Botanische Jahrbücher 22

für

Systematik, Pflanzengeschichte

und

Pflanzengeographie

herausgegeben

von

A. Engler.

Zweiundzwanzigster Band. Mit 5 Tafeln und 58 Figuren im Text.

Mo. Bot. Garden, 1897.

Leipzig Verlag von Wilhelm Engelmann

1897.

Es wurden ausgegeben: Heft 4 (Bogen A—14) am 49, November 4895. Heft 3 (Bogen 12—23) am 22. Mai 1896. Heft 3 (Bogen 24—36, Beiblatt Nr. 55) am 4. December 4896. Heft 4 u. 5 (Bogen 37—50, Litteraturbericht Bogen 1—4) am 23, Februar 4897.

Inhalt.

I. Originalabhandlungen.

Seite K. Reiche, Die botanischen Ergebnisse meiner Reise in die Cordilleren von Nahuelbuta und von Chillan . . .. .......-.-.2.2.2.2^-.2^.2^.^.. 4- 46 A. Engler, Beiträge zur Flora von Afrika. XI. (Mit Tafel I u. II). . . . . . 47-456 F. Kränzlin, Orchidaceae africanae. II. . . . 2 ... ..... 47- 34 O. Warburg, Begoniaceae africanae . . . . . . . . .. .... 32- 45 O. Warburg, Balsaminaceae africanae . . . . 46- 53 O. Müller, Ahopalodia, ein neues Genus der Bacillariaceen. (Mit Tafel I u. I). . . oo a a sss BA TI P. Hennings, Fungi camerunenses. I. . . . . . .. ...... TRAM G. Lindau, Acanthaceae africanae. IH. . . . . 2 2 u nn . 442-127 M. Gürke, Labiatae africanae. Ill... . . 222 nn . . . . . 428-148 E. Koehne, Lythraceae africanae . . . . . 449-152

H. Harms, Zwei neue Meliaceengattungen : aus dem tropischen Afrika 153-156 F. Buchenau, Beiträge zur Kenntnis der Gattung Tropaeolum. (Mit 4 Figur im Text) . . .. e . . 457-183 O. Ekstam, Neue Beitrüge z zur Kenntnis der Gefäßpflanzen“ Novaja Semlja's 484-201 L. Diels, Vegetations-Biologie von Neu-Seeland. (Mit Tafel II und 7 Figuren

im Text) 2 . . 4 4 2 s e e 4 s e , 202-300 E. Gilg, Beiträge zur Kenntnis der Gentianaceae. I. . . . . . . . . . . . . 304-347 P. Dietel und F, Neger, Uredinaceae chilenses. l.. . . . . 348-358 G. Hieronymus, Beiträge zur Kenntnis der Pteridophyten- Flora der Argentina

und einiger angrenzender Teile von Uruguay, Paraguay und Bolivien. . . 359-420 E. B. Uline, Dioscoreae mexicanae et centrali-americanae . . . . . . . . . . 421-432 G. Andersson, Die Geschichte der Vegetation Schwedens. (Mit Tafel IV—V

und 43 Figuren im Text) . . . . nn... 433-550 F. Höck, Pflanzen der Schwarzerlenbestände Norddeutschlands . e.s 554-584 E, Huth, Ueber Schwierigkeiten und Ungenauigkeiten in der Nomenclatur der

Gattung Pulsatilla . . . . . n . . 582-592 O. V. Darbishire, Die deutschen Pertusariaceen ı mit besonderer Berücksich-

tigung ihrer Soredienbildung. (Mit 37 Figuren im Text). . . . . . . 593-671

G. Hieronymus, Erster Beitrag zur Kenntnis der Siphonogamenflora der Arn gentina und der angrenzenden Länder, besonders von Uruguay, Paraguay, Brasilien und Bolivien . . . . . . . s s se sooo os sos on s s = 672-198

IV Inhalt.

II. Verzeichnis der besprochenen Schriften. (Besondere Paginierung.)

N. J. Kusnezow, Übersicht der in den Jahren 4894—94 über Russland er- schienenen phyto-geographischen Arbeiten . .

I. Arbeiten monographischen Charakters. S. TN 29. 0L Das « euro- páische Russland. $ 4. Arbeiten, welche sich auf das ganze Gebiet oder größere Teile desselben beziehen. S. 29—32. 8 2. Arbeiten über klei- nere Gebiete und Specialfloren. S. 32—44.

B. Schorler, Übersicht über die wichtigeren in den Jahren 4892—94 über die Flora von Nord- und Mitteldeutschland erschienenen Arbeiten .

I. Arbeiten allgemeineren Inhalts. S. 9—17. 1I. Arbeiten über die

Flora der einzelnen Florenbezirke. S. 47—24.

Johow, F., Estudios sobre la flora de las Islas de Juan Fernandez.

III. Beiblätter. (Besondere Paginierung.) Beiblatt No. 55: A. Garcke, Einige nomenclatorische Bemerkungen Personalnachrichten Botanische Sammlungen . Botanische Reisen.

Seite

24-44

1-24

44-50

1-40

. 11-42

13-14 14

Die botanischen Ergebnisse meiner Reise in die Cordilleren von Nahuelbuta und von Chillan.

Von

Karl Reiche.

Auf der ersten der botanischen Reisen, welche mir durch die Munifi- cenz der Königlich preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin ermöglicht wurden, und welche zum Zwecke haben, die Formationen der chilenischen Anden zu studieren und die Lebensverhältnisse der dortigen Hochgebirgspflanzen festzustellen, sollte es sich darum handeln, die Hoch- cordillere und Küstencordillere müglichst unter der gleichen geographischen Breite und zur selben Jahreszeit zu untersuchen. Um dem Vergleich über- haupt eine nutzbringende Form geben zu können, musste ein Teil der Küstencordillere gewählt werden, der durch seine Höhe an die der Hoch- cordillere bereits herankam; eine solche Örtlichkeit bot sich in der Küsten- cordillere von Nahuelbuta, ca. unter dem 38.9 gelegen, die mit der nörd- licher liegenden und bequem zu erreichenden Cordillere von Chillan in Parallele gestellt wurde.

Nachdem Ende December die nötigen Vorbereitungen getroffen, zumal durch Empfehlungsbriefe an geeignete Persönlichkeiten dafür gesorgt war, über äußere Schwierigkeiten hinwegzukommen, begab ich mich am 2. Januar 4895 von meinem Wohnort Constitucion den Rio Maule aufwärts nach Talea. Von dort benutzte ich die chilenische Centralbahn bis San Rosendo, und in südöstlicher Richtung weiter nach Los Sauces, von wo aus ich die Exeursion in die Berge zu beginnen gedachte.

Los Sauces liegt in einem offenen, welligen Gelände des ehemaligen Araucanergebietes; der Wald triti erst in weiterer Entfernung an den armseligen Ort heran, und unter dem Einfluss der sommerlichen Dürre war das Land bereits mit der für diese Jahreszeit charakteristischen gelbbraunen Decke des abgestorbenen Grases und des zwischen ihm durchblickenden Erdreiches überkleidet. Nur in einer ausgedehnten Lagune neben dem Ort

Botanische Jahrbücher. XXII. Bà. 1

2 K. Reiche.

zeigten Malacochaete riparia mit ihren 1!/, m hohen Halmen und Mimulus luteus mit tausenden gelber Blüten keine Beschränkung des Wachstums. Das verdorrte Gras auf den Fluren gehörte größtenteils dem Hordeum mari- num an; dazwischen waren noch in ziemlicher Anzahl Stöcke einer Stachys, wohl St. albicaulis, in Blüte. Triptilium pectinatum und Cyperus: reflexus erschienen in feuchteren Einsenkungen des Bodens. Die Vegetation verdankt diese Ärmlichkeit nicht nur den jeweiligen Temperaturverhältnissen; dass trotz der Trockenheit doch noch zahlreichere Gewächse existieren können, falls sie nur vor den weidenden Tieren geschützt sind, zeigte sich an dem eingefriedigten Terrain des Bahnkürpers, wo neben üppigen Exemplaren des genannten Triptilium noch Centaurea dianthoides und Chaetanthera Berteriana sich fanden; letztere bei oberflächlicher Betrachtung allerdings mit der genannten Gattung wohl wenig gemeinsame Züge aufweisend.

Der Wald bot von dem auch sonst in den mittleren Provinzen des Landes beobachteten keinen Uuterschied; es war ein Buschwald mit besonders zahlreicher Boldoa fragrans, Lithraea, Coriaria ruscifolia, Aristotelia Maqui, einigen noch nicht blühenden Myrten und der Fagus obliqua, der als »Roble« bezeichneten Buche, die auf den umgebenden Bergen den Hauptträger der Waldvegetation bildet. In der Richtung nach dem südwestlich gelegenen Puren, nach welchem ich mich weiter zu Pferd begab, herrscht offene, sanftwellige Grasflur vor, eine Pampa im südamerikanischen Sinne dieses Wortes. Hordeum marinum und Avena hirsuta überziehen groBe Flächen ; gelegentlich werden sie durch Aristida pallens ersetzt, eine Graminee, welche den gegenwärtig im übrigen kahlen Boden in einzeln stehenden, dichten, glänzend gelbgrünen Bulten überkleidet. Dadurch wird, zumal bei der Dünne der ca. 30—40 cm hohen Halme und Blätter, ein sehr eigen- tümlicher Anblick hervorgerufen. Das Gras, welches sich ungefähr von Talca ab nicht selten im Längsthal zwischen beiden Cordilleren befindet, und bei Coronel auch in den Dünen am Strande auftritt, verbreitet sich dureh seine hygroskopischen, bei Trockenheit auseinander spreizenden drei Grannen, welche die die Frucht umschließende Spelze krönen. Diese Grannen bleiben in der Wolle der weidenden Schafe hängen, dringen aber auch gelegentlich durch die Haut in den Kórper des Tieres ein, wo sie bös- artige Zustinde hervorrufen. Der Ort Puren ist am Fuße des Ostabhanges der Cordillere von Nahuelbuta gelegen, in wasserreicher, waldiger, aber im Sommer, zumal an wildstillen Tagen, von unzähligen Bremsen heim- gesüchter Gegend. Letztere (Pangonia depressa Macq.) sind weniger durch ihre Stiche, als durch ihre Zudringlichkeit und große Anzahl lästig, mit der sie den Fußgänger oder Reiter umschwärmen; sie machen jede ein Stehenbleiben fordernde Beobachtung unmöglich. Von Puren aus hatte ich die hier nur 500 m hohe Cordillere zu überschreiten und zugleich bei dieser Gelegenheit die Zusammensetzung des Waldes festzustellen. Die herrschenden Waldbäume sind Fagus Dombeyi und F. obliqua, ihnen gestell

Engler, Bot. Jahrb. XXII. Bd.

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Verlag v. Wilh. Engelmann, Leipzig.

Engler, Bot. Jahrb. X XII. Dd.

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WICHTIGE PFLANZENGEOGRAPHISCHE - GRENZLINIEN

SKANDINAVIEN.

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A Grense der Birke ; Betula odorata.) J

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Fundort des Seidelbasts i Daphne Mexereuin) der Linde (ia euronaeı) Fiche (Quercus Robur j

» Buche Fagus s

» Fiche und Linde

Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig.

Gen. Sfab. Lil. Anst. Stockh.

Die botan. Ergebnisse meiner Reise in die Cordilleren von Nahuelbuta u, von Chillan. 5

sich am Ostabhange der Cordillere gelegentlich F. procera hinzu. Daneben finden sich Eueryphia cordifolia, Caldeluvia paniculata, Persea Lingue, Gue- vina Avellana, Raphithamnus cyanocarpus, Aralia laetevirens, Aristotelia Maqui, Drimys chilensis, Boldoa fragrans, Edwardsia chilensis und der sehr auffällige 3—4 m hohe, fast baumartige Senecio cymosus, gegenwärtig noch mit zahlreichen, goldgelben Blütenrispen. Als Schlingpflanzen treten auf Boquila trifoliata und Lapageria rosea; auf der Rinde der Bäume haben sich gelegentlich angesiedelt Mitraria coccinea und Sarmienta repens, als Parasit auch Myzodendrum punctulatum. Das Unterholz besteht aus Ge- Sträuch der eben als Bäume aufgezählten Arten, aus Leptocarpha rivularis, sowie aus der Myrtacee Ugni Molinae, seltener mit Beimischung von Spha- cele campanulata. An Stauden ist in gegenwärtiger Jahreszeit kein Reich- tum; häufig und charakteristisch sind die gewaltigen Stöcke der Greigia sphacelata, einer Bromeliacee mit langen Stachelblättern; ferner eine Art von Tupa und Viola capillaris; außerdem Oxalis valdiviensis, O. parvifolia, Gardoquia multiflora, Calceolaria punctata und die nur aus diesem Gebiet bekannte, durch weißfilzige Blätter ausgezeichnete Calceolaria crassifolia. Von Farnen ist in feuchten Schluchten, zumal am Ufer des Puren-Baches, häufig Alsophila pruinata; an den Stämmen der Bäume sowie am Boden zeigen sich auch Arten von Hymenophyllum, wenngleich jetzt ziemlich ver- trocknet, und das Moos Polytrichum dendroides. Von den sehr zahlreich vorhandenen Bambusgräsern (Chusquea) wurde kein zur Bestimmung taug- liches, blühendes Exemplar gefunden. Die im vorstehenden geschilderte Waldvegetation hat im Artenkatalog, zumal durch Eucryphia, Caldcluvia, Alsophila, Ähnlichkeit mit der der Wälder Valdiviens und des südlich da- von gelegenen Gebietes, unterscheidet sich aber durch die noch geringe Entwickelung epiphytischer Farne und Moose, durch das Fehlen von Em- bothrium coccineum und Rubus geoides (wenigstens noch in der angegebenen Höhe bis 500 m) und das häufige Vorkommen des Boldoa-Strauches, der schwerlieh Valdivien erreichen dürfte. Der Abstieg auf der Westseite des Bergrückens bietet keine Ánderung der Vegetation; man gelangt in ein weites Thal, welches mit seinen Seitenthülehen von dem Colonistenorte Gontulmo eingenommen ist. Hier ist der ursprüngliche Wald durch die Thätigkeit der Colonisten bereits an den unteren Teilen der Abhänge nieder- geschlagen und das Land bis an den nahe gelegenen Lanalhue- See cultiviert worden. Ich hatte daher keine Veranlassung, diesen Teil des Gebirges weiter zu durchstreifen; nur die Lagune selbst musste besucht werden, Am interessantesten sind einige Glimmerschieferfelsen am Süd- ufer, an deren Fuße eine Mertensia sich fand, leider nur in sterilen Wedeln; im Gesträuche hingen lange, silbergraue Bärte der Bromeliacee Tillandsia usneoides; wenn auch Blüten nicht gefunden wurden, so ist doch die Pflanze wohl schwer zu verkennen. Dieser Standort unter dem 38° I. m. ist wohl einer der am weitesten nach Süden vorgeschobenen. Überhaupt

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4 K. Reiche.

liegt die Südgrenze des Areales der Bromeliaceen viel weiter nach Süden, als man gewöhnlich annimmt. Ich habe eine Rhodostachys noch am Rio Palena ziemlich unter 44° l. m. gesehen, und zwar in so üppiger Ent- wickelung, dass sie zweifellos noch bedeutend weiter in die antarktischen Regionen vorrückt. Letztgenannte Art wird vermutlich durch die Vögel verbreitet, welche die auDerordentlich wohlschmeckenden Beeren auf- suchen; die Tillandsia dürfte ebenfalls durch Vógel verschleppt werden, an deren Beinen kleine Ästchen der zählebigen Stengel hängen bleiben. Von allen Bromeliaceen scheint Rhodostachys am weitesten nach Süden zu gehen; dann Greigia sphacelata, deren Beerenfrüchte ebenfalls sehr wohl- schmeckend sind; darauf dürften Bromelia bicolor, T illandsia usneoides folgen, bis nach dem mittleren Chile zu die Puya u. a. hinzutreten. Die landschaftlich schöne Fahrt über den Lanalhue-See zeigte botanisch wenig Interessantes; gelegentlich an den Ufern Bestände von Malacochaete riparia und dazwischen Sagittaria chilensis und eine Utricularia ohne Blüten. Am Nordufer des Sees wuchs nicht selten auf den Buchen Loranthus heterophyllus.

Da die von mir bisher durehwanderte Cordillere sich nur zu ge- ringen Hóhen erhob und einen Wechsel der Vegetation infolge dessen nicht erkennen lieB, so suchte ich nunmehr die höheren und höchsten Teile des Gebirges auf. Zu diesem Zwecke begab ich mich vom Nordufer des Lanalhue-Sees nach dem Landstädtchen Cafiete, von wo aus ich auf Gelegenheit zur Befórderung nach dem Innern des Gebirges rechnen konnte. Diese am Westabhang des Gebirges sich hinziehende Wanderung gestattete einen bis fast an das Meer sich erstreckenden Überblick über diesen Teil der Araucania. Es ist ein flachwelliges Gelände mit reiehlichem und so dicht zusammenschlieBendem Graswuchs, dass er sieh fast einer Wiese nühert. Zwischen den in jetziger Jahreszeit abgestorbenen Grüsern erhoben sich die massiven Bulle der Hierochloa utriculata ; dazwischen reichlich ein Achyrophorus, Chevreulia stolonifera, Roterbe bulbosa, Soliva sessilis, Acaena sp. und Libertia iwioides. lm Frühlinge sind diese Fluren sicherlich von zahlreichen Liliaceen bestanden. Häufig sind diese Gebiete zu Getreide- feldern umgewandelt worden; dazwischen erheben sich Gruppen von Bäumen, meist Fagus obliqua und F. Dombeyi, sodass die Gegend einen parkartigen Eindruck macht. Nach dem Meere zu fällt sie in einer ziemlich steilen Terrasse ab. l

Von Cañete aus, welches in leicht welliger, reizloser Gegend gelegen ist, ging ich in östlicher Richtung auf die Cordillere zu. Ein am Fuße derselben gelegener kleiner Ort, Gay ucupil oder kürzer Caicupil genannt, diente mir als Standquartier für die weiteren Ausflüge. In jener Gegend leben noch viele Indianer, wenn auch nur in unterworfenem Zustande. Sie sprechen unter sich noch ihre eigene Sprache und halten an ihrer malerischen nationalen Kleidung fest, obwohl sich die jüngste Gene-

ie botan. Ergebnisse meiner Reise in die Cordilleren von Nahuelbuta u. von Chillan. 5

ration z. T. schon europäisch kleidet. In verhältnismäßig kurzer Zeit werden aber die Reste der Urbevölkerung verschwunden sein, da der maßlose Branntweingenuss, und zwar bereits der Kinder, unmöglich lange ohne die entsprechenden Folgen sein kann. Caicupil verdankt seine Existenz dem Holzreichtum seiner Umgebung, welcher einige Sägemühlen in Thätigkeit setzt; ich komme auf die Zusammensetzung des Waldes so- gleich zurück. Das Thal, an dessen Ende der genannte Ort liegt und welches von einem Bache durchflossen wird, zeigte als bemerkenswerte Gewächse Geum chilense, welches nördlich bis zum Rio Maule geht, und Mimulus Bridgesi, der in Gesellschaft der allgemein verbreiteten Azolla caroliniana alle Gräben ausfüllte. Das Gebirge steigt unmittelbar hinter dem Orte steil empor; die Höhen sind von dichten, z. T. wohl noch jung- fräulichen Wäldern bedeckt. Ihr Aussehen entspricht in den niedrigeren Lagen zunächst denen, welche zwischen Contulmo und Duren beobachtet wurden. Neben den beiden hauptsächlichsten Buchen, Fagus obliqua und F. Dombeyi, findet sich in diekstämmigen Exemplaren auch der Raulé, F. procera, dessen Blatt dem der deutschen Hainbuche nicht unühnlich ist. Auch kam die Conifere Podocarpus chilina mehrfach zu Gesicht, sowie der oben erwähnte Senecio cymosus und Lomatia ferruginea. Reichlich vor- handenes Bambusgestrüpp (Chusquea) macht den Wald vollkommen un- wegsam.

Bei 500—600 m Höhe unterbrechen kleine, haideartige Lichtungen den Wald; auf ihnen bildet Festuca scabriuscula dichte, von hohen Halmen überragte Bulte mit sehr harten Blättern. Zwischen ihnen wachsen einige großblütige, gelbe oder grünweiße Orchideen (Chloraea), eine kleine Per- nellya (wohl P. pumila), die ersten Büsche von der schönblühenden Proteacee Embothrium coccineum, während an feuchten Stellen Susarium Segethi, eine Iridaeee mit außerordentlich vergänglicher Blüte, Senecio calocephalus, Homoianthus viscosus, Polygala pratensis, Valeriana Bridgesii hinzutreten; die bereits oben genannten Geum chilense und Libertia ixioides sind eben- falls nicht selten.

Bei ca. 700 m zeigt sich im dichten, geschlossenen Laubwalde eine vereinzelte, den Holzfällern wohl bekannte und »Pino guacho« (ver- waister Pino) genannte Araucarie. Ungefähr in gleicher Höhe erscheinen Adenocaulon chilense und Lagenophora hirsuta an den Waldründern, zwei Compositen, von denen die erstere durch ihr kurzes Involucrum und die wenigen, mit Drüsen besetzten und aus jenem hervorschauenden Früchte einen ungewöhnlichen Eindruck macht. Daphne andina und Viola maculata sind in diesen Höhen bereits abgeblüht; weiter oben sind sie noch viel zu finden. Unter den Gesträuchen des Waldes tritt einzeln Azara lanceo- lata auf, aber ohne Blüten. Dagegen verschwinden nach und nach einige den unteren Lagen angehörige Formen, z. B. Aralia laetevirens, Senecio

6 K. Reiche.

cymosus, Lomatia ferruginea, wenngleich sich dieser Wechsel so allmählich vollzieht, dass er kaum zu Bewusstsein kommt.

Bei ca. 1000 m tritt Araucaria imbricata vereinzelt, aber doch wohl bemerkbar im Walde auf; ihre Stämme erreichen noch nicht die Hóhe und vollkommene Ausbildung, die wir weiter oben an ihnen bewundern, aber sie sind vielleicht gerade durch den direct ermöglichten Vergleich mit den Buchen nur um so eigenartigere Formen.

Bei 4100 m erfüllt dichtes, hochstengeliges Chusquea - Gebüsch den Misehwald, in welchem nunmehr Fagus Dombeyi numerisch alle anderen übertrifft. Weiter aufwärts lichtet sich der Wald; auf den Blößen zeigt sich Anemone anlucensis, Codonorchis Poeppigü, Dioscorea ther- marum (oder eine sehr nahe verwandte Form), Vicia acerosa, Berberis Darwini und B. linearifolia, und große Granittrümmer sind z. T. mit Bac- charis magellanica, einem niederliegenden, mit Blütenköpfen übersäten Sträuchlein, bedeckt. Auf den Buchen schmarotzt in Unmenge Myzodendrum punctulatum, von meinem Führer nicht übel als »Injerto«-Pfropfreis be- zeichnet; außerdem Loranthus mulabilis und, wenn auch weit seltener, Eremolepis punctulata.

Von nun an tritt allmählich eine andere Buche in Gesellschaft der Araucarie auf; es ist Fagus antarctica, zunächst noch in Form mäßiger Bäume, schließlich nur noch als Gebüsch. Der eigentümliche Charakter des Araucarienwaldes kommt nunmehr zum vollen Ausdruck. Es ist im Vergleich mit dem Laubwalde und dem in Europa bekannten Coni- ferenwald durchaus lichter Bestand, sodass die Gestalt des einzelnen Baumes, als eines exquisiten Schopfbaumes, zur vollen Geltung kommt. Denn der Stamm verzweigt sich normaler Weise nicht gelegentlich habe ich Übergipfelung durch einen Ast naeh Verlust der Krone beobachtet, und häufiger einige unregelmäßige Verzweigungen unterhalb der Krone. Als Unterholz treten auf Gebüsche von Fagus antarctica und an einigen höher gelegenen Orten von F. Pumilio; einmal habe ich auch Drimys chilensis als Unterholz gesehen, und zwar in Form von 40—50 em hohen und trotz dieser Zwerggestalt reichblühenden Stämmchen. Wegen seines lichten Standes nimmt der Araucarienwald nicht die Fernsicht, so dass man am fernen Horizont noch runde Kuppen, den Kronen der Bäume entsprechend, wahrnimmt. Die Stämme werden 40—50 m hoch; einer derselben durchaus nicht der ausgesucht stärkste hatte 4 m Umfang bei 1,5 m über dem Boden. Im Januar war die Blütezeit bereits vorüber, die männ- lichen Kätzchen schon abgefallen; die weiblichen Blüten geben erst im Mai des übernächst folgenden Jahres reife Samen. Dieselben werden, wie bekannt, gegessen, wenn sie in der Cordillere von Nahuelbuta auch nicht gerade als Nahrungsmittel ersten Ranges zu dienen scheinen. Der Baum sät sich selber in bedeutender Menge aus, wie man an dem jungen Nach- wuchs aller Altersstufen erkennen kann. Jüngere Exemplare gleichen den

Die botan. Ergebnisse meiner Reise in die Cordilleren von Nahuelbuta u, von Chillan. 7

alten, nur fehlt der hohe, mastbaumartige Stamm, der die Krone in die Höhe hebt. Die Blätter sind außerordentlich starr, dunkelgrün und mit so kräftiger Stachelspitze bewehrt, dass ein Durchstreifen des Araucarien- waldes, trotz seines lockeren Bestandes, bei dem unvermeidlichen Berühren der jungen Bäume zahlreiche kleine Stichwunden im Gefolge hat. Um so mehr bleibt die Geschicklichkeit zu bewundern. mit welcher die Leute zwischen den Ästen herumklettern, um sich die Samen herabzuholen. An höheren Bäumen wird auch der Lazo dazu verwendet. In seinem ana- tomischen Bau zeigt das Araucarienblatt !kräftige, aber nicht verholzte Epidermen; dagegen sind eigentümlicher Weise die Schließzellen der Spaltöffnungen verholzt; unter der Epidermis befinden sich verholzte Festigungsstreifen. Das Assimilationsparenchym ist nur undeutlich in Schwamm- und Palissadengewebe geschieden. Der ganze Bau in seiner Festigkeit, welche etwaigen Dehnungen infolge von Transpirationsverlusten wirksam vorbeugen würde, sowie die eingesenkten Spaltöffnungen lassen naheliegende Beziehungen zum trockenen Standort in einer bewegten Atmosphäre erkennen. Dazu kommt, dass die Araucarie ein nur flaches Wurzelsystem hat, ihren Wasserbedarf also auch nicht aus tiefgründigen Erdschichten decken kann. Die mächtige graue Borke des Baumes ist oberflächlich in rhombische oder trapezoidische Schilder zerlegt, etwa wie . ein Testudinaria-Stamm. In den Ritzen und Spalten dieser Rinde siedeln sich zahlreiche Flechten an, zumal eine Usnea-Art. Die Holzfäller und Hirten, welche verstreut in diesen Wäldern wohnen, zünden bei trockenem Wetter gelegentlich den Flechtenbehang des einen oder anderen Baumes an; mit unglaublicher Schnelligkeit leekt alsdann die Flamme an dem hohen Stamme empor und springt auch auf die nächsten Äste über. Zum Glück ist der Bestand ein so lockerer, dass dieser für den Fremden außerordentlich fesselnde Scherz schwerlich zu Waldbränden führen kann.

Ungefähr in der Höhe von 4300 m, also inmitten der voll entwickelten Araucarienvegetation, schlug ich mein Zelt auf, um für einige Tage Stand- quartier zu nehmen. In dieser Gegend waren, wie bereits erwähnt, Fagus antarctica und Embothrium coceineum die hervorstechendsten, strauchigen Begleiter der Araucarien. Zwischen Steinblöcken erhoben sich Daphne andina, die kleine, buchsbaumähnliche Myginda disticha, Senecio calocephalus, Armeria vulgaris, Quinchamalium majus, Pernettya pumila, Habranthus chilensis, Fragaria chilensis, Viola maculata, Susarium Segelhi, sowie die prächtige Orchidee Chloraea crocea und die bescheidenere C. inconspicua. Dazwischen bildeten Festuca scabriuscula und Carex aphylla hartblättrige Bulte. An feuchten Stellen war Oreobolus clandestinus häufig zu sehen in Form kleiner, barter Polster. Diese kleine Cyperacee steigt aus den ant- arktischen Gebieten, wo sie im Meeresniveau sich findet, weiter nördlich in den Gebirgen empor. Besonders interessant ist Calycera balsamitifolia; weil sie meines Wissens die einzige Galyceracee ist, welche der Küsten-

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cordillere angehört. Am Ufer des Baches, in dessen Nähe ich mein Zelt aufgestellt hatte, war Ourisia racemosa in voller Blüte.

Es handelte sich nunmehr für mich darum, bis zur Hóhe des Gebirges aufzusteigen. Die Gesteinstrümmer nehmen an Größe und Häufigkeit zu und erschweren dadurch das Steigen; gelegentlich kommt Empetrum rubrum rasenweise zwischen ihnen hervor. Fagus antarctica wird durch F. pumilio ersetzt, welche hier ihrem Namen Ehre macht, indem sie in niedrigen Büschen auftritt. Sie geben an Zähigkeit der Äste dem Knieholze der deutschen höheren Gebirge nichts nach und werden wohl ebenso wie dieses im Winter durch den Druck einer gewaltigen Schneelast niedergehalten. Häufig ist das Gewirr der Buchenbüsche so dicht, dass man mit dem Wald- messer sich Bahn brechen muss; den stacheligen jungen Araucarien geht man am zweckmäßigsten aus dem Wege. Von höheren Holzpflanzen tritt nur Berberis linearifolia gelegentlich auf; außerdem bildet Desfontainea chilensis, leider ohne Blüten, hier und da durch ihr an Hex Aquifolium er- innerndes Laub einen wesentlichen Zug der Vegetation. Aber besonders auffállig sind die zahlreichen, oft zu dichten Rasen zusammengedrüngten Stöcke einer Bromeliacee, wahrscheinlich Rhodostachys andina, aber bei dem Mangel an Blüten nicht mehr sicher zu erkennen; nur die Gattung ist an dem centralen, den Stengel abschlieBenden Blütenkopf bestimmt fest- zustellen. Dieser, durch die größten, zahlreichsten und auffälligsten For- men bestimmte Vegetationscharakter der Araucarienwälder ändert sich nicht mehr bis zu ca. 1500 m Hóhe, der maximalen Erhebung der gesamten Cordillere von Nahuelbuta. Als gelegentliche Vorkommnisse sind noch einige Stauden zu notieren, welche in jenen zwischen meinem Standquartier und dem Kamme des Gebirges gelegenen Teilen sich fanden; es sind Chilio- Irichum rosmarinifolium, Macrachaentum gracile, Perezia brachylepis (Be- stimmung nicht ganz sicher) und eine vermutlieh noch unbeschriebene, sehr feinblüttrige Carex.

Im wesentlichen derselbe Eindruck und dieselbe Zusammensetzung der Vegetation wiederholte sich bei weiteren Streifereien vom Standquartier aus, wiewohl damit durchaus nicht die Identität der Flora in sämtlichen ausgedehnten Araucarienwaldungen behauptet sein soll. Thatsüchlich haben die Herren Puirieri bei früheren Gelegenheiten die eine und andere von mir jetzt nicht gesehene Art aufgefunden, was mit deren oftmals sehr eng begrenzten Arealen zusammenhängt; unter ihren befindet sich z. B. das von den typischen Formen sehr abweichende Ribes integrifolium.

Als Gesamtergebnis der Excursionen in der Cordillere von Nahuelbuta ergiebt sich, dass der südliche, niedrigere Teil des Gebirges nur die Vege- tationsform des gemischten Laubwaldes aufweist, mit der seiner geo- graphischen Breite entsprechenden Beimengung südchilenischer, speciell in Valdivia, Leanquihue, Chiloe weit verbreiteter Arten, wie Eueryphia, Caldcluvia, Alsophila. Diese Vegetation findet sich auch unverändert in

Die botan, Ergebnisse meiner Reise in die Cordilleren von Nahuelbuta u. von Chillan, 9

den niederen Lagen des nördlichen Teils des Gebirges, wird aber oberhalb 1000 m von der Vegetationsform der immergrünen Araucarienwälder oder Pinares abgelóst. Ihre hervorstechendsten Charakterzüge bestehen in ihrem lockeren Stande und dem reichlichen Unterholz von Buchengebüsch. Die Staudenflora, durch Anemone antucensis, Codonorchis Poeppigii und andere Orchideen charakterisiert, ist reichlicher in den Lichtungen, als im ge- schlossenen Bestande versehen. Aus dem Gesagten geht hervor, dass nicht, wie man nach der Angabe von Sievers t) glauben könnte, die ganze Cordillere von Nahuelbuta (vom Rio Imperial bis zur Bai von Arauco) mit Araucarien- wäldern bestanden sei. Die eben behandelten Pinares sind nun be- kanntlich nicht die einzigen in Chile. Wir verdanken dem geist- und gemütvollen Porrrıc auf Seite 396—403 des ersten Bandes seines Reise- werkes ausführliche Angaben über die Araucarienbestände von Antuco, welche etwas nördlicher als die von Nahuelbuta und am Westabhange der Hochcordillere gelegen sind. Aus ihnen geht hervor, »dass die Araucarien- wälder fast so steril sind, wie die der Fichten«, was ich nach meinen Befunden nicht behaupten móchte. Doch kann es immerhin sein, dass die von Porprıg untersuchten Bestände auf weit trccknerem Boden wuchsen, als die von mir durehstreiften. Im pflanzengeographischen Interesse bleibt es sehr zu bedauern, dass Pozrrig sich über die Begleiter der Arau- carien, zumal über das Unterholz, gar nicht ausspricht. Seine Angaben, dass das Vorkommen derselben als waldbildende Bäume zwischen dem 36° und 46° liege, haben neuerdings meines Wissens keine Discussion erfahren.

Von meinem Standquartiere brach ich nach Erledigung meiner Obliegen- heiten wieder nach Caicupil auf. Mein Gepäck war auf einer mit 2 kräftigen Ochsen bespannten Karrete verstaut; ich folgte dem schwerfälligen Fuhr- werk zu Fuß, oder saß auf, wenn der Weg nicht allzu uneben war. Denn streckenweise sprang und polterte die Karrete den steilen Abhang hinab, über Baumwurzeln springend und an Bäume aneckend, so dass ich über das Schicksal meiner photographischen Platten mich den schwärzesten, wenn auch zum Glück unberechtigten Befürchtungen hingab. Nach kurzer Rast in Caicupil, welche dem Ordnen der Sammlung und kleineren Ausflügen gewidmet war, reiste ich in nordwestlicher Richtung weiter, um zur nächsten Bahnstation, nach Curanilahue, zu gelangen. Der Weg, am Westabhange des Gebirges hinführend, eröffnete Landschafts- und Vege- tationsbilder, wie die von der Gegend zwischen dem Lanalhue-See und Caüete entworfenen. Es ist dasselbe flachwellige Terrain mit seinem Wechsel von offenem Weideland und Resten des ehemaligen Waldes, und dem dadurch bedingten parkartigen Anblick. Das offene Land ist weniger Gras- und Krautflur, wenn auch in gegenwürtiger Jahreszeit manche

4) Amcrika p. 103,

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zarteren Gräser bereits abgestorben sein mögen; Plantago lanceolata ist strecken weise die häufigste Staude, vergesellschaftet mit Hypericum chilense, Libertia iscioides, Roterbe bulbosa, Chevreulia stolonifera. In den Resten des Waldes kommen noch Eueryphia cordifolia und Caldeluvia paniculata vor, aber doch in so abnehmender Häufigkeit, dass die Annäherung an die nahe gelegene Nordgrenze sich bemerklich macht. Die einzeln stehenden Bäume von Fagus obliqua sind häufig von einem Gonophlebium besetzt, dessen dicht in Spreuschuppen gehüllte Rhizome auf der Rinde umherkriechen, und von der zierlichen Sarmienta repens. Im allgemeinen pflegen solche Epiphyten sich mehr im geschlossenen und daher feuchteren Bestande zu finden; aber gerade diese beiden halten auch noch an exponierteren Stand- orten aus; der Farn, wie angegeben, durch seine Spreuschuppenbekleidung, und die Gesneracee durch das umfängliche Wassergewebe auf der Unter- seite der Blätter geschützt. Greigia sphacelata ist noch ebenso üppig als reichlich ; sie erreicht erst vor dem Rio Maule ihre Nordgrenze.

Von Curanilahue aus, einem zur Ausbeutung der dortigen Kohlen- minen gegründeten Ort, begab ich mich auf der sogenannten Araucobahn über Coronel und Lota nach Concepcion, und von da aus am folgenden Tage nach Chillan, um die Flora der Cordillere zu studieren.

* * *

Ich hatte beabsichtigt, mir die nötigen Reit- und Lasttiere sowie den Führer von der Stadt Chillan aus mitzunehmen, um von dem Bade- etablissement, welches sich in der Cordillere selber befindet, gänzlich un- abhängig zu sein. Doch die Auskunft, dass zuverlässige Führer überhaupt nur von den Bädern ab zu bekommen seien, nótigte mich, mein Stand- quartier dahin zu verlegen. Nach Erledigung einiger Vorbereitungen brach ich dahin auf. Der Weg wird in Kutsche zurückgelegt und ist ca. 75 km lang. Man fährt in südöstlicher Richtung und bei langsamer Steigung zu- nächst durch das bekannte chilenische Längsthal, gelangweilt von endlosen Pappelalleen, zwischen denen sich eine schwarzfrüchtige Brombeere (ver- mutlich Rubus discolor) und vereinzelte sehr üppige Trauerweiden zeigen. Diese Brombeere trägt in den mittleren Provinzen wenig Früchte, da die Antheren vertrocknen, ohne den Pollen entleert zu haben; dagegen habe ich sie im Süden, z. B. in der Provinz Llanquihue, reichliche und schmackhafte Früchte tragen sehen. Was ihr an geschlechtlicher Vermehrung abgeht, ersetzt sie reichlich durch die vegetative, da sie ganz unglaublich wuchert. Gelegentlich finden sich auch verwilderte Rosensträucher am Wege. Von größerem Interesse ist das Vorkommen von Anomocarpus leucanthemus; es ist wohl diejenige Calyceracee, die am tiefsten in die Ebene herabsteigt, in diesem Falle bis ca. 400 m. In dem Maße, als der eultivierte Boden an Ausdehnung zurücktritt, beginnt die einheimische

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Vegetation zu überwiegen. Zunächst dehnen sieh zu beiden Seiten des Weges große Bestände von Fabiana imbricata aus, einer tamariskenähnlichen Solanacee, deren kleine, dicke, steilgestellte Blätter dem Strauch ein aus- giebiges Wachstum selbst an sehr trockenen Orten ermöglichen. Das Ge- büsch, vermutlich Reste von ehemaligem Waldbestande, besteht aus Fagus obliqua, Persea Lingue, Lithrea molle, Aristotelia Maqui etc., also zunächst noch aus allgefnein verbreiteten Arten ohne größeres Interesse. Von 600 m ab mischt sich gelegentlich Fagus procera, der Raulé, den Gebüschen hinzu. Bemerkenswert ist das massenhafte Auftreten. zweier aus Europa ein- geschleppter Unkräuter, der Linaria vulgaris und des Verbascum Thapsus, welche sich wie mehrere andere, ich erinnere an Digitalis purpurea und Ulex europaeus im Süden, mit erstaunlicher Schnelligkeit verbreiten. Auch tritt im Gebüsch häufig Chusquea andina auf, wiewohl dieses Jahr ohne Blüten. Bei 900 m bemerkt man einzelne niedrige Exemplare von Libo- cedrus chilensis, welche in den nördlicheren Provinzen sich auf höhere Lagen der Cordillere hinaufzieht; sie gleicht in der Tracht einer Thuja, ist also auf den ersten Blick zu unterscheiden von der Libocedrus letragona, welche in moosigen Waldsümpfen Südchiles nicht selten vorkommt. Im Gebüsch rankt umher Mutisia decurrens mit großen, orangefarbigen Blüten- köpfen; ferner zeigt sich Loasa acanthifolia mit glockenförmigen, nickenden Blüten scharlachroter Farbe: leider sind beide Arten von dem rasch fahren- den Wagen aus unerreichbar. Auf Liehtungen im Gebüsch hat sich eine hartblättrige Festuca angesiedelt, welche der aus Nahuelbuta genannten F. scabriuscula nahe stehen dürfte. Auf den Bäumen von Fagus obliqua, welche allmählich an Häufigkeit die beiden anderen oben genannten übertroffen haben, macht sich Loranthus mutabilis bemerkbar. Oberhalb 1200 m, hinter der letzten vor den Bädern gelegenen Ansiedelung, verengert sich das Thal des Renegadobaches, an welchem wir bisher aufwärts gefahren sind; der Wald ist prüchtiger, hochstámmiger Buchenbestand mit Unter- holz aus sehr verschiedenen Arten, wie Lomatia ferruginea, Drimys chi- lensis, Aristotelia etc. und der interessanteren Berberis rotundifolia. Unter den Stauden zeigen sich bereits echte Bergpflanzen: Adenocaulon chilense, Perezia prenanthoides, Susarium Segethi und die. hier überall häufige Fragaria chilensis. Von den Buchen kommen zwei weitere Arten hinzu, nämlich Fagus Pumilio, der Nirre, und F. antarctica, welche im Habitus, in der Art der Verzweigung mit der oft genannten F. Dombeyi überein- stimmen. Dieser hochstämmige Wald erstreckt sich gegenwärtig bis an die Bäder, ist aber leider stellenweise recht sehr gelichtet. So ergiebt sich, dass doch bis zur Hóhe von ca. 1860 m der Wald üppig gedeiht, was wohl zum Theil auf die günstige, vor heftigen Winden geschützte Lage des Ortes zurückzuführen ist. Immerhin entbehrt dieser Wald eines Schmuckes, von welchem die ersten Andeutungen bereits in Nahuelbuta erwähnt wurden, nämlich der reichen Epiphytenflora des südebilenischen Waldes. Außer

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dem häufigen Myzodendrum punclulatum und dem Loranthus mutabilis kommen nur wenige Flechten und Moose an den Büumen vor.

Jenseits der Grenze des hochstämmigen Waldes, also über 1860 m, herrscht entweder Buchengebüsch vor (Fagus Pumilio), in welchem zumal Valeriana laxiflora, gelegentlich auch Perezia prenanthoides auftreten, oder es ist eine mehr oder weniger tief mit grauem, vulcanischem Sande und glänzenden Lavablócken überschüttete, von höheren Gebüschen freie Gegend. Sie lässt sich botanisch durch das häufige Vorkommen von Eu-

phorbia portulacoides, Rumex acetosella und Calandrinia affinis charakteri- sieren. In diese Grundbestandteile sind nun an verschiedenen Orten ver- schiedene Nebenbestandteile eingewebt, wie sich aus dem folgenden er- geben wird.

Die Vegetation wurde auf folgenden Excursionen eingehender studiert: 1. abwärts von den Bädern an einem Bache entlang, welcher bis fast zu seiner Quelle aus einem Schneefelde verfolgt wurde; 2. wiederholte Ex- cursionen in das Valle de las nieblas (Nebelthal) ; 3. Ritt in das entfernter gelegene Thal de las aguas calientes (Thal der heißen Wasser); 4. Ritt auf den Vulean von Chillan.

1. Der genannte Quellbach des Renegadoflusses wurde von ca. 1700 m an aufwärts verfolgt; er ist von dichtem Nirregebüsch umgeben, und das Klettern teils an dem felsigen Ufer, teils auf Felsblöcken im Bachbett ist ziemlich beschwerlich. An ihm treten in größerer Menge auf Epilobium glaucum, Calceolaria foliosa, Cerastium vulgatum, Ranunculus peduncularis, Ourisia racemosa, Valeriana laxiflora, Leuceria thermarum; seltener sind Nassauvia lycopodioides, Gunnera magellanica, Saxifraga Pavonii, Mimulus luleus, Azara alpina, Cardamine cordata und in einem vielstengeligen, kräftigen Exemplar Marsippospermum grandiflorum. Diese Juncacee war überhaupt noch nicht aus der Cordillere von Chillan bekannt und dürfte hier ihren nórdlichsten Standpunkt besitzen. Über 1900 m wird das Gebüsch seltener und hört bald gänzlich auf. Über den Bach wölben sich Schneebrücken, und an den überrieselten Abhängen, sowie an geeigneten Stellen am Grunde erscheinen gelbgrüne, ausgedehnte Flecken der hier überall außerordentlich häufigen und geselligen Caltha andicola. Ihr üppiges Wachstum erklärt sich aus der sehr reichlichen Verzweigung und der ergiebigen Vermehrung aus Samen, welche aus den kurzgestielten Kapseln zwisehen das Gewirr der Stengel hineinfallen. Die Blüten sind autogam. Schließlich zeigen die niedrigen Gehänge am Bachufer dieselbe Flora, wie die umgebenden ausgedehnten Schotterfelder. Auf ihnen ist Berberis empetrifolia wohl die häufigste Pflanze; damit vergesellschaftet sich Adesmia emarginata in hohen Stauden, Viola Cotyledon in spannen- hohen, rosettenförmig beblätterten Stengeln mit großen, violetten oder fast weißen Blüten. Zwischen den kleineren Lavablöcken sprießt überall Lomaria Germaini, ein dm hohes Farnkraut, hervor. Gelegentlich findet sich ein-

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gestreut die eine oder andere Cordillerenpflanze, ein andiner Senecio, oder Phacelia circinnata in einer etwas anderen Form als in der Ebene, auch Tristagma nivale, eine Liliacee mit grünen Blüten, oder Clar/onea pedicu- larüfolia. Überhaupt lässt sich die überall in der Cordillere gemachte Beobachtung auch hier anstellen, wonach der Artbestand innerhalb geringer Entfernungen so bedeutend wechselt, dass es fast unmüglich wird, ge- schlossene, háufig wiederkehrende Bestünde herauszufinden.

Die oben als Nr. 2 erwähnte Excursion beginnt durch einen ziem- lich steilen Aufstieg in südöstlicher Richtung von den Bädern, wobei man zunächst durch hochstämmigen Nirrebestand hindurch kommt. Bac- charis umbelliformis, Galium chilense, Lathyrus ecirrhosus und der groß- blütige Schizanthus Grahami, im Schatten der Bäume Perezia prenanthoides und Adenocaulon chilense bezeichnen die Vegetation. Oberhalb des Waldes, d. h. jenseits 1900 m, beginnt eine andere Vegetation, in welcher von Holz- pflanzen Berberis montana, Escallonia carmelita, Berberis empetrifolia sich zeigen; damit ist eine local sehr wechselnde Flora vereint; in bedeutender Menge Gamocarpha Poeppigii, seltener Nastanthus scapigerus, Calceolaria Darwinii, Draba Gilliesü, Parargyrum pectinatum, Loasa filicifolia ete.— Nach Überschreitung der ungefähr bei 2000 m gelegenen Kammhöhe tritt man in das Valle de las nieblas ein; der Abstieg erfolgt an einem nicht sehr steilen Abhang hinunter, der mit niedrigem Buchengestrüpp bewachsen ist; in ihm sind Ribes- und Berberis-Stöcke eingesprengt, und am Boden finden sich Viola maculata, Dysopsis glechomoides, sowie Rubus geoides, wenn auch jetzt ohne Blüten. Die Thalsohle am Ufer eines kleinen Baches prangt in frischem Grün; es gleicht einer alpinen Matte, wird aber größtenteils aus Caltha andicola und einer kleinen /solepis-Art gebildet. Diesen Rasen sind eingesprengt Epilobium nivale, Cardamine cordata, Achyrophorus acaulis, Taraxacum laevigatum, Mimulus cupreus, Ourisid racemosa, Ert- geron Vahlü, Lagenophora Commersonii ete. Der langsam aufsteigenden Thalsohle bis zum Aufnören der strauchigen Buchen folgend, ist auf dem stellenweise sehr sumpfigen, quelligen Boden und an dessen Rändern eine nicht minder mannigfaltige Vegetation entwickelt: Calceolaria plantaginea, Plantago pauciflora, Ourisia alpina, Loasa lateritia, Adesmia compacta, Silene andicola, Azorella laevigata (letztere ein Endemismus dieser Cordillere), Valeriana carnosa und V. macrorrhiza, Carex leucocarpa. An einer etwas trockneren Stelle ist das Thal mit zahlreichen Blüten des Habranthus an- dicola Poepp. übersäet; seine Bestimmung erscheint noch nicht ganz sicher und ist nach den in Europa zu cultivierenden Exemplaren zu vergleichen. Die soeben in ihren Hauptzügen geschilderte Vegetation verdankt ihren Reichtum der constanten Bewässerung des Thales und dem Schutz vor den heftigen Winden. Je weiter man an den Gehängen des Thales emporsteigt, je mehr also Trockenheit und Einfluss des Windes zur Geltung kommen, um so dürftiger gestaltet sich die Pflanzenwelt.

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Der oben unter Nr. 3 genannte Ritt in das Valle de las aguas calientes, der vom Valle de las nieblas aus unternommen wird, liefert dafür den klarsten Beweis. An dem steilen, ein ungeheueres Schotter- feld darstellenden Abhange treten über 2200 m nur noch Viola Coty- ledon, Nassauvia revoluta, seltener N. pumila, Belloa chilensis und eine Umbellifere auf, vermutlich Ligusticum apioides. Die Höhe des Kammes, zwischen 2400—2500 m, der durch schroffe, zerklüftete Felsen ge- bildet wird, ist fast pflanzenleer; in den Felsspalten sah ich hier und da Saxifraga Pavonii und die kleine Umbellifere Huanaca andina. Der Abstieg auf der anderen Seite des Abhanges zum Thal der warmen Wasser hinunter führt zunächst noch durch ein gleich pflanzenleeres Gebiet. Dann aber, beim Überschreiten eines aus einem Schneefeld quellenden Baches, macht sich die Vegetation wieder bemerklich durch dichte Rasen von Azorella laevigata, denen Caltha limbata und Oreobolus beigesellt sind. Die genannte Azorella findet sich, wie viele andere Arten dieser Gattung, an muldenförmigen Einsenkungen des Bodens, in welchen der Schnee sich lange erhält und demnach für ausreichende Feuchtigkeit gesorgt ist. Im weiteren Abstieg ist außer Leuceria chillanensis nichts be- sonderes zu bemerken; um so üppiger und eigenartiger aber erscheint die Vegetation auf der ca. 2200 m hoch gelegenen Thalsohle. Die hier und da über den Wasserläufen gelagerten Dunstwolken weisen bereits darauf hin, dass in den Bächen mehr oder minder warmes Wasser fließt, wonach ja das ganze Thal seinen Namen führt. Der heiße Sprudel, ungefähr am Ende des Thales gelegen, stößt Wasser von beinahe Siedetemperatur aus. Die üppige Vegetation wird gebildet aus Gunnera chilensis, Senecio Huallata, welche mit ihren hohen, durch gelbe Blütenrispen abgeschlossenen Stengeln local der Träger des Vegetationsbildes ist; ferner Gynerium argenteum, schlankhalmige Poa-Spec., Agrostis chilensis, Geum chilense, Cardamine cordata (oft in geschlossenen Beständen), Senecio Vahlii, sowie gelegentlich Gentiana Pearcei. Im Wasser selbst fluten Potamogeton pectinatus und Myriophyllum spicatum. Die saftiggrüne Thalsohle weist große Rasen von Caltha andicola auf; auBerdem finden sich gelbleuchtende Flecke von Ra- nunculus peduncularis und rote oder weiße von Sisyrinchium-Arten. Eine kleine Ericacee, Pernellya minima, bildet mit ihren fädigen Stengeln ver- filzte Rasen auf moosigem Untergrund; häufig überspinnt sie Steinblöcke, welche auf der Erde liegen. Diese Art ist von bedeutendem pflanzen- geographischem Interesse, da die durch ungespornte Antheren ausgezeichnete Section Perandra der Gattung Pernettya sonst nur in Tasmanien und Neu- seeland gefunden wird; in ihr haben wir also eine der zahlreichen Arten zu verzeichnen, welche Chile und Tasmanien mit Neuseeland zugleich an- gehören. Von sonstigen interessanten Gewächsen wäre nur noch Boopis graminea zu nennen. Die herrschende Blütenfarbe ist gelb, durch Senecio Hualtata und Ranunculus. peduncularis bedingt. Die nochmals hervor-

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zuhebende Eigentümlichkeit der Vegetation beruht auf ihrer Reichhaltigkeit und üppigen Fülle im Vergleich zur Hóhe von ca. 2200 m ü. M. unter 37? südlicher Breite, eine Thatsache, die aber durch die Erwärmung des ganzen Thales vermittels der heißen Quellen ihre Erklärung