, durch die Verluste geschwächt zu werden. Sexualneurasthenikern wird das allerdings mehr Mühe und Geduld kosten als dem Gesunden.
Seelische Einflüsse
Der Faktor aber, der bei der Onanie als Schadenbringer viel mehr in Betracht zu ziehen ist, als die Folgen der rein körperlichen Erregungen, das sind die ungünstigen seelischen Einflüsse. Ja, viele Forscher sind der Ansicht, nur sie allein führten zu Krankheit.
Daß seelische Einflüsse störend in den Ablauf der Körperfunktionen ein- greifen können, das weiß heutzutage gewiß jedermann und hat es vielleicht hin und wieder an sich selber erfahren. Man weiß, ein Ärger legt die Magentätigkeit lahm, ein Schreck erzeugt Durchfall, ebenso große Angst (der der Volksmund deshalb eine derbe, aber treffende Bezeichnung gegeben hat), bekannt ist auch das Eisenbahnfieber, bei dem Blase und Darm im ungünstigsten Augenblick sich bemerkbar machen. Freude erhöht den Glanz der Augen und rötet die Wangen; andauernder Kummer aber legt das ganze Körpergetriebe lahm, was sich äußerlich in zunehmender Abmagerung zeigt.
Nun ist aber in der Regel die Onanie mit derartigen unlustbetonten und deshalb schädlichen Gemütsbewegungen verbunden. Mißmut, Niedergeschlagen- heit, stete Vorwürfe und tiefgehende Reuegefühle martern die meisten Onanisten, und dies in einem Alter, da die Seele am bewesglichsten und empfindlichsten ist. Es ist klar, daß solche andauernde schlechte Stimmungen im Verein mit den immer wiederkehrenden, vielleicht sehr gehäuften
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sexuellen Erregungen mit der Zeit im Körper ungünstige Veränderungen, gewöhnlich Krankheit genannt, bewirken, besonders wenn auf dem Beirefanden noch viele Arbeit lastet, wie sie höhere Schule und Studium mit sich bringen.
Es läßt sich allerdings der Fall denken, daß jemand onaniert, ohne sich bewußt zu sein, damit etwas Unrechtes und Schädliches zu tun. Er wird sich dann der Lust ohne seelische Hemmung hingeben, wird wohl eine gewisse körperliche Ermüdung empfinden, seelisch aber ruhig bleiben nach vollbrachter Tat und so sich einer weiteren ungünstigen Erregung enthalten. Daß3 der Fall aber sehr häufig eintritt, wird kaum zu bejahen sein. Zumeist wird eben der Akt als Niederlage empfunden; hat doch der Mann auch nach normalem Geschlechtsverkehr zuweilen ein Gefühl von Reue, die Meinung, überrumpelt worden und dem Gelüste erlegen zu sein.
Die Wirkung des Schamgefühls
Zumeist liegt aber der Fall nicht so gut. Die übliche Auffassung alles Geschlechtlichen, die sich gottlob zu wandeln beginnt, hat die Geschlechts- organe mit einem Makel belegt. Sie sind etwas, von dem man nicht spricht und das zu besitzen man sich fast schämt. Man darf sich ihrer Existenz höchstens am Biertisch und dann eben in einer der Auffassung entsprechenden Form erinnern! 8
Schon in frühester Jugend tönt dem Kinde das „Schäm’ dich!” entgegen, so daß es schon früh die Geschlechtsorgane als etwas betrachten lernt, mit dem es keine ganz saubere Bewandtnis hat. Das muß sich übertragen aur den onanistischen Akt, der mit Hilfe dieser Körperteile ausgeübt wird. Das Kind mul5 fühlen, dal es mit dem Betasten der Geschlechtsorgane etwas tut, das eigentlich strenge verboten ist, das unsauber, unanständig, „unsittlich“ ist. Dazu kommt das Gemunkel der Schulkameraden und das Lesen entsprechender warnender Schriften.
Wenn es also zur Onanie kommt, so wird sie meistens mit seelischen Widerständen ausgeübt. Man kämpft dagegen an, fällt, gelobt Reinheit, um in den nächsten Tagen wiederum ein Opfer des Gerne zu werden, der stärker ist als die besten Vorsätze. Tiefgehende Reue bringt die ohnehin durch die vorhergegangene sexuelle Erregung vibrierende Seele in noch stärkere und schädliche Schwingung, die Stunden, aber auch Tage hindurch anhalten kann. Sie ist es, die dann so besonders schädlich wirkt, weil unter dem lähmenden Einfluß der schlechten Stimmung alle Organe schlecht arbeiten, wahrscheinlich abnorme Stoffwechselprodukte gebildet werden, die den Organismus belasten und auch der Ersatz der verbrauchten Energie lang- samer als bei guter Stimmung erfolgt. Kommt dazu noch wirkliche Angst vor Erkrankung, so werden Störungen um so eher eintreten, besonders wenn das Nervensystem ohnehin nicht ade kräftig war.
"All diese Einflüsse werden verstärkt duch die Isolation, in der sich der Onanist befindet. Da man im Elternhaus über diese Dinge selten oder nie spricht, kommt beim Einzelnen nur zu leicht die Meinung auf, er allein sei ein solcher Sünder. Wüßte er, daß zirka 90 Prozent aller jungen Männer zeitweilig sich selbst befriedigen, so wäre ihm das ein Trost, schon weil er sich dann sagen müßte, daß die Folgen nicht gar so furchtbare sein können, wie er vielleicht irgendwo gehört oder gelesen hat.
Onanie als Laster und Sünde
Nicht zu vergessen ist auch die Rückwirkung, die die allgemeine Beurteilung der Onanie auf den einzelnen ausübt.
Gewöhnlich wird die Onanie als ein schreckliches „Laster“ gebrandmarkt, in der Regel von denselben Leuten, die sie als schwere „Sünde“ bezeichnen. Schon diese Worte allein, wenn sie in einer gutgemeinten Versammlung auf die armen „Sünder“ niederdonnern, sind fähig, feinere Naturen unter ihnen niederzuschmettern und in ihrer Vorstellung zu verworfenen Menschen zu machen.
In der Schule hört man von Kameraden, die „Sauereien“ treiben und dabei erwischt worden sind. Man weiß wohl, was damit gemeint ist, weiß sich selbst nicht frei davon, entrüstet sich aber auch, um selber nicht als ein so schmutziger Kerl dazustehen, denn man hat einen gewaltigen Respekt vor der „Unsittlichkeit“.
Merkwürdig ist, daß, wenn von Unsittlichkeit die Rede ist, sofort an die geschlechtliche Unsittlichkeit gedacht wird, wobei der Begriff Unsittlichkeit sehr verschwommen und wandelbar ist. Man hat die Begriffe sittlich und unsittlich viel zu sehr nur mit rein Geschlechtlichem verbunden, wohl aus dem Gedanken heraus, daß der Geschlechtstrieb ein großes Maß von Beherrschung erfordert, und daß ‘deshalb der Mensch als sittlich anzusehen ist, der ihn bemeistert. — Aus demselben Grunde aber, eben weil der 'Trieb so stark ist, sollte man Menschen, die auf geschlechtlichem Gebiete sündigen, gerechter beurteilen, vor allem auch berücksichtigen, daß die Menschen verschieden sind. Es ist sehr leicht, „keusch und züchtig“ zu leben, wenn man nie in seinem Leben den mächtigen Ansturm seines Blutes verspürt hat, und es ist billis, sich über andere zu entrüsten, die bei bester Gesinnung vom Geschlechtstrieb geplagt werden; widerlich wird es aber, wenn Leute mit dicken Bäuchen und weinroten Köpfen anderen Moral predigen wollen, da sie selber der Lust frönen, nämlich der von Gaumen und Bauch. Ebenso wirkt es peinlich und lächerlich, wenn Leute, weil sie älter geworden und ruhiger, weil das Blut weniger heiß durch ihre Adern rollt, nachdem es sich in vielerlei Jugendtaten gekühlt, — die aber gewöhnlich ausgelöscht und vergessen worden sind, — den Jungen den Segen der Keuschheit predigen und den Fluch der Sünde.
Man muß bei der Beurteilung der Onanie mit den Worten Laster und Sünde gänzlich aufräumen. Den Önanisten treibt ja zu seiner Tat nicht eine besonders verworfene Gesinnung, eine ausgemachte Schlechtigkeit, sondern der Wunsch nach dem Genusse jener Lust, die nun einmal die stärkste physische Lustempfindung ist, die der Mensch erleben kann. Gar mancher wäre ja heilfroh, er wüßte nichts von dieser Lustempfindung oder er würde weniger oft und nachhaltig an sie erinnert. Man darf nie vergessen, daß die Quellen und Antriebe zur Onanie im Körper selber liegen, daß man die Stärke des Triebes mit bestem Wissen und Willen nur innerhalb gewisser Grenzen beeinflussen, d. h. dämpfen und erträglich machen kann. Die Natur will eben, daß wir diesen Trieb verspüren, sie will, daß er uns plagt und zur Tat treibt, weil sie, selbst auf Kosten des Urhebers, den Fortbestand der Gattung zu erzwingen sucht. Nur ist es leider Tatsache, daß kulturelle Ein- flüsse den Trieb in der Regel mächtiger anschwellen lassen, als natürlich und
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gut ist. Andererseits darf man auch nicht vergessen, daß wir Europäer den Geschlechtstrieb zu einer Zeit, da dessen Träger entwickelt sind, nicht normal ausüben dürfen oder können, daß wir uns also nicht wundern müssen, wenn es zu Ersatzhandlungen kommt.
Wenn man auch der Ansicht ist, daß gerade der Kampf segen die Triebe den Willen weckt und den Charakter festist, so wird man trotzdem keinen Stein werfen wollen auf den, der diesem Kampfe nicht gewachsen ist, und ihn in seinem Widerstande vollends lahmlegen, indem man ihn zum Sünder stempelt und sein bedrücktes Gemüt noch mehr belastet.
Es muß sich überhaupt ein Wandel vollziehen in der Bewertung der geschlechtlichen Lust, die noch viel zuviel nur im geheimen Dunkel bestehen darfl,genossenaber nicht anerkannt als gut und rein, selbst dort, wo man sich ihrer restlos freuen dürfte, in der Ehe. Gar viele pflegen auch dort noch der Liebe mit all den Hemmungen oder dem Zynismus, die ihnen ankleben aus der Jugend, wo geschlechtlich mit schmutzig gleichbedeutend war.
Da also die Onanie selten oder nie (am ehesten noch beim weiblichen Geschlecht) ohne seelische Widerstände ausgeübt wird, diese aber leicht schädigend wirken, wird es doch gut sein, zu versuchen, besondere Anreize zur Onanie zu beseitigen, damit sie sich nicht zum Herrscher macht, und uns nicht dabei beruhigen, sie gar allzuleicht als natürliches Übergangsstadium zum normalen Geschlechtsleben anzusehen. Damit kommen wir zur Frage:
Welche Faktoren begünstigen die Onanie?
Einer der Gründe — wir schauen ihn als den bedeutendsten an — ist die Heimlichtuerei in Bezug auf alles Geschlechtliche und der Mangel an Mut und Aufrichtigkeit, sobald es dies Gebiet betrifft. Nicht nur, daß die Geschlechtsorgane von Jugend auf sorgsam verhüllt und dem Kinde als etwas dargestellt werden, das zu zeigen man sich streng hüten müsse (und damit den Eindruck bei ihm erweckt, es handle sich bei diesen Körperteilen um etwas ganz Besonderes, irgendwie geheimnisvoll Unsauberes), außerdem läßt man Knaben und Mädchen, wenn sie heranreifen, noch immer hilflos zappeln. Erwischt man sie bei der ÖOnanie, so erschrickt man, weil man seine eigene Jugend vergessen hat, kann das von „seinem“ Kinde nicht begreifen, steht ratlos oder schilt und warnt.
Durch die übliche Geheimnistuerei mit den Geschlechtsorganen und dem Mangel an Aufklärung beschäftigen sich die Kinder und Jugendlichen viel mehr, als es nötig wäre, mit diesen Dingen. Die an und für sich doch ganz natürliche Neugierde um das Wie und Anders des anderen Geschlechtes, die durch das stete Verhüllen recht eigentlich geschaffen wird, wird dadurch ins Abnorme gesteigert.
Diese stete Beschäftigung mit dem verborgenen Geschlechtlichen hat aber eine Rückwirkung auf die Geschlechtsorgane. Denken an Geschlechtliches, besonders intensives Ausmalen von unklaren Vorstellungen, bewirkt einen vermehrten Blutzufluß zu den Geschlechtsorganen, mithin eine Reizung und Anregung derselben, die dann zu Onanie führen kann. Um diesen andauernden Zustand des Grübelns über Geschlechtliches gar nicht aufkommen zu lassen oder ihn doch wenigstens nach Möglichkeit abzukürzen, müssen wir uns
dazu ermutigen, die Jugend über die geschlechtlichen Verhältnisse aufzuklären, um ihr so viel Kampf, dunkles Suchen und Grübeln und nicht zuletzt Verirrungen zu ersparen.
Die Erziehung zur Schamhaftigkeit und ihr Nutzen
Wer in Berührung mit der Jugend lebt und sich noch gut seiner eigenen Schulzeit erinnert, der weiß, wie sehr alles Geschlechtliche den ı0- bis ı5jährigen beschäftigt, wie sehr er nach der Kenntnis der Körperformen des anderen Geschlechtes und deren Bedeutung giert, insbesondere der Geschlechtsteile. Man sieht und kennt zwar die Zeichnungen, mit denen Buben- hände die Wände bemalen, aber man will sie nicht sehen, vielleicht weil man findet, der Geisteszustand der Jugend stehe auf einer bedenklich tiefen Stufe, und weil man seinen Anteil daran durch das Nichthandeln nicht von der Hand weisen kann. Warum aber diese Zeichnungen? Warum diese ganze heiße, ungesunde Gier? Sie sind die Folgen unserer Erziehung zur Scham, die aus den Geschlechtsorganen an sich etwas von zentraler Wichtig- keit in der Vorstellungswelt des Jugendlichen schafft, etwas, das ihn hart bedrängt, das er kennen muß, komme das Wissen, woher es wolle, aus dem Doktorbuch, aus der Betrachtung von Tieren oder gar aus einer „unsittlichen“ Handlung. Wenn dies Begehren beim Knaben viel stärker hervortritt, so ist das nicht seiner größeren „Schlechtigkeit“ zuzuschreiben, vielleicht aber seinem größeren Drang nach klarem, reellem Wissen, sicherlich aber in der Hauptsache der Tatsache, daß es einem Knaben viel schwerer fällt, je weibliche Körper, insbesondere Geschlechtsorgane, zu Gesicht zu bekommen, als es umgekehrt der Fall ist.
Man übergibt z. B. den Mädchen ganz unbedenklich kleine Knaben zum Hüten und Pflegen, die dabei etwa vorhandene sexuelle Neugier befriedigen können, und sei es auch nur, daß sie die Knaben beim Harnen betrachten. Fällt es aber einem Knaben gelegentlich ein, zu ergründen, wie diese Verrichtung bei einem Mädchen vor sich geht, und wird er dabei ertappt, so ist ihm eine Tracht Prügel vonwegen seiner „Verdorbenheit” sicher. Verschafft sich ein Knabe gar einmal gewaltsam den verbotenen Anblick, dann wird er als ganz verloren betrachtet. Man denkt sich aber weiter gar nichts dabei, wenn ı2- bis ı5jährige Mädchen ihre kleinen
Brüder baden, währenddem man Knaben bei solchen Gelegenheiten als
unpassende Zuschauer fernhält.
Durch diese ganze Versteckerei wird nur erzielt, daß sich die Phantasie stark mit sexuellen Vorstellungen anfüllt und Seele und Leib des Armen bedrängen. Man kann die Schädigung durch diese Phantasietätigkeit nicht stark genug betonen. Sie wird aber nur darum so mächtig und überragend, weil das vorhandene Interesse gar nicht oder nur ganz mangelhaft befriedigt wird. Einmal befriedigt, wäre es erledigt.
Es liegt hier ein Problem, an dessen Lösung gearbeitet wird, und zwar praktisch. Wir sind seiner Lösung schon näher gerückt, seit das gemeinsame Baden beider Geschlechter Sitte geworden ist, und der Stauung einer ungesunden Phantasie wird vollends der Boden entzogen sein, wenn einmal die Zeit kommt, da man wieder rein genug fühlt, um es wagen zu können, Knabe und Mädchen, Mann und Weib gemeinsam ihre völlig nackten
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Leiber schauen zu lassen beim Bade in Wasser, Luft und Sonne. Das wird eine gewaltige Entlastung der Seele und eine mächtige Beruhigung in geschlechtlicher Hinsicht zur Folge haben, Dinge, die viel wertvoller sind als das bißchen Scham, das bei erstbester Gelegenheit doch in alle Winde verfliest. Wer meinen Worten nicht glauben mag, der lese einmal das Buch von M. Seitz, das sich vorteilhaft von anderen seiner Art abhebt: Die Nackt- kulturbewegung (Verlag der Schönheit, Dresden). Dort ist breit ausgeführt, was hier nur angedeutet werden konnte.
Diese brennende Neugierde bezieht sich aber nicht nur auf das andere, sondern, namentlich während der Entwicklung zur Geschlechtsreife, auch auf das eigene Geschlecht. Die körperlichen Veränderungen beim Knaben, das Auftreten der Behaarung, die Vergrößerung der äußeren Geschlechtsteile und der Eintritt der Erektion, beim Mädchen das Wachstum der Brüste und die Periode, sind Gegenstand erregter Besprechungen der Heranreifenden. Manchen bringt das Wachstum der Schamhaare in große Aufregung, die ihm ‘schwer zu schaffen macht.
Der gegenseitige Wissensdurst veranlaßt dann sowohl Knaben als auch Mädchen, sich ihre Geschlechtsteile zu zeigen. Dabei kommt es dann aber leicht, weil Wissendere die Anstifter dazu sind, zu gegenseitiger Onanie. Hätten die Kinder Gelegenheit, sich mit allem Anstand und in aller Öffentlichkeit gegenseitig nackt in den verschiedenen Entwicklungsstadien zu sehen, so käme es, wie immer wieder betont werden muß, niemals zu dieser ungesunden Stauung des Wissensdurstes, zu dieser Konzentration der Gedanken auf die Geschlechtsorgane, die nur durch das Verbot, mit dem ihr Anblick belegt wird, eine solche Wichtigkeit im Vorstellungsleben einnehmen können, wie es jetzt bei den meisten Jugendlichen der Fall ist.
Unbegreiflich ist, wie man kleine Kinder von sechs bis zehn Jahren ver- anlassen kann, sich im Schulbad mit einem Schamtüchlein zu versehen, über dessen Verwendung sich manche ganz im unklaren sind. Unvergeßlich bleibt mir immer, wie so ein Kleiner, Unverdorbener sein Schürzlein gleich einer Serviette um den Hals band und andere seinem Beispiele folgten. Leider mußte allen dann beigebracht werden, wessen man sich zu schämen hat, mit dem Erfolg, daß zwei Jahre später dieselben Kinder sich gegenseitig die Schamfetzen wegzerrten, um etwas von der verbotenen Stelle zu erschauen ! Auch ein Erfolg, aber keiner, der einen rechten Erzieher zu erfreuen vermag.
Mangel an Aufklärung?
Als weiterer, die Onanie begünstigender Faktor wurde genannt der Mangelan Aufklärung. Darüber einige Hinweise.
Vor allem: Geschlechtliche Aufklärung soll nicht die Tat einer besonderen Stunde sein; etwas, das man immer und immer wieder hinausschiebt als eine Angelegenheit, vor der man bangt, vor der man sich scheut, sich scheuen muß, nachdem man so lange, allzulange geschwiegen oder ausweichend geantwortet hat. Aufklärung ist etwas, das sich über viele Jahre hinzieht, das sich Stein um Stein aufeinanderbaut, das so gegeben wird, dal das Kind von „Aufklärung“ überhaupt nichts merkt. Es soll alles Geschlechtliche in einer
ı) Siehe diese Zeitschrift, I, 7/8/g, Sonderheft „Sexuelle Aufklärung“.
Form dargeboten erhalten, daß es als etwas ganz Selbstverständliches hin- genommen wird, wie irgend eine andere Tatsache auch. Wenn der Sechs- jährige die Befruchtungsvorgänge bei den Pflanzen begriffen, das Werden des Hühnchens aus dem Ei bewundernd erfaßt und die Mutterfreuden der Haus- katze erlebt hat, wird er auch unbefangen die Mitteilung seines Herkommens aus dem mütterlichen Leibe vernehmen, vielleicht diesen Schluß selber ziehen.
Man mache bei der Erklärung dieser Dinge weder eine verlegene noch eine besonders heilige Miene, noch flüstere man geheimnisvoll. Man gebe diese Aufklärungen mehr so ganz nebenbei, damit sie sich einordnen in das übrige kindliche Wissen, ohne eine besonders lebhafte Färbung, eine stärkere Betonung zu erlangen. Natürlich muß das, was man sagt, dem Fassungs- vermögen des Kindes angepaßt sein. Man muß herausfühlen und hören, was das Kind wissen möchte.
Wenn man frühzeitig genug angefangen und sich das Vertrauen des Kindes damit erhalten hat, wird die gründliche Auskunfterteilung, die zur Zeit der Pubertät gegeben werden muß, auch weniger Schwierigkeiten bieten, sowohl von seiten des Aufklärers, der auf Vorhandenes aufbauen kann, als auch von seiten des Kindes, dem dann nicht auf einmal eine verwirrende Fülle neuer und schwer zu verarbeitender Tatsachen geboten werden muß.
Immer muß man sich aber bewußt sein, daß mit der Aufklärung nicht alles gewonnen ist, und daß sie durchaus kein Hindernis für das Auftreten von ÖOnanie ist, denn sonst würden Erwachsene, die sich über ihr Tun ganz klar sind, nicht auch noch onanieren,
Falsche Ernährung
Ein dritter und ganz wesentlich das starke Auftreten von Onanie hegunsbe eg Faktor ist falsche Ernährung.
Nichts peitscht den Geschlechtstrieb mehr auf als zu reichliche Nahrungs- zufuhr. Insbesondere ist es die Überfütterung mit eiweißhaltiger Nahrung. Namentlich das Fleisch, das an sich der Reizstoffe genug enthielte, bei seiner Zubereitung aber überdies noch reichlich mit Gewürzen (Salz und Pfeffer) versehen wird, zeigt sich als ein großer Feind geschlechtlicher Enthaltsamkeit, „Fleisch macht fleischlich.“ Seine Reizstoffe regen offenbar die Samendrüsen zu erhöhter Tätigkeit an, die Gewürze aber erregen die Nerven im allgemeinen, so daß zwei Dinge in gleich ungünstigem Sinne wirksam sind.
Noch schlimmer als das Fleisch der Säugetiere wirkt jenes der Fische, wegen seines höheren Phosphorreichtums, und es scheint wunderlich, daß es in den Ruf einer Fastenspeise gekommen ist. Jedenfalls war denjenigen, die es in dieser Weise auszeichneten, die Reizwirkung von Fischfleisch nicht bekannt, sonst hätten sie diese Nomination wohl unterlassen.
Zum Glück haben ja Fleisch und Eier, die früher als die weitaus besten Nahrungsmittel galten, ihren Nimbus ein wenig verloren, und es haben bessere Ansichten Platz gegriffen. Die als minderwertig verschrieene Kartoffel, die Baum- und Feldfrüchte, Gemüse und Salate nehmen heute einen ersten Platz bei einer vernünftigen Ernährung ein. Sie müssen von dem bevorzugt werden, der vor dem Geschlechtstrieb möglichst Ruhe haben möchte, und müssen deshalb bei der Ernährung der Kinder den Grundstock bilden. Man sewöhne sich auch daran, tunlichst, was man kann, roh (ungekocht) zu essen.
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Man führt so seinem Körper nicht nur die nötigen Mineralstoffe in unver- änderter Form zu und versieht ihn mit den lebenswichtigen Ergänzungsstoffen, man trägt zugleich auch dazu bei, die Entstehung von Verstopfung, die reiz- steigernd auf die Geschlechtsorgane einwirkt, zu verhindern.
Es muß auf diese Wirkung chronischer Verstopfung ganz besonders verwiesen werden. Mancher, der unter dem Drange eines starken Geschlechts- triebes seufzt, hat das nur seinem angefüllten Darm zu verdanken. Die darin sitzenden Kotmassen üben nicht allein einen mechanischen Druck auf die Umgebung (Samenblasen) aus, sondern sie bewirken auch eine Blutüberfüllung der Darmblutgefäße. Nun ist aber die Aftergegend eine Stelle, die auch für geschlechtliche Reize empfindlich ist. Eine dort erfolgte Reizwirkung kann leicht weiter- geleitet werden zu den eigentlichen Geschlechtsorganen, die in diesem Fall ohnehin zu Blutüberfüllung neigen. Auch die giftigen Zersetzungsprodukte des Darminhaltes reizen die Nerven im Darm, der zudem in der Regel durch die Fäulnisvorgänge hervorgerufene erhöhte Temperatur hat.
Übrigens stehen Darm und Geschlechtsorgane in Wechselwirkung, so daß z. B. häufige, langdauernde und namentlich nicht zur Befriedigung gelangende geschlechtliche Erregungen nicht nur eine Blutstauung in den Geschlechts- organen verursachen, sondern zugleich eine solche auch im Darm. Umgekehrt begünstigt Verstopfung das Eintreten geschlechtlicher Erregungen. Das sind Wechselwirkungen, die das Gesundwerden in der Regel nicht erleichtern, da das eine das andere begünstigt.
Wer seine Kinder lieb hat und sie vor der Önanie gern möglichst bewahren möchte, der halte Fleisch, Eier, Fleischbrühe, Käse, stark Gesalzenes und Schwarztee von ihnen fern. Auch den Genuß von Schokolade kann man durchaus nicht empfehlen, denn sie erzeugt rasch ein starkes Sättigungsgefühl, das die Ursache davon ist, dal das Kind bei Tische die Dinge, die für den Aufbau seines Körpers nötig wären (Gemüse, Salat, Obst usw.), nicht essen mag. Außerdem verstopft sie gerne. Unschädlich ist natürlich der Genuß eines Stückchens Sckokolade zusammen mit einem gehörigen Stück Vollbrot und etwas Obst.
Daß Kinder keinerlei Alkoholika (Wein, Most, Bier) bekommen sollen, wird man nicht mehr besonders betonen müssen. Ä
Fin wirksames Hilfsmittel im Kampf gegen die Önanie ist Muskel- tätigkeit
Das Kind hat einen starken Bewegungstrieb, der leider durch die Anforde- rungen der Schule mehr als gut beschnitten wird. Und gerade in der Zeit, da ableitende Bewegung am allernötigsten wäre, zur Zeit der Pubertät, werden die Kinder immer mehr an Bank und Stuhl gefesselt, zum Sitzen gezwungen und damit der Stauung von Blut und Darminhalt ausgeliefert. Trotzdem das immer wieder gesagt und auch anerkannt wird, plagt man die Kinder immer noch zu sehr mit schriftlichen Arbeiten, wofür aber allerdings nicht nur die Lehrer, sondern die überfüllten Lehrpläne verantwortlich zu machen sind. Manchenorts könnte sehr wohl abgebaut werden, namentlich indem man auf unnötige Abschreibereien verzichtet und dem Kinde gedruckt in die Hand gibt, was nicht unbedingt geschrieben werden muß. Dies nebenbei.
Wer sich stark körperlich ausgibt, verwendet die Kräfte und Säfte seines
Körpers für Muskeltätigkeit. Das Blut strömt den Muskeln zu und wird von.
den Geschlechtsorganen abgezogen. Aber nicht nur das. Durch die Bewegung
ist der Blutumlauf im ganzen Körper und vor allem der Stoffumsatz viel
energischer. Schädliche Produkte des Stoffwechsels werden rascher und besser ausgeschieden und stören und reizen die Nerven nicht mehr. Die Verdauung geht flotter vor sich, und der Verstopfung wird entgegengearbeitet.
Recht wertvoll in ihrer ableitenden Wirkung sind Luftbäder, bei kühlem Wetter genommen, weil man sich dann stark bewegen muß und nachher die gesamte Haut wunderbar durchblutet wird. Sonnenbäder verlangen bei geschlechtlich reizbaren Individuen Vorsicht, da sie gern zu Reizzuständen führen, wenn man sie zu lange ausdehnt. Auf den großen Wert des Schwimmens als ableitenden Faktor wird wohl kaum mit besonderem Nach- druck hingewiesen werden müssen.
Daß fleißig Hautpflege geübt werden muß, versteht sich eigentlich von selbst. Sie muß beim Jüngling auch die tägliche Reinigung der Eichel mit Vorhaut umfassen, damit sie nicht zur Reizquelle werden.
Geistige Vorbeugung
Es ist schon bei der Besprechung der Ursachen der Onanie wiederholt auf die Wichtigkeit der Gedankenwelt hingewiesen worden. Wir haben gesehen, wie das Versteckenspiel, das mit den geschlechtlichen Tatsachen getrieben wird, die Phantasie ungünstig beeinflußt und das Überwuchern geschlechtlich gerichteter Gedanken begünstigt. Solche Gedanken stärken den körperlichen Reiz, der anderseits wiederum auf das Gedankenleben zurückwirkt. Wer beständig über Geschlechtliches nachdenkt, kitzelnde Lektüre seinem Geiste einverleibt und aufreizende Darstellungen besucht, der darf sich weder wundern, noch sich beklagen, wenn ihn der Geschlechtstrieb plagt.
Auf diesem Gebiete hilft alle Tapferkeit, alles direkte Angehen des Feindes, alles direkte Totschlagenwollen des Triebes nicht viel. Es heißt zwar immer wieder, ein fester Wille vermöge alles. Gewiß, er vermag viel, aber den heftig erregten Geschlechtstrieb zu beseitigen durch energisches Wollen, das vermag er nie. Im Gegenteil, je mehr man seine Aufmerksamkeit auf die Geschlechtsorgane richtet, auch mit dem festen Wollen: Ich will nicht unter- liegen!, um so mehr sammelt sich der Reiz. Hier wird allein die Feigheit zur Tugend und die Flucht zum Heil. Das Ablenken seines vollen Interesses auf andere Gebiete kann hier helfen. Man wandere, wenn man irgend kann, man lese interessante Reisebeschreibungen, musiziere, wenn man das Zeug dazu hat, schließe sich einem Sport- oder Turnverein an, in dem nicht dem Alkohol gehuldist wird, und suche die Gesellschaft flotter Mädchen, deren Streben auch nach Befreiung und Veredelung des Lebens geht. Hat man eine Liebhaberei, der man mit Leib und Seele ergeben ist, dann um so besser!
Man meine auch nicht, man werde seine Onanie los durch das Lesen möglichst vieler Aufklärungsschriften. Das, was man wirklich wissen muß, ist eigentlich bald gesagt, und gar vieles, was in solchen Aufklärungsschriften ausgeführt ist, belastet den ohnehin bedrückten Geist nur ganz unnütz.
Ich kann das Lesen solcher Aufklärungsschriften überhaupt nur als schlechten Notbehelf bei mangelnder Aufklärung durch die Eltern oder eine damit beauftragte Vertrauensperson betrachten. Wenn ein Jugendlicher eine
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solche Schrift in die Finger bekommt, weiß er entweder. längst schon das meiste, oder aber es macht ihm geistige Verdauungsbeschwerden, weil er auf einmal zuviel von der langersehnten Speise bekommt. Manche der Schriften ergehen sich zu sehr nur in Andeutungen, andere wiederum geben eine genaue Beschreibung der Geschlechtsorgane, die vorzustellen der Leser sich bemüht, mit dem heimlichen Wunsche, sie baldmöglichst in Natur zu sehen.
Zu verwerfen ist die Ansicht mancher, die da meinen, jeder „Gebildete‘ müsse sich mit allen Winkeln und Verstecken des Geschlechtslebens, auch in seinen abnormen Äußerungen, vertraut machen. Ich bin nicht nur überzeugt, sondern ich weiß es, daß schon mancher die Lektüre solcher Bücher, auch wenn sie einwandfrei wissenschaftlich waren, verflucht hat. Nicht jeder ist mit der „kühlen Seele“ des Nurwissenschafters ausgerüstet, die nur die Tat- sachen registriert, ohne innerlich davon ergriffen zu werden. Manchem gehen solche Dinge tiefer ein, und er hat Mühe, sich ihrer zu erwehren und sie wieder los zu werden. Vielleicht fühlt er sich sogar zu Taten angeregt, die ohne die Lektüre unterblieben wären. Man darf sich hier auch durch geschäftstüchtige Leute nicht irre machen lassen, die zu gerne „interessante Lektüre an den Mann brächten.,
Es seien in diesem Zusammenhang auch ein paar Worte über geistige Hygiene des Geschlechtslebens und außerehelichen Geschlechtsverkehrs gesagt. — Es ist jedem jungen Manne unbenommen, seiner Vorstellungswelt beliebig viel Wissen über das Geschlechtsleben einzuverleiben; er darf wissenschaftliche Darstellungen über alle Phasen des Geschlechtsverkehrs, über alle Variationen von Verirrungen lesen, niemals aber darf er mit Billigung der Öffentlichkeit seiner hierdurch angeregten Phantasie durch Geschlechtsverkehr Luft ver- schaffen. Bedient er sich der Prostitution, so gilt das als gemein, zudem setzt er sich der Gefahr einer Erkrankung aus; knüpft er ein Verhältnis an, so ist das sehr oft wirklich gemein, weil er in einem Mädchen unter Umständen Hoffnungen erweckt, die zu erfüllen er keine Absicht hat.
Namentlich der studierende junge Mann, der glaubt, es seiner Bildung schuldig zu sein, sich möglichst eingehend mit dem Geschlechtsleben aus- einanderzusetzen, gerät gar nicht selten in eine mißliche Zwickmühle, da ihn einerseits sexuelle Vorstellungen bedrängen, anderseits ihn aber die Kenntnis der Geschlechtskrankheiten und auch ethische Bedenken vom Geschlechtsverkehr abhalten. Der junge Arbeiter ist in dieser Hinsicht in der Regel mit viel weniger theoretischem Wissen beschwert, erwirbt es sich aber viel früher durch das „praktische Leben“ und entgeht so leichter jenen seelisch-nervösen Störungen, an denen mancher Gebildete krankt, weil er jahre- lang der Spielball widerstrebender Gefühle und Gedanken war.
Man kann sich nun, auch wenn man dem außerehelichen Geschlechts- verkehr durchaus nicht die Stange halten möchte, in gewissen Fällen fragen, ob es nicht vom Standpunkt der Hygiene aus geraten wäre, wenn sich der junge Mann über die Hemmungen hinwegsetzte. Gemeint sind solche junge Leute, deren Vorstellungswelt mit sexuellem Inhalt überwuchert ist, weil sie sich jedem Geschlechtsverkehr ferngehalten haben, und die auf lange hinaus nicht in die Lage kommen können, zu heiraten.
Auch der junge Mann, der mit dem festesten Willen zu reiner Lebens- führung sich wappnet, kann den vielen Reizen sexueller Natur, die zumal
in der Stadt und in heutiger Zeit auf ihn einstürmen, nicht unzugänglich bleiben. Auf Schritt und Tritt werden ihm die in mehr oder weniger Hüllen eingefaßten weiblichen Reize dargeboten. Er schaut den wiegenden Busen unter der straffen Seidenbluse, sieht das Spiel der Schenkel im enganliegenden Röckchen, fühlt diese ganze warme, weiche Weiblichkeit im Tanze an seinen Körper gelehnt, und sollte nicht den Wunsch in sich verspüren, dieses Wesen, von dem in aller Welt wegen seiner Schönheit so viel die Rede ist, in dieser seiner vollen, nackten Schönheit zu schauen, auch, man erschrecke nicht, die Geschlechtsorgane, von denen er gelesen, und deren Abbilder er vielleicht geschaut hat.
In seine Nase steigen die Düfte ferner Zonen; sie entsteigen der Gewandung der Schönen, die mit allen Mitteln ihre Wirkung erhöht, sei es bewußt oder unbewußt. Was Wunder, wenn das Blut des jungen Mannes rebellisch und begehrlich wird und er gerne ganz besitzen möchte, was sich ihm in solch verführerischer Form präsentiert, aufreizender als es die einfache Natur jemals vermöchte ! Was Wunder, wenn das, was alle seine Sinne tagsüber aufge- nommen, nachts wieder an die Oberfläche steigt und ihn bedrängt und quält! Was Wunder, wenn er sich von all der Qual durch frische Tat befreien möchte !
Wem das gemein erscheint, der schlage an seine Brust und sage: Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie andere Leute! Danach denke er aber zurück an die Zeit, da er noch jung und voller Sehnen war.
Es sei hier auch gar nicht dem schrankenlosen außerehelichen Verkehr mit seinen vielen Gefahren, die einen Menschen zeitlebens unglücklich machen können, das Wort geredet; gesagt muß aber sein, daß es in gewissen Fällen besser wäre, mit all der nötigen Vorsicht zur Tat zu schreiten, statt jahrelang ein Gefangener überhitzter Triebe und einer sexuell gefärbten Vor- stellungswelt zu sein.
Damit, daß einer einmal sich vorehelich eines Weibes bedient, um seine Seele frei zu machen, begibt er sich noch lange nicht seiner Reinheit, im Gegenteil ist er auf dem Wege zu ihrer W iedergewinnung. Die Kraft, die bisher zur Abwehr sexueller Gedanken verbraucht wurde, wird frei für bessere Sachen, womit er sich und der Welt mehr nützt, als mit einer erzwungenen „Reinheit“, bei der seine Seele im Sexuellen versinkt.
Der Fall, daß einer zur Prostituierten geht, nur um endlich einmal ein nacktes Weib zu sehen (ein Recht, das man dem Künstler ohne weiteres ein- räumt, obwohl Künstlertum und „Sittlichkeit“ nicht immer identisch sind), ist häufiger, als man meint, erst in zweiter Linie kommt der Geschlechtstrieb als solcher erstmals als Antrieb dazu.
Wenn einmal die Nacktbewegung allgemeiner geworden ist und das ganze Versteckenspiel mit dem Körper aufgehört hat, dann hat auch die Prostitution und verschiedenes Tingeltangel an Zugkraft verloren, besonders weil diese Bewegung der Reform der Ernährung, das Alkoholgegnertum eingeschlossen, nahesteht. Dann wird aber auch manche Neurose nicht mehr entstehen, die ihren Grund im Kampf mit einer bedrängenden Vorstellungswelt hat.
Wie früher schon gesagt wurde, wirkt die Onanie schädlich, namentlich durch die heftigen Gemütsbewegungen, die häufig damit verbunden sind. Wir müssen sie zu vermeiden trachten.
Vor allem trete man dem Trieb nicht beständig gegenüber mit grimmig
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heiligem Ernste, hinter dem die Angst, zu unterliegen, lauert, vielmehr suche man eine überlegen lachende Einstellung zu gewinnen, indem man etwa zu sich selber sagt: „Glaubst du, von dir lasse ich mich wieder so leicht über- tölpeln! Meinst, wegen des Augenblicksgenusses soll ich mir einen ganzen Tag verderben! Nein, nein, da gibt es doch noch Dinge, die man harmloser genießen kann, als dich vertrackten Kerl.“
Wer sagt: Ich will nicht unterliegen, ich will Sieger bleiben!, begibt sich schon halb des Sieges, weil das „Ich will!” gar leicht die Färbung annimmt von: Ich möchte so gern, wenn ich nur könnte. Wer sich hingegen autosuggestiv in eine siegesgewise Stimmung zu versetzen weiß, der kommt viel weiter. Er wird nicht sagen: Ich will!, sondern: Klar, daß ich’s bleiben lasse! Sicher, daß ich nicht hereinfliege! Oder: Das war einmal, aber jetzt sind wir über solche Sachen hinweg.
Ist man doch wieder einmal gestolpert, so verliere man nicht sogleich den Kopf und sage sich ganz ruhig, daß der Körper auf ein gewisses Maß von Inanspruchnahme eingestellt ist und sehr wohl den Schaden wieder gutmachen kann, wenn man ihm dazu nur Zeit läßt, Aber Zeit mul3 man ihm lassen!
Immer sei man sich auch bewußt, daß man nicht der einzige Sünder auf der Welt ist und viele Kameraden hat, die sich ähnlich plagen. Man denke auch daran, daß man dereinst ein Mädchen in voller Kraft und Gesundheit umfangen möchte, und daß man darum seine Energien bewahren muß, um dann die Lust mit voller Kraft genießen und schenken zu können. Eine wahre Liebe, die sich aber leider nicht befehlen läßt, bewahrt und erlöst zumeist.
Je länger natürlich die Onanie bestanden hat, um so schwieriger wird der Kampf dagegen. Sie ist zur Gewohnheit geworden, die man nicht gerne ent- behrt. Man hat sich an den Reiz gewöhnt, der um so stärker auftritt, je mehr die Nerven gelitten haben, so daß die Geschlechtsorgane recht empfind- lich geworden sind und auf jeden körperlichen und gedanklichen Reiz rasch antworten. Da heißt es, sich in Geduld fassen und aufbauen an Leib und Seele, eine Arbeit, die in manchen Fällen eine langdauernde und mühsame ist. Da heißt es „Fastet und betet, auf daß ihr nicht in Anfechtung fallet. Wir möchten das Gewicht auf das Wort fasten legen; also möglichst knappe, eiweißarme Ernährung, unter Umständen aber auch eine völlige Enthaltung von Nahrung für längere Zeit, eine Fastenkur, die durch einen Arzt, der sich darauf versteht, geleitet werden muß. Unter Beten aber wollen wir verstehen das Vertreiben der sexuellen Gedanken durch solche anderen Inhaltes, durch gute Lektüre, Musik, Natur.
Wir sind am Schlusse und wollen die eingangs gestellte Frage beantworten: Soll man die Onanie bekämpfen? Wir sagen so: Nicht den aufreibenden Kampf gegen die Onanie wollen wir durch verfehlte Warnungen und Drohungen veranlassen, wohl aber die beeinflußbaren Ursachen der ÖOnanie bekämpfen, welche sind: Geheimtuerei, Mangel an richtiger Aufklärung, Überfütterung und Stuhlverstopfung, Mangel an Bewegung und Reinlichkeit auf körperlichem und geistigem Gebiete. Und wenn es vielleicht damit auch nicht gelingt, die Onanie ganz zu verhindern, so wird sie doch eher in jenen Grenzen bleiben, innerhalb derer ein Schaden ausgeschlossen ist.
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BEOBACHTUNGEN ANKINDERN
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Finige Beobachtungen zur Entstehung der Onanie und der Odipussituation' Von Gertrud Behn-Eschenburg, Zürich
Die kleine Anne (einziges Kind) kommt mit ı7 Monaten zum erstenmal ins Strandbad. Wir setzen uns auf den Rasen und ich überlasse sie ganz sich selbst. Erst bemerkt Anne den Sand und spielt damit, wandert dann weiter, entdeckt plötzlich das Wasser und läuft geradewegs hinein. Sie hat eine mächtige Freude und springt immer wieder hinein; reicht ihr das Wasser bis unter die Arme, so quietscht sie, zieht sich zurück und beginnt das Spiel von neuem.
Später spazieren wir unter den Leuten herum und begegnen entfernt Bekannten mit einem wenig älteren, ebenfalls nackten, kleinen Jungen. Es ist das erstemal, daß Anne einen nackten Jungen, überhaupt ein völlig entkleidetes, männliches Wesen sieht. Sie setzt sich sofort direkt vor dem kleinen Buben auf den Boden und betrachtet unverwandt und mit dem größten Erstaunen sein Glied. Erst macht sie einige zaghafte Versuche, es mit den Händchen zu berühren, dann unterläßt sie das und schaut nur immer hin. Auch der Junge steht noch immer still und schaut sie an. Nun beginnt Anne bei sich selbst zu suchen und stößt dabei die kleinen bekümmerten Laute aus, die sie zurzeit immer äußert, wenn sie etwas nicht in Ordnung findet. Sie höckelt noch in der gleichen Stellung auf dem Boden und sucht immer und immer wieder von neuem, unbekümmert um alles, was um sie her geschieht. Sie nimmt auch keine Notiz davon, daß der Junge sich ihrer Spielsachen bemächtist hat — ein Übergriff, den sie sonst nicht ohne weiteres duldet. Wir verabschieden uns und gehen weiter, aber immer wieder einmal bückt sich Anne und sucht zwischen den Beinchen, bis sie schließlich wieder in ihren Kleidchen steckt und sich auf dem Heimweg für allerlei anderes zu . interessieren beginnt. Kaum wird sie aber zu Hause ausgezogen, um ins Bett gebracht zu werden, fängt sie schon wieder zu suchen an und äußert sich in der gleichen bekümmerten Weise dazu. Da ich es für möglich halte, daß durch das bloße Sitzen in dem groben Sande und durch das beständige Suchen ihre Haut vielleicht etwas gereizt sein könnte, pudere ich sie zwischen den Beinchen. Anne läßt sich dadurch anscheinend beruhigen und trösten und schläft nachher wie gewohnt schnell und ruhig in ihrem Bettchen ein. Als ich ihr nach dem Mittagsschlafe das Nachthemdchen ausziehe, erinnert sie sich wieder und fängt von neuem zu suchen an. Sie läßt sich aber wieder mit etwas Einpudern ablenken. Die gleiche Szene wiederholt sich noch einige
I) Ich möchte mich hier auf die bloße Mitteilung von Aufzeichnungen aus meinem Tage- buch beschränken und verschiebe eine Erklärung und Bearbeitung möglicher Zusammenhänge auf später.
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Tage beim An- und Ausziehen, allmählich geht das Interesse scheinbar mehr auf das Einpudern über (wobei ich vermeide, das Kind zu berühren), klingt langsam ab und erlischt in den nächsten Tagen. — Im übrigen Verhalten des Kindes ließ sich während der ganzen Zeit keine Veränderung bemerken, es war frisch und vergnügt wie immer.
Kurz darauf fahre ich mit Anne für einige Zeit in die Berge, und da wir dort ganz allein wohnen, hat sie für längere Zeit keine Möglichkeit mehr, überhaupt Kinder und also auch keine nackt zu sehen. Sie selber sonnt und luftbadet jeden Tag, stellt aber nie mehr derartige Untersuchungen an.
Im Herbst (20 Monate) kommt zum erstenmal Annes kleiner Vetter (10 Monate alt) auf Besuch. Er liegt in ihrem früheren Wagen, wird in ihrer Wanne gebadet und auf ihrem Wickeltisch zurechtgemacht, schläft aber in einem anderen Zimmer. Anne beobachtet alles sehr aufmerksam und will besonders immer beim Baden dabei sein. Dabei schaut sie wieder unverwandt das Glied des kleinen Jungen an und versucht auch öfters, dieses sachte zu berühren. — Daneben ist Anne zum erstenmal ausgesprochen eifersüchtig. Sie drängt alle Leute möglichst von mir weg und ist sehr schwer zu bewegen, irgend jemand etwas von ihren Sachen auch nur zu zeigen oder gar zu geben.
Anne ist deutlich erleichtert, wie der kleine Junge wieder weg- gefahren ist.
Bei allen, immer jeweils in einigen Monaten erfolgenden Besuchen des kleinen Vetters verhält sich Anne ähnlich, nur immer weniger ausgesprochen und deutlich. Sie sucht noch immer, wenn möglich, bei seinem Bade und seiner Toilette dabei zu sein, und beschaut das kleine Bübchen dann gespannt, aber ganz stumm; sie „beherrscht“ sich schon so weitgehend, daß jemandem, der sie nicht kennt, in keiner Weise etwas auffallen würde. Daneben wird